Als soziale und beschäftigtenfreundliche Alternative wollen sich Die Linke und nun auch die SPD im neugewählten Deutschen Bundestag präsentieren. Doch im Land Berlin, wo die beiden Parteien seit sieben Jahren gemeinsam regieren, liegen sie mit den Gewerkschaften weiterhin im Clinch. Für Empörung sorgen aktuell wieder einmal die gegenüber anderen Ländern deutlich niedrigeren Gehälter im öffentlichen Dienst der Bundeshauptstadt. Mit seiner Offerte vom Vortag habe der Senat »ein Minusangebot« vorgelegt, wetterten die Gewerkschaften ver.di, GEW, GdP und IG BAU am Mittwoch in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Das in der zweiten Verhandlungsrunde von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) auf den Tisch gelegte Angebot beinhaltet die Übernahme des bei Bund, Ländern und Kommunen vor Jahren eingeführten neuen Tarifrechts – allerdings ohne die anderswo geltenden Einkommensverbesserungen. Erst 2011 sollen Berlins rund 50000 öffentlich Bedienstete 1,2 Prozent mehr Geld bekommen. Im darauffolgenden Jahr will der Senat dann wieder in die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zurückkehren. Damit komme die Landesregierung »der Hauptforderung der Gewerkschaften, nicht auf Dauer von der Entwicklung des restlichen Bundesgebietes abgeschnitten zu sein, nach«, verkündete Körting in einer Mitteilung. »Wir gehen zurück in die Dynamik der anderen Bundesländer, das ist ein Riesenschritt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit die unterschiedliche Bezahlung in den Ländern nicht noch größer wird.«
Doch statt Dankbarkeit ruft das Senatsangebot bei den Gewerkschaften wütende Reaktionen hervor. Denn in dessen Mitteilung findet sich nur die halbe Wahrheit. »Es wird verschwiegen, daß 2011 zugleich eine Angleichung der Arbeitszeiten in Westberlin auf das Ostniveau geplant ist«, erklärte die Berliner Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Rose-Marie Seggelke, am Mittwoch auf jW-Nachfrage. Statt 38,5 sollen die Beschäftigten im Westteil der Stadt – also zwei Drittel aller Arbeiter und Angestellten des Landes – künftig 40 Stunden in der Woche arbeiten. Den Gewerkschaften zufolge entspricht das einer Einkommenskürzung von etwa 3,9 Prozent – deutlich mehr, als die 1,2 Prozent, die 2011 hinzu kommen sollen. »Wenn die Leute nach den Tarifverhandlungen weniger haben als vorher, dann kann das keine Gewerkschaft unterschreiben«, stellte Seggelke klar.
Auch für die Ostberliner Beschäftigten sei das Angebot keine Verbesserung, erläuterte die Gewerkschafterin. Denn mit dem neuen Tarifrecht sei eine Reihe von Nachteilen verbunden. Beispielsweise würden Weihnachts- und Urlaubsgeld in einer Jahressonderzahlung zusammengefaßt und deutlich gekürzt, berichtete Seggelke.
Die Verhandlungsführerin der gewerkschaftlichen Tarifgemeinschaft, Astrid Westhoff, nannte Körtings Angebot ebenfalls »in weiten Teilen unannehmbar«. »Es beinhaltet keinerlei Perspektive, keinen Termin und keine konkreten Schritte hin zur Angleichung an das Tarifniveau in anderen Ländern«, so die stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin am Mittwoch gegenüber jW. Der für 2012 anvisierte Wiedereintritt in die TdL bedeute lediglich, daß die ab diesem Zeitpunkt bundesweit ausgehandelten Verbesserungen auch für Berlin gelten. Der Abstand zum anderswo bestehenden Einkommensniveau – der aktuell fast sechs Prozent beträgt und bis dahin voraussichtlich noch steigen wird – bleibe bestehen. »Ich frage mich, wie die Senatsparteien wenige Tage nach der Schlappe bei der Bundestagswahl mit so etwas ankommen können«, so Westhoff.
Quelle: Junge Welt 1.10.09
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