Empfehlungen für den Reisekoffer nach Südafrika
2010 ist für Afrika kein Jahr wie jedes andere. Nicht nur weil Südafrika Ausrichter der FIFA-Weltmeisterschaft ist oder Gastgeber der Weltfestspiele der Jugend und Studierenden. Vor 50 Jahren war das Jahr der großen Befreiung in Afrika: 1960 erkämpften 18 Kolonien die nationale Unabhängigkeit von ihren europäischen Unterdrückern. Einzig das faschistische Portugal zwang den Befreiungsbewegungen in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau einen mehr als zehnjährigen Krieg auf, der erst 1974 endete. In den weißen, formal von Europa unabhängigen Siedlerkolonien – gelang die Befreiung von rassistischer Herrschaft noch viel später: in Simbabwe 1980, in Namibia 1990 und schließlich in Südafrika 1994. Grund genug, in diesem Jahr 2010 etwas genauer auf das post-koloniale Afrika zu schauen und in die folgenden Bücher.
Ein Leben für die Freiheit
Im berüchtigten „Rivonia-Prozess“ 1964 war der Kommunist Denis Goldberg mit Nelson Mandela und anderen als „Angeklagter Nr.3“ zu viermal lebenslänglich verurteilt worden. Als „Bombenleger“, „Terrorist“ und „Verräter an der weißen Rasse“ wollte ihn das südafrikanische Rassistenregime für immer im Knast versenken. Nach 22 Jahren Haft als politischer Gefangener und 24 Jahren in Freiheit dachte er „es sei an der Zeit, über mein Leben im südafrikanischen Befreiungskampf, im Exil, in Freiheit und schließlich wieder zuhause in Südafrika zu schreiben“. Seine Autobiografie „Der Auftrag – Ein Leben für die Freiheit in Südafrika“ ist fesselnd zu lesen, ohne all den Denkmalsockel-Pathos, die Selbstrechtfertigungen oder Entschuldigungen, die manch deutsche Kommunistenbiografie so unlesbar machen. „Ich bereue nichts, gar nichts, außer einem Fehler: Ich wurde gefangen genommen.“ Eine nachahmenswerte, unaufdringlichrevolutionäre Haltung prägt das ganze Buch. Die spannendsten Passagen sind jene, über die z. T. illegale Parteiarbeit im bewaffneten Untergrund, wo das Verhältnis zum Politischen und die Grenze zwischen Befreiungskampf und Terrorismus gefunden werden musste oder die über die „emotionale Wüste“ des Gefängnisses, wo der Kampf um Klopapier und Nachrichten zum Kampf um die Menschenwürde wird. Interessant sind aber auch die Schilderungen aus der Zeit, wo Denis „back home“ im „neuen Südafrika“ als Regierungsberater erleben muss, wie manch gute Absicht und manch guter Plan, das Leben von noch mehr Menschen zu verbessern, in den Mühlen des Staatsapparates zermalmt wurden.
Genauso interessant ist übrigens auch die Autobiographie seines Freundes und ANC-Geheimdienstchefs Ronnie Kasrils „Steckbrieflich gesucht – Undercover gegen Apartheid“, für die Denis Goldberg 1997 das Vorwort geschrieben hat: „ein echter Thriller“, wie er selber sagt.
Die Grenzen der Befreiung…
Der höchst streitbare Sammelband „Südafrika – Grenzen der Befreiung“ ist eine vielschichtige Bilanz der aktuellen Lage in Südafrika. Alte und neue Konflikte in Südafrika werden beleuchtet: Vom Kampf um soziale Grundrechte über den Wandel des Rassismus bis hin zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der FIFA-Weltmeisterschaft 2010. In den 16 Autorenbeiträgen geht es u.a. um die Grundversorgung mit Strom und Wasser, um die Wohnsituation, Landlose und Landreform, Frauenrechte und -bewegung, (neue) Fremdenfeindlichkeit, Aids und Gesundheitspolitik, die Erinnerungspolitik, um Wurzeln und Strukturen der Apartheid, die bis in die Gegenwart wirken. Der Sammelband „versucht herauszufinden, warum es dem neuen Südafrika nicht gelungen ist, die gesellschaftlichen Bedürfnisse der ausgegrenzten Mehrheit zu erfüllen“. Beantwortet wird diese Frage nicht durch die „Expertenbrille“ von außen, sondern aus südafrikanischer Sicht.
Und zwar aus der Sicht derer, die immer noch in Armut leben und zur Durchsetzung ihrer Interessen in ganz verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv sind. Zu Wort kommen vorrangig Autorinnen und Autoren, die zur „intellektuellen, nicht-institutionellen, neuen Linken“ Südafrikas gerechnet werden. Das macht die Stärke dieses Sammelbandes aus und die Herausforderung für uns Kommunistinnen und Kommunisten.
… und ihre Bedingungen
Allerdings stehen dabei weder große wirtschaftliche Kennziffern im Zentrum des Sammelbandes, noch globale „Sachzwänge“, sondern die Menschen mit ihren Lebenslagen, Bedürfnissen, Hoffnungen, Erfahrungen und Vorstellungen. Für Realpolitiker (auch revolutionäre) ist das mitunter etwas unbequem – und manchmal auch ungerecht. So kommen die objektiven Rahmenbedingungen und Kräfteverhältnisse für wirkliche, soziale Befreiung in Südafrika in den Beiträgen der Autorinnen und Autoren deutlich zu kurz. Ebenso die Besonderheiten des Kapitalismus in Afrika, vor deren Hintergrund die Sonderrolle Südafrikas erst deutlich wird. Dazu empfehle ich unbedingt das sehr faktenreiche Buch des marxistischen Ökonomen Jörg Goldberg, in dem der Frage nachgegangen wird, warum Afrika in wirtschaftlicher „Rückständigkeit“ verharrt und was Weltbank, IWF, WTO und die großen, transnational agierenden Konzerne damit zu tun haben.
Weiterlesen…
- Denis Goldberg, „Der Auftrag – Ein Leben für die Freiheit in Südafrika“, 304 S., 19,80 €. Mit interaktiver DVD zur Verwendung in Schulen und in der politischen Bildungsarbeit.
- Ronnie Kasrils, „Steckbrieflich gesucht – Undercover gegen Apartheid“, 360 S., 4,50 €
- Jens Erik Ambacher & Romin Khan (Hg.), „Südafrika – Die Grenzen der Befreiung“, 264 S., 16,80 €
- Jörg Goldberg, „Überleben im Goldland – Afrika im globalen Kapitalismus“, 250 S., 16,90 €
Alle Bücher können beim Neue Impulse Versand bestellt werden.
Lothar Geisler, Marxistische Blätter
Dieser Artikel erschien in POSITION – Magazin der SDAJ #3/2010.
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