Wie die Menschen in Südafrika um ihre Grundversorgung kämpfen
Seit 1996 wurde etwa 10 Millionen Menschen in Südafrika für längere Zeit das Wasser abgestellt. Weitere zwei Millionen SüdafrikanerInnen verloren ihren Besitz und wurden aus ihren Häusern vertrieben, da sie hohe Wasserrechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Im Jahr 2000 kam es zu einer der größten Choleraepidemien in der Geschichte Südafrikas mit 114000 Krankheitsfällen und 265 Toten. Die Menschen hatten sich, nachdem die Wasserversorgung ganzer Gemeinden eingestellt worden war, aus verunreinigten Flüssen und alten Brunnen versorgt. Was war passiert?
Gute Vorsätze…
Mit den ersten demokratischen Wahlen 1994 wurden die einstigen WiderstandskämpferInnen gegen die Apartheid an die Macht gewählt. 1996 wurde eine der fortschrittlichsten Verfassungen nach Ende des osteuropäischen Sozialismus verabschiedet. Trotz begrenzter Wasserressourcen garantiert Südafrika, als ein Staat unter wenigen, eine ausreichende Wasserversorgung per Verfassung. Bis 2010 sollten zudem alle Haushalte einen eigenen Wasseranschluss haben.
Angesichts der leeren Staatskassen beschloss die Regierung jedoch auf die private Wirtschaft zurück zu greifen. Der Druck des internationalen Währungsfonds, der als Bedingung für eine Kreditwiederaufnahme Südafrikas unter anderem vorschrieb, Investitionsmöglichkeiten für ausländisches Kapital zu schaffen, tat sein übriges. 2001 wurde so die Johannesburger Wassergesellschaft gegründet und kurz darauf ein Fünfjahresvertrag mit dem Wasser und Abwasserdienst Südafrikas (WSSA), einem Tochterunternehmen des französischen Wassergiganten Suez-Lyonnaise, geschlossen.
… schlechte Umsetzung
Tatsächlich konnte die Anzahl der Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser bis zum Jahr 2000 von 40% auf 19% reduziert werden. Doch nicht nur die Anzahl der Wasseranschlüsse im Land stieg, auch die Preise gingen in die Höhe. In den Townships, den Armenvierteln Südafrikas, mussten auf Grund fehlender Infrastruktur neue Wasserleitungen verlegt werden. Die Kosten hierfür wurden auf die Preise abgewälzt, die um bis zu 600% wuchsen. Absurderweise sind so die Wasserpreise in manchen Townships dreimal so hoch wie in wohlhabenderen Gegenden Südafrikas. Wasser wurde zu einem Luxusgut. Nicht bezahlte Rechnungen konnten dazu führen, dass ganze Gebiete vom Netz genommen wurden. Eine der Folgen war die erwähnte Choleraepidemie.
2005 wurden in einem Pilotprojekt Prepaid-Zähler in Phiri, einem Gebiet des Johannesburger Townships Soweto, installiert. Die Zähler bieten Wasser über die Grundversorgung hinaus nur nach Vorauszahlung an. Das „Free Basic Water“-Programm garantiert jedem Haushalt monatlich 6000 Liter Wasser als kostenlosen Grundbedarf. In Phiri entspricht das durchschnittlich 20 Litern pro Person und Tag. Der von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Mindestbedarf liegt bei 50 Litern.
Was macht die Regierung?
Die Privatisierungskampagnen, namentlich das 1996 beschlossene Programm „Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung“ (GEAR), sind ein wesentliches Streitthema innerhalb der Regierung. Während sich der Gewerkschaftsverband und die Kommunistische Partei klar gegen die Privatisierung der Grundversorgung aussprechen, hält die Führung des ANC im Grunde weiter am eingeschlagenen Weg fest. Zumindest der Vertrag mit dem WSSA wurde 2006 allerdings nicht verlängert. Waren Gewerkschaftsverband und die KP anfangs sehr stark in die Gegenwehr involviert, formiert sich der Widerstand heute stärker an der Basis selber.
Außerparlamentarischer Widerstand
Neue Bewegungen entstanden dann, als sich Haushalte selbstständig und illegal wieder an die Wasserversorgung anschlossen. Zahlungsboykotts, Straßenkämpfe und Großdemonstrationen zeichneten den Protest. Koordiniert und verbunden wurde und wird der Kampf ums Wasser maßgeblich vom sog. Anti-Privatisierungsforum (APF), einem offenen, antikapitalistischen Netzwerk, welches mehr und mehr Zulauf erhält.
Die Prepaid-Zähler in Phiri beschneiden die Widerstandsmöglichkeiten wiederum sehr effektiv. Haushalte, die die Prepaid-Zähler zerstören oder sich anderweitig widersetzen werden für einige Zeit von Hydranten abgeschnitten, sodass auch eine illegale Wasserversorgung nicht mehr möglich ist. In der Konsequenz haben viele das neue System akzeptiert um ihre Wasserversorgung sicherzustellen. Der Kampf hat sich daher maßgeblich auf die juristische Ebene verlagert.
Einer Sammelklage gegen die Stadt Johannesburg gab das oberste Gericht zunächst in zwei Hauptpunkten statt. JedeR sollte das Recht auf eine kostenlose Versorgung von 50 Litern Wasser täglich haben und die zwangsweise Einführung der Prepaid-Zähler wurde für verfassungswidrig befunden. Die Stadt legte Berufung ein und der Fall kam im Oktober 2009 vor das Verfassungsgericht. Das Gericht entschied zum Entsetzen der Beteiligten, dass das „Free Basic Water“-Programm nicht im Konflikt mit der Verfassung steht und die Prepaid-Zähler rechtmäßig seien. Nach dem juristischen Misserfolg steht die Bewegung nun vor der Herausforderung, den nur noch vereinzelt vorhandenen Widerstand wieder zu Massenaktionen zu vereinen.
Wie man sieht, ist die Frage der Daseinsvorsorge überall auf der Welt Gegenstand von Klassenkämpfen.
Paul, Berlin
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