Früher war die Rede davon, dass die Afrikaner „geistig und moralisch doch so tief“ unter uns stehen. Als deutsche Truppen den Boxeraufstand in China niederschlugen, gab der Kaiser ihnen einen Auftrag: Sie sollten dafür sorgen, „dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“ Heute führt Deutschland Krieg für Menschenrechte. Geändert hat sich trotzdem nicht viel – das zeigt ein Ritt durch die Geschichte des deutschen Imperialismus.
Neuaufteilung der Kolonien
„Deutschland wird entweder Hammer oder Amboß sein.“ Diese Worte des ehemaligen Reichskanzlers von Bülow zeigen, in welcher Situation sich das kapitalistische Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts befand: Da Deutschland erst viel später als z.B. Frankreich und England einen entwickelten Kapitalismus hervorbrachte, kämpfte es erst um Kolonien, als ein Großteil der Erde schon unter den anderen Großmächten aufgeteilt war. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung Deutschlands zwischen 1870 und 1910 um 24 Mio. Menschen, der Anteil an der Weltindustrieproduktion Deutschlands stieg in diesem Zeitraum massiv an und Deutschland überholte seine europäischen Konkurrenten. Obwohl Deutschlands kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs also sowohl das bevölkerungsreichste Land als auch das industriell führende Land Europas war, hatte es im Gegensatz zu Frankreich und England kaum Kolonien. Deshalb war Deutschland gezwungen, sehr viel mehr Kapital innerhalb Europas zu investieren, sich zugleich aber um eine Neuaufteilung des Kolonialbesitzes zu kümmern. Deutschland war wirtschaftlich stark, hatte aber kaum Möglichkeiten zur Expansion. Um dieses Missverhältnis zu lösen, musste der deutsche Imperialismus zu aggressiven Mitteln greifen: Er eroberte Kolonien und bereitete sich auf einen Krieg vor.
Ideologie und Meinungsmache
Für die Durchsetzung der imperialistischen Interessen musste die eigene Bevölkerung möglichst geschlossen hinter die aggressive Politik gebracht werden. Zum einen gründeten sich viele Vereine und Verbände wie der „Alldeutsche Verband“. Sein Ziel war es, an der Heimatfront größtmögliche Unterstützung für die Weltmachtsambitionen Deutschlands zu gewinnen und die chauvinistische Ideologie im Bewusstsein der Deutschen zu verankern. Dies geschah unter anderem durch die Forderung nach einem deutschen Flottenbau, der Bewerbung deutscher Expansion und einer völkischen Rhetorik gegen die im Deutschen Reich lebenden Minderheiten, wie z.B. Polen und Franzosen.
Auf der anderen Seite wurden die wirtschaftlichen Interessen immer wieder verschleiert oder so umgedeutet, so dass sie als Erziehungsmission für die „unzivilisierten Wilden“ (zahlreiche Plakate und Abenteuerromane aus den „deutschen Schutzgebieten“ sind hierfür ein anschauliches Beispiel) erscheinen sollten. Auch für das gesamte deutsche Volk, auch die Arbeiterschaft, wäre ein starkes Deutschland eine Wohltat. Tatsächlich musste die Bevölkerung, und besonders die Arbeiterklasse, die Kosten der imperialistischen Abenteuer bezahlen. Um langfristig Unterstützung für den politischen Kurs zu gewinnen war es nötig, das Weltmachtstreben zu einer Überlebensfrage Deutschlands umzudeuten.
Mitteleuropa
Neben den imperialistischen Bestrebungen Deutschlands außerhalb Europas gab es auch Ideologen und Politiker, die sich besonders um eine deutsche Vormachtstellung in Europa bemühten. Politiker wie der Liberale Friedrich Naumann (Namensgeber der FDP-Stiftung) forderten damals ein „Mitteleuropa“ unter deutscher Führung und ohne Zollschranken. Das in seinen Investitionen und Ausfuhren eingeschränkte Deutschland strebte also schon damals wegen seiner Exportorientierung nach einer zentralen Machtposition in Europa. Und dafür sei es nötig, so Naumann, „Polen, Dänen, (…) nach Kräften zu entnationalisieren“.
Die Schwächung, die das Deutsche Reich durch den Ersten Weltkrieg erlitt, schob den imperialistischen Interessen für eine gewisse Zeit den Riegel vor. Jedoch lebten sowohl die Mitteleuropa-Strategie als auch die „Hammer oder Amboß“-Theorie weiter. Nur setzte man den Schwerpunkt statt auf Afrika nun auf die Sowjetunion, in der es Lebensraum, Rohstoffquellen, sowie billige Arbeitskräfte zu erobern galt. Der deutsche Imperialismus unterlag jedoch erneut und wurde durch die Existenz der sozialistischen Staatengemeinschaft bis in die 1990er Jahre in seinem Streben gezügelt.
Strategie: humanitäre Hilfe
Nach dem Ende der DDR und der UdSSR machte sich der deutsche Imperialismus schnell wieder daran, die durch den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg verlorene Weltmachtstellung zurück zu erobern. Den Startschuss hierfür stellte der Angriff auf Jugoslawien Ende der 90er dar: Unter dem Vorwand, Deutschland würde dort einen Völkermord verhindern, bombardierte man das Land. In den Jahren zuvor hatte Deutschland die Konflikte zwischen den verschiedenen Nationalitäten des Landes jahrelang systematisch angeheizt. Dafür wurden unter anderem rechtsextreme, mafiaähnliche Strukturen wie die albanische UCK oder die sich auf die faschistische Ustascha berufenden Kroaten unterstützt. Ehemalige 68er wie Joschka Fischer deuteten den Massenmord an den europäischen Juden so um, dass Deutschland in der Pflicht stünde, ein „zweites Auschwitz“ an Muslimen auf dem Balkan zu vereiteln. Das größte Verbrechen in der Geschichte des deutschen Imperialismus musste als Begründung für den erneuten Aufstieg des Imperialismus herhalten. Und in Afghanistan, erzählen die Herrschenden, baut die Bundeswehr Schulen und gräbt Brunnen. Diese „humanitäre Hilfe“ ist nicht besser als die „Erziehung“, die die deutschen Kolonialherren früher den „Wilden“ aufgezwungen haben.
Knapp zehn Jahre nach dem Jugoslawien-Krieg ist die Bevölkerung bereits wieder so an Krieg und Militarismus gewöhnt, dass nicht mehr allein „humanitäre“ Motive für imperialistische Bestrebungen herhalten müssen: Mittlerweile können Politiker und ranghohe Bundeswehr-Verantwortliche wieder von deutscher Weltgeltung und wirtschaftlichen Interessen sprechen, ohne dass es in der Bevölkerung zu einem Aufschrei kommt. Der Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler ließ die Vermutung zu, es gäbe tatsächlich einen Konflikt zwischen wirtschaftlich motivierten Kriegstreibern und Menschenrechtlern in Uniform bzw. Rettern von „gescheiterten Staaten“ – Fakt ist jedoch, dass hinter beiden Argumentationssträngen die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals stehen.
Was die Rolle Deutschlands in der EU angeht, scheint sich der Traum von Mitteleuropa-Theoretikern wie Naumann heute erfüllt zu haben: Mit dem Euro schufen sich die mächtigen Staaten (allen voran Deutschland und Frankreich) eine gemeinsame Währung, eine für das exportorientierte Deutschland sehr komfortable Wirtschaftszone ohne Zollgrenzen und eine schlagkräftige Armee. Die im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise unter den „Rettungsschirm“ geratenen Staaten wie Irland und Griechenland unterliegen einem strengen Spardiktat des Imperialismus, das die Zinserwartungen u.a. deutscher Großbanken erfüllen und diese Staaten als Konkurrenten schwächen soll. Die Abhängigkeit der schwächeren EU-Staaten gegenüber Deutschland nimmt dadurch rapide zu.
Kein Ende in Sicht?
Die Macht der Banken und Konzerne, die Interessen von WAZ, Krupp, Hochtief und RWE haben Deutschland und die Welt mehrfach in Kriege gestürzt und werden dies weiterhin tun, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird. Der Sturz des Imperialismus ist die Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung der Gesellschaft – ohne Krisen, Krieg und Barbarei.
Moritz, Bochum