12 Tage lang waren Camila Vallejo (Vizepräsidentin des chilenischen Studierendenverbandes CONFECH und Mitglied der Kommunistischen Jugend Chiles, Karol Cariola (Vorsitzende der Kommunistischen Jugend Chiles) und Jorge Murúa (Vorstandsmitglied des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles) auf einer Rundreise durch Deutschland. Ziel war es, über die Kämpfe der chilenischen Jugendlichen zu berichten und internationale Kontakte zu knüpfen. Organisiert war die Rundreise von GEW und Rosa-Luxemburg-Stiftung – an vielen Orten waren SDAJ und POSITION mit dabei und immer waren die Säle zu klein.
9 Monate Streik…
…liegen hinter den Studierenden Chiles. 9 Monate lang besetzten sie ihre Universitäten. Demonstrationen mit mehr als 1,5 Millionen Teilnehmenden hatte das nur knapp 17 Millionen EinwohnerInnen zählende Land schon länger nicht mehr erlebt. Es geht um „60.000 US$ – das sind die Kosten, die ich für mein Studium habe“ – beschreibt Camila Vallejo den Ausgangspunkt der Bewegung der Studierenden in Chile. Seit 2005 flammen die Proteste an Schulen und Hochschulen immer wieder auf. Das chilenische Bildungssystem stammt noch aus der faschistischen Diktatur Pinochets und ist heute weitgehend privatisiert. Im Sommer 2011 erreichten die Proteste ihren vorläufigen Höhepunkt mit den gemeinsamen Protesten der Studierenden und der Gewerkschaften, die parallel zu einem Generalstreik aufriefen. Ziel der Aktion war die Durchsetzung von Verfassungs- und Gesetzreformen, ein neues Arbeitsrecht, die Rückführung der privatisierten Rentenversicherung in öffentliches Eigentum und mehr staatliche Investitionen in die Gesundheitsversorgung und die Bildung.
Repressionen
Die rechtsgerichtete Regierung Sebastián Piñeras beantwortete die Proteste mit heftiger Repression. Ein 16-Jähriger wurde bei einer Demonstration von einem Polizisten erschossen. Der neue Bildungsminister forderte, dass alle Studierenden, die sich am Streik beteiligen vom weiteren Studium ausgeschlossen werden. Darüber hinaus soll jetzt ein neues Versammlungsgesetz eingeführt werden, dass das Demonstrationsrecht enorm einschränkt – eine direkte Antwort auf die Massendemonstrationen des Sommers. „Die Repressionen sind ein großes Problem. Aber schon, dass die meisten Studierenden ein Jahr ihres Studiums verlieren, ist eine Form der Repression“, sagte Camila gegenüber POSITION. „Das ist ein hoher Preis, den wir zahlen.“
Politisierung
Es sind vor allem die Banken, die an den Krediten der Studierenden verdienen und so ein starkes Interesse an den hohen Studiengebühren haben. Die Reaktion der Regierung auf die Forderung nach einem kostenlosen Studium lag dann in dem mehr als faulen Kompromiss, einen Teil der Zinssätze für die Studierenden zu übernehmen. „Der Profit der Banken soll auf keinen Fall angetastet werden. Denen ist die Regierung verpflichtet und daran kann man gut sehen, auf wessen Seite sie steht. Anstatt das Geld für den Ausbau und die Verbesserung des staatlichen Bildungssystems auszugeben, geben sie es lieber den Banken“, erklärt uns Karol Cariola die Situation. „Für die Finanzierung eines kostenlosen Gesundheitssystems fordern die Studierenden deshalb die Nationalisierung des chilenischen Kupfers.“
Nächste Aufgaben
Derzeit befindet sich die Bewegung in einer Etappe der Debatte, nach der Etappe der Aktionen im Sommer und im Herbst. Ob nicht eigentlich eher wenig erreicht worden sei, fragt ein Veranstaltungsteilnehmer und moniert, dass die Protest zuletzt abgebrochen worden. Karol entgegnet: „Wir machen uns nicht vor, dass hier alles gewonnen ist. Das System ist weder geschlagen noch angeschlagen, aber es hat an Hegemonie verloren – aufgrund des Erwachen des Bewusstseins des chilenischen Volkes“. Das zeigen auch die Umfragen: Über 89% der ChilenInnen stehen hinter den Forderungen der Bewegung, während Präsident Piñeras gleichzeitig nur noch Beliebtheitswerte von unter 25% aufweist – das ist Rekord in ganz Südamerika. Die nächste Aufgabe sei es jetzt, „aus dieser sozialen Bewegung eine politische Bewegung zu machen“, so Camila Vallejo. Dazu müsse die Bewegung noch deutlich stärker in der Bevölkerung verankert werden, zum Beispiel über Stadtteilversammlungen, die es überall in Chile gibt. Auf diese Weise soll ein politisches Bündnis verschiedener gesellschaftlicher Organisationen und Gruppen geschaffen werden, dem es dann gelingen kann, die gemeinsamen Forderungen auch durchzusetzen. Denn: „Es geht nicht nur um die soziale Bewegung und den Protest, sondern auch um die Macht“, so Camila.
Jann, Essen