Die SDAJ Nürnberg-Fürth war auf besondere Weise vom Nazi-Terror betroffen. Nun organisiert sie Gegenwehr.
Viele von uns hatten das rot-weiße Fahndungsplakat schon einmal gesehen. Es hing jahrelang auf allen Polizeiwachen der Region. Fast jeder, der in den vergangenen Jahren dort war, um Verkehrsstrafen zu zahlen, GenossInnen aus dem Gewahrsam zu holen oder Nazis anzuzeigen, hat sich beim Warten die Bilder der Opfer und der Mordwaffe angeschaut – ohne sich viel dabei zu denken. Bei jeder neuen Schlagzeile über den Nazi-Terror hatten wir dieses Plakat wieder vor Augen. Und nun, plötzlich, schrieb die bürgerliche Presse das, was wir schon seit Jahren über die Gefahren aus der rechten Kameradschaftsszene und die Verstrickungen von Nazis und Verfassungsschutz gesagt hatten. Wir schüttelten die Köpfe, wenn wir in der Zeitung lesen konnten, was wir in unseren Flugblättern geschrieben hatten. Und wir dachten, wenigstens jetzt, nachdem die NSU-Morde das ganze Land erschüttert hatten, würde die regionale Nazi-Szene einfach mal das Maul halten.
Auf den Punkt
Am 28. November gab es eine erste Reaktion auf die Ereignisse. Kurz bevor die Spontandemo losging, versuchte ich in Worte zu fassen, was uns zusammengebracht hatte und was uns so wütend machte. Denn das waren nicht allein die Nazi-Morde. Es war auch nicht das Gerichtsverfahren, bei dem ein junger Genosse wegen zweier kleiner Graffitis zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt wurde. Weder, dass Nazis das Auto eines Antifaschisten angezündet hatten, noch dass der Staatsschutz sich darum überhaupt nicht kümmern wollte. Was alle an diesem Abend empörte, war, dass diese Ereignisse nur wenige Stunden auseinander lagen – der Brandanschlag, die Untätigkeit der Polizei, das drakonische Urteil gegen einen Antifaschisten. Wir hatten den Eindruck, als ob die Zustände im Land dadurch hier bei uns vollkommen klar auf den Punkt gebracht wurden. Es wurde eine laute Demo, kraftvoll und entschieden. Und als die Polizei Einsatzkräfte zusammenziehen konnte, löste sie sich schnell und diszipliniert wieder auf. Auch die folgenden beiden Monate waren von vielen antifaschistischen Aktivitäten linker Gruppen in Nürnberg geprägt. Es ging um die drei Nazimorde in Nürnberg, um die Angriffe der örtlichen Nazis und natürlich um die Rolle des Verfassungsschutzes, es gab Infoveranstaltungen und Gedenkaktionen.
Ausgespäht
In der Region Nürnberg-Fürth fanden sich zwei „Bekenner-DVDs“ des NSU – eine im Briefkasten der Nürnberger Nachrichten und eine bei uns im Büro. Schließlich erfuhren wir, dass der NSU noch weitere Anschlagsziele in Nürnberg ausgespäht hatte. Anders als auf der Liste mit 10.000 potentiellen Zielen hatte sich die Terrorgruppe über diese Objekte umfangreiche Informationen beschafft. Drei Asylantenheime, zwei Geschäfte, ein Internetcafe und das Rote Zentrum, Treffpunkt und Büro für DKP, KAZ und SDAJ, standen auf der Liste. Für jeden dieser Orte waren genaue Lage, aber auch Publikumsverkehr, Eingangsmöglichkeiten, Öffnungszeiten, verschlossene oder offene Zugangstüren etc. vermerkt worden. Das letzte ausgespähte Objekt auf der Liste gehörte dem dritten Nürnberger Mordopfer. Wenn wir zum Gruppenabend gingen, wussten wir jetzt, dass vor sechs Jahren ein Nazi-Terrorist vor dem Zentrum gestanden hatte, um uns zu observieren. Der Dezember war deshalb eine merkwürdige Zeit für unsere Gruppe. Die meisten von uns waren damals zwar noch nicht in der SDAJ, trotzdem ging es schließlich um unser Rotes Zentrum. Es gab Treffen und Interviews mit Journalisten und Fernsehteams. Am Gruppenabend schauten wir gemeinsam Politsendungen, in denen ein unkenntlich gemachter Genosse mit nachgesprochener Stimme über das Bekennervideo und die örtliche Naziszene sprach. Die Aufnahme wurde vor der Wand gemacht, an die wir immer unsere Transpi-Vorlagen werfen.
Aufgeräumt und entschlossen
Die rechte Szene der Region reagierte auf ihre Weise auf die „Enttarnung“ des rechten Terrors: Es kam verstärkt zu Nazi-Übergriffen: brennende, demolierte Autos, Angriffe auf Linke und eingeworfene Fensterscheiben. Doch die linke Szene reagierte darauf ebenso aufgeräumt wie entschlossen. Rechte Rückzugsräume bekamen Besuch von vermummten Menschen mit Pfefferspray und Farbe. Es war zu spüren, dass sich die Menschen zur Wehr setzten. Den Übergriffen folgten auch noch in den kleinsten Städten des Landkreises Gegenveranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern. CSU-Redner, die links und rechts gleichsetzten, wurden von Familienvätern mit kleinen Kindern ausgebuht. Schüler organisierten Protestdemos, weil Nazis bei ihnen an der Schule Material verteilten. All das passierte in nur acht Wochen. Hinzu kam eine gesteigerte Medienaufmerksamkeit. Von ZDF bis bayrischer Rundfunk, von Panorama bis Frontal21, von der Süddeutschen Zeitung bis zum Spiegel, sie alle thematisierten den rasanten Anstieg rechter Übergriffe in der Region und die Untätigkeit der Polizei.
Unterschiede beim Gedenken
Das Gedenken an die Opfer und die Reaktionen auf das aktuelle Geschehen waren kaum zu trennen. Die für mich bewegendste und ehrlichste Aktion fand unter starker Beteiligung der Gewerkschaften und linker Gruppen am 9. Dezember in Nürnberg statt. Ausgangspunkt war die Scharrerschule, eine Grund- und Hauptschule, deren Schüler jahrelang ihren Mittags-Döner an dem Stand gekauft hatten, dessen Besitzer das erste Mordopfer wurde. Die Stimmung war solidarisch und entschlossen, die Schüler der Schule hatten alle auf einem riesigen Transparent unterschrieben, auf dem groß der Spruch „Nazis sind Opfer!“ prangte. Lautstark und bunt zog die Demonstration durch die abendliche Nürnberger Südstadt. Ich habe selten erlebt, dass sich so viele Menschen spontan einer Demonstration anschlossen.
Am nächsten Tag führte die Stadt Nürnberg eine offizielle Gedenkveranstaltung mit Lichterkette durch. Der Kontrast war nicht zu übersehen. Als wir dort mit unseren Fahnen erschienen, erklärten uns USK-Beamte, dass wir im Begriff seien, uns einer unpolitischen Veranstaltung zu nähern. Deshalb seien Fahnen verboten. Auch der Beistand eines ver.di-Kollegen, der ebenfalls mit Fahne anwesend war, half nur zeitweilig. Nachdem die Gebete verschiedener Religionsrichtungen verklungen waren, wollten wir Kerzen für die Lichterkette anzünden. Erneut kam das USK: Sie hätten Rücksprache mit dem Veranstalter gehalten, Fahnen seien unerwünscht. Ein Genosse wurde sauer: „Meine rote Fahne steht für mehr Antifaschismus als alle Lichterketten zusammen.“ Die SDAJ wurde von der Lichterkette ausgeschlossen, wir bekamen einen Platzverweis.
Auch die Junge Union wollte zeigen, dass konsequenter Kampf gegen Rechts mit ihr nicht zu machen ist. In der kleinen Stadt Roth meldete sie das Gedenken an die Naziopfer unter dem Slogan „Gegen jeden Extremismus“ an. Genau 47 Teilnehmer kamen. Und die mussten es sich gefallen lassen, dass die Linksjugend Flugblätter verteilte und die SDAJ einen spontanen Redebeitrag gegen die Gleichsetzung von rechts und links hielt. Von den Passanten, die nicht zur Jungen Union gehörten, gab es Applaus.
Agieren statt reagieren
Langsam aber sicher findet linke Szene in der Stadt mit den meisten NSU-Morden zu einem „normalen“ Leben zurück. Und das bedeutet vor allem: Agieren statt reagieren. Im Februar gab es eine rauschende Soli-Party für die Opfer der Naziübergriffe. Und am 31. März wird eine große, kraftvolle antifaschistische Demonstration in Nürnberg der Wut, der Aktivität und der Entschlossenheit der letzten Wochen einen weiteren Ausdruck geben. Denn die vergangenen Wochen haben auch dazu geführt, dass viele Menschen für die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Nazi-Terror sensibilisiert wurden und dass die linke Szene in der Region enger verbunden ist als vorher.
Tatjana, Fürth