Mit der Gleichsetzung von rechts mit links behindert der Staat vor allem das Engagement gegen Nazis.
Gegen Ende des letzten Jahres wurde bekannt, dass eine Gruppe von Faschisten über ein Jahrzehnt hinweg ungehindert vorwiegend türkisch-stämmige Migranten in der ganzen Bundesrepublik ermordeten hat. Merkwürdig ist allerdings was unsere Politiker daran empört. So beklagt Bundeskanzlerin Angela Merkel lediglich: „Das ist eine Schande, das ist beschämend für Deutschland“. Auch Frank-Walter Steinmeier (SPD) ignoriert die tatsächlichen Opfer der Nazi-Morde und beschwert sich stattdessen über den Angriff auf das „deutsche Gemeinwesen“. Das bundesdeutsche Staatspersonal sorgt sich anscheinend in erster Linie um das gute Ansehen Deutschlands in der Welt.
Rechts gleich links?
Dieser Standpunkt interessiert sich nicht für die Opfer oder die Gründe der Bluttat. So wird es auch einfach, Nazis und Linke in einen Topf zu werfen und auf einmal nur noch von „Extremisten“ zu sprechen, wie zuletzt in Politik und Medien immer häufiger geschehen. Da man bekanntlich so ziemlich alles miteinander vergleichen kann, ließ es sich auch die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die Rechtsaußenfrau Erika Steinbach nicht nehmen zu zwitschern: „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI […] Beide, Linksradikale und Rechtsradikale wollen einen anderen Staat.“ Frau Steinbach stört sich dabei gar nicht an dem Umstand, dass die Nazis in Wirklichkeit nicht ein sozialistisches Arbeiterparadies errichteten, sondern die terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals, mit Arbeitserziehungslagern und Lohnstopps.
Alles extrem.
Wenn Faschisten kritisiert werden, werden meist im selben Atemzug auch „die Linken“ genannt. Eine passende „Extremismustheorie“ verleiht dem ganzen dann noch einen wissenschaftlichen Anschein. Um die Extremismustheorie in die Schulen zu tragen, hat sich das nordrhein-westfälische Innenministerium etwas ganz besonderes ausgedacht. So bekam Caro aus Essen in der Schule den „Andi“ in die Hände: ein „Comic für Demokratie und gegen Extremismus“. In ihm schlägt sich der Comic-Held Andi mit ganz alltäglichen Sorgen herum, wie etwa die ständig auftauchenden Extremisten, die „seine Freunde indoktrinieren“.
Mit dem Einsatz der Bildungscomics sollen Schüler zwischen 14 und 18 Jahren erreicht werden, denn das Innenministerium vermutet, dass in dieser Altersgruppe „Textwüsten oft wirkungslos“ blieben. Und Caro amüsiert sich köstlich. Sie lacht herzhaft, als sie aus dem Heft vorliest. Andi stellt nämlich z.B. folgendes über kahlköpfige Comic-Nazis und groteske Comic-Autonome fest: „Die reden voll den gleichen Quark und aussehen tun sie auch gleich, aber hassen tun sie sich wie die Pest“.
Hannah kennt das gut aus ihrem Schulalltag. Sie ist Schülervertreterin aus Köln und hat eine ganz klare Meinung zu dieser Verharmlosung des Faschismus: „Bei Extremismusdebatten wird verallgemeinert, indem bloß auf der Erscheinungsebene verglichen wird. Eine starke Partei gäbe es schließlich im Sozialismus wie im Faschismus. Und die DDR sei lediglich durch Gewalt und Unterdrückung gekennzeichnet gewesen. So wird Naziterror relativiert, indem berechtigte Kritik am Kapitalismus mit faschistischer Demagogie gleichgesetzt wird.“ Da wundere es dann auch nicht, wenn immer öfter von der „zweiten deutschen Diktatur“ die Rede ist. „Das ist Geschichtsfälschung und eine Verharmlosung des deutschen Faschismus“, fährt Hannah fort, „ein echter Systemvergleich der BRD und DDR findet nicht statt“.
Ideologie im Klassenstaat
Im Unterricht wird die Extremismustheorie oft mit einem Hufeisen bebildert. Die Rechts- und Linksextremen würden vor allem die Eigenschaft teilen, nicht zur Mitte zu gehören. Damit stehen Qualität und Inhalt ebenso wenig zur Debatte wie der Extremismus selbst. Wer oder was die Mitte ist, steht nicht zur Diskussion.
Etwas eindeutiger heißt es etwa im Grundgesetz: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt [die] Grundrechte.“ (Art. 18 GG). Das heißt im Klartext: Wer seine Freiheit gegen den Klassenstaat der BRD gebraucht (mitsamt seiner „freiheitlichen“ Eigentumsverhältnisse), betreibt Missbrauch. Die Mitte, das ist also der Klassenstaat.
„Vor allem in Zeiten, wo Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit an der Tagesordnung stehen, gibt es immer mehr Menschen, die die aktuellen Verhältnisse anprangern“, schätzt Hannah die aktuelle Lage ein: „Deshalb wird uns Jugendlichen von staatlicher Seite klar gemacht, dass alles, was kapitalismuskritisch ist, undemokratisch und gewaltbereit sei.“ Dies stärke natürlich „die Man-kann-doch-eh-nichts-verändern-Mentalität, dadurch, dass Veränderungen an bestehenden Verhältnissen als utopisch oder massenmörderisch tituliert werden.“
Antifaschisten unter Generalverdacht
Dass sich die Extremismustheorie in letzter Konsequenz vor allem gegen diejenigen richtet, die sich aktiv gegen die Neofaschisten engagieren, zeigt vor allem die neue Extremismusklausel des Familienministeriums. In der Sorge, im Kampf gegen Nazis die „Linksextremen“ zu unterstützen, beschloss die Regierung jüngst, Bundesfördermittel für das Engagement gegen „Rechtsextremismus“ an die Unterzeichnung eines Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu koppeln. So werden Organisationen gegeneinander ausgespielt, unter Generalverdacht gestellt und gezwungen sich über die Verfassungstreue ihrer Bündnispartner beim Verfassungsschutz zu informieren. „Ausgerechnet bei denen!“, wundert sich die DGB-Jugend in ihrem Magazin: „Angesichts der Verstrickung von Behörden in rechtsextreme Strukturen wäre es eher angebracht, hier misstrauischer zu sein.“
Und weiter?!
Bleibt die Frage, wie man die Extremismustheorie kritisiert, wenn sie mal wieder in der Schule auftaucht. Zunächst gilt es wohl klar zu stellen, dass rechts nicht gleich links ist. Lügen über linke Politik oder den Sozialismus in der DDR gilt es zu entlarven. Wer wirklich rauskriegen will, was es mit Faschisten und Kommunisten so auf sich hat, wird nicht drum herum kommen, sich mit ihren Motiven und Zielen auseinanderzusetzen. Natürlich kann man feststellen, dass auf der Erscheinungseben sowohl der deutsche Faschismus, als auch die DDR eine Form der staatlich regulierten Wirtschaft betrieben. Nur taten das die Faschisten, weil sie ihre Rüstungsproduktion nicht unter den unsicheren Gesetzen des Marktes vonstatten gehen lassen wollten, um schließlich einen erfolgreichen Angriffskrieg zu führen und die Profite der deutschen Konzerne zu erhöhen. Die ostdeutschen Kommunistinnen und Kommunisten hingegen wollten die Menschen vermittels einer Planwirtschaft von den drückenden Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise (der schönen Mitte) erlösen. Letzteres finden wir übrigens durch und durch sympathisch.
Lea, Essen