Als die SDAJ im Oktober 2011 ihre Kampagne „Nazifreie Zonen schaffen“ beschloss, konnte sie noch nicht ahnen, wie aktuell das Thema bald werden sollte.
Bereits im November 2011 führte die Aufdeckung des sogenannten „NSU-Skandals“ allen vor Augen, dass in unserem Land bereits seit Jahren eine rechtsterroristische Szene existiert, die gewalttätige Kampfformen bis hin zum politischen Mord propagiert und praktiziert. Nicht zuletzt Waffenfunde in etlichen Bundesländern verdeutlichten so die Notwendigkeit, nazifreie Zonen zu schaffen. Dass man sich dabei nicht auf den Staat verlassen kann, sondern selber aktiv werden muss, zeigte nicht zuletzt die direkte Verflechtung des Verfassungsschutzes mit den faschistischen Terroristen.
Aktuelle Tendenzen im Neofaschismus
Die Bedrohung, die für uns von faschistischen Organisationen ausgeht, ist vor allem ihre „besondere geschichtliche Funktion“, wie es der marxistische Faschismusforscher Reinhard Opitz auf den Punkt gebracht hat. Sie besteht darin, „dem Finanzkapital den Übergang zu seiner terroristischen Diktatur zu ermöglichen“. Doch auch solange die wichtigsten strategischen Interessen der Banken und Konzerne noch ohne so einen faschistischen Übergang verwirklicht werden können, kommt den Faschisten eine Vielzahl systemnotwendiger Funktionen zu – „woraus sich ihre erstaunlich schonsame Behandlung in allen parlamentarisch regierten monopolkapitalistischen Demokratien erklärt“, wie Opitz betont.
Eine dieser Funktionen ist z.B. die „terroristische Einschüchterungsfunktion“ gegenüber demokratischen Bewegungen. So standen nicht nur viele linke Zentren und Büros – darunter auch das Büro der DKP Essen – auf der berüchtigten Liste mit potenziellen Anschlagzielen des NSU. In Nürnberg etwa weiß man heute, dass hier die Genossinnen und Genossen der SDAJ lange Zeit richtiggehend von faschistischen Terroristen ausgespäht worden sind (POSITION berichtete, Heft #2/2012).
Eine andere dieser systemnotwendigen Funktionen ist die „Auffangfunktion“. Hier geht es darum, jene Bevölkerungsschichten „aufzufangen“, die von der Politik der systemkonformen Parteien enttäuscht sind, um zu verhindern, dass sie revolutionären Organisationen zulaufen. „Besonders gefragt und aktuell in ökonomischen Krisenzeiten“, merkt Opitz an.
Wie treffend diese Einschätzung ist, wird daran deutlich, dass seit der letzten Krise die soziale Frage wieder zum zentralen Feld der faschistischen Demagogie geworden ist. So fanden z.B. zuletzt am 1. Mai 2012 acht faschistische Aufmärsche mit „sozialen“ Forderungen statt: Während sich die Nazis im fränkischen Hof unter dem Motto „Zeitarbeit abschaffen – soziale Ausbeutung stoppen“ versammelten, demonstrierten sie andernorts „gegen volksfeindlichen Sozialabbau“. Bereits im April hatte z.B. die NPD im hessischen Haiger sogar Aktionen zur drohenden Betriebsschließung des Küchentechnik-Herstellers Teka gemacht – unter Missbrauch des IG-Metall-Mottos „Teka muss bleiben“.
Nazifreie Zonen als Strategie
Um den aktuellen Tendenzen im Neofaschismus entgegenzuwirken, verfolgt die SDAJ die Taktik, einerseits das Auftreten faschistischer Kräfte im öffentlichen Raum zu blockieren und andererseits kämpferisch für die Interessen arbeitender und lernender Jugendlicher einzutreten, um den Faschisten das Wasser abzugraben. In diese Richtung zielte auch unsere Kampagne. Denn in Krisenzeiten greifen die Spaltungsstrategien des Kapitals in besonderer Weise: Deutsche werden gegen Migrantinnen und Migranten ausgespielt, dabei richten sich diese Ausgrenzungen in letzter Instanz immer auch gegen die eigenen Interessen (dazu: POSITION #1/2012). Diesem Ziel dient die offene rassistische Hetze der NPD genauso wie die Verbreitung pseudowissenschaftlicher Ressentiments etwa eines Sarrazins.
Um zu verhindern, dass die Faschisten im Verlaufe kommender Krisenschübe eine Massenbasis unter Jugendlichen aufbauen, haben wir in vielen Städten der Republik Bewegungen zur Schaffung nazifreier Zonen in Schulen, Stadtteilen und öffentlichen Gebäuden ins Leben gerufen. Insbesondere in Schulen konnten wir so zum Aufbau und zur Stärkung eines antifaschistischen Bewusstsein beitragen. Interessant ist hier vor allem das Beispiel aus Hannover: Hier haben sich 13 Schulen an der Aktion „Braune Tonne“ beteiligt: Sollten sich an den Schulen Nazis blicken lassen, kann deren ,Material‘ gleich in eigens dafür vorgesehenen Mülltonnen entsorgt werden. Zusätzlich erhielten die Schülerinnen und Schüler eine gemeinsam erstellte Schülerzeitung vom StadtschülerInnenrat und der SDAJ.
Antifaschistisches Bewusstsein schaffen
In Hannover, wie auch in anderen Orten konnte die SDAJ vor allem mit der Erklärung „Nazifreie Zonen schaffen!“ ein antifaschistisches Bewusstsein unter Jugendlichen stärken. Das wichtigste Argument ist hier die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes für die eigenen Interessen aller Jugendlicher: Nicht die migrantischen Kolleginnen und Kollegen, sondern die Banken und Konzerne sind unser Gegner!
Mit dieser Orientierung haben wir uns auch an der Mobilisierung breitest möglicher Bündnisse gegen Naziaufmärsche beteiligt – ob bundesweit in Dortmund, Dresden und Hamburg oder bei Blockadeaktionen vor Ort. Dabei kann die Werbung für ein NPD-Verbot auch künftig ein erster Schritt sein, mehr Jugendliche dafür zu gewinnen, Nazis selbstbewusst entgegenzutreten und ihnen den öffentlichen Raum strittig zu machen: Wenn wir sie davon überzeugen, dass Faschisten objektiv Funktionen erfüllen, die das kapitalistische System stärken, das ihnen das Grundrecht auf Bildung, Arbeit und Frieden verwehrt, dann verstehen sie auch, warum man sich nicht auf den Staat verlassen kann, sondern selber nazifreie Zonen schaffen muss – und zwar ganz konkret!
Thomas, München & Björn, Hannover