Es gibt Unternehmen, da scheint die Welt auf den ersten Blick noch in Ordnung zu sein. Insbesondere im hochqualifizierten Bereich, z.B. in reinen Ingenieursbetrieben, gibt es oftmals gute Arbeitsbedingungen, eine überdurchschnittliche Bezahlung und flexible Arbeitszeiten. Jörg ist nach seinem Studium in genau so einem Betrieb gelandet. Hier wird die Bezahlung für die mehrere tausend Beschäftigten sogar in einem Haustarifvertrag geregelt, der besser ist als der Flächentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie.
Also eine heile Welt? Jörg ist sich bewusst darüber, dass die guten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen nicht vom Himmel gefallen sind. „Die IG Metall hat hier in harten Verhandlungen und Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung viel erreicht“, weiß er und ist selbstverständlich Mitglied in der Gewerkschaft. Der Organisationsgrad unter Ingenieuren ist allerdings generell eher schwach. So auch in Jörgs Betrieb.
Aber auf eine starke Gewerkschaft wird es hier bald wieder ankommen. So hat erst neulich die Geschäftsführung eine neue Strategie vorgestellt, um innerhalb von wenigen Jahren den Gewinn enorm zu steigern. „Das geht nicht ohne Einsparungen bei den Personalkosten“, befürchtet Jörg. Daher wird es in der nächsten Tarifrunde um den Haustarifvertrag darauf ankommen, dass die IG Metall Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben kann, um Verschlechterungen bei der Bezahlung zu verhindern.
Doch dieser Druck muss aus der Belegschaft kommen. Lautes Engagement und Aktionen sind nötig, um zu zeigen, dass die Beschäftigten hinter der IG Metall stehen. Nur so kann diese aus einer Position der Stärke heraus agieren. Doch meistens trauen sich die Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter nicht, die Belegschaft in die Tarifverhandlungen mit einzubeziehen, weil sie Angst haben, dass die Mobilisierung misslingt. Und oftmals sehen die Beschäftigten allein die Tarifkommission in der Verantwortung, ein gutes Ergebnis zu verhandeln. So ist es auch bei den Kollegen von Jörg: „Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Weil die Kollegen nicht gefordert werden und ihnen keine Beteiligungsangebote gemacht werden, entwickeln sie auch keine Kampfbereitschaft“.
Dass es auch anders geht, haben Jörgs Kollegen dabei schon längst bewiesen. Als vor ein paar Jahren wegen der Krise die ansonsten üblichen Einmalzahlungen, die die Belegschaft am Geschäftserfolg beteiligen, ausgesetzt werden sollten, hat die IG Metall tatsächlich einmal eine Kundgebung organisiert. Der Druck von nur 500 Teilnehmern hat dann dazu geführt, dass die Geschäftsführung am nächsten Tag sofort angekündigt hat, zumindest einen Teil der Einmalzahlungen doch auszuzahlen. „Da hat man gesehen, dass die Geschäftsführung unter Druck gerät und Angst davor hat, wenn sich die Belegschaft formiert“.
Thomas, München