Wenn Schule krank macht…

veröffentlicht am: 29 Mai, 2013
(Foto: Bernd Schmitz, CC)

(Foto: Bernd Schmitz, CC)

Burnout ist längst auch in den Klassenzimmern angekommen.

Mit dem Umstieg auf das G8 wurde in den Gymnasien ein Jahr Unterrichtszeit gestrichen. Der Stoffumfang hat sich aber in der Regel nicht verringert. Für viele SchülerInnen sind die Anforderungen daher kaum noch zu bewältigen. Sie sind überfordert. Und ist es schwer, Hilfe zu finden: „Wenn wir mit LehrerInnen über das Problem reden, sind die auch oft ratlos. Sie verstehen uns, aber wissen nicht, wie die den vorgegebenen Stoff in den wenigen Unterrichtsstunden durchdrücken sollen. Allen ist bewusst, dass uns dieser Leistungsdruck kaputt macht“, berichtet Leo, der in München aufs Gymnasium geht. Leo ist 17 Jahre alt. Nächstes Jahr soll er sein Abi machen. Den Druck spürt er schon jetzt: „Ich habe vier Tage die Woche Nachmittagsunterricht bis 16 oder 17 Uhr und bin danach meistens ausgelaugt und nicht mehr in der Lage noch Hausaufgaben zu machen oder zu lernen.“ Und andererseits: „Aus Angst vor unangekündigten Tests, schwänze ich dann manchmal auch die Schule, um den Stoff aus dem Unterricht nachzuholen.“

Burnout-Faktor Schule

In der Berufswelt ist Überlastung lange schon zur Normalität geworden. Der Begriff „Burnout“ ist in diesem Zusammenhang in aller Munde. Gemeint ist damit ein Zustand der totalen Erschöpfung. Müdigkeit, sinkende Leistungsfähigkeit und Unlust sind Zeichen ständiger psychischer Belastung. Man zieht sich zurück, vernachlässigt Kontakte zu Freunden und Familie, ist depressiv gestimmt und stark suchtgefährdet. Dauerstress und Erschöpfung häufen sich mit dem zunehmenden Leistungsdruck in der Arbeitswelt. So sind die durch Burnout bedingten Arbeitsausfälle von 2004 bis 2012 um 700% angewachsen – Tendenz weiter steigend. Doch Leistungsdruck gibt es eben nicht nur in der Berufswelt, sondern folgerichtig auch in der Schule. Unter diesem Druck leidet das Sozialleben – für Hobbies, Freizeit und Freunde bleibt dann keine Zeit mehr. Leo schiebt Krankheitstage vor, um zu lernen und verpasst damit Unterricht, den er wieder nachholen muss. Er gerät damit in eine Abwärtsspirale, die krank macht und die Burnout-Gefahr enorm erhöht.

Ein „unsichtbares“ Phänomen

Anders als in der Arbeitswelt gibt es bisher keine wissenschaftlichen Befunde über das Ausmaß von Burnout-Fällen bei SchülerInnen, denn das Phänomen ist gesellschaftlich kaum sichtbar. Aufgrund des sich zuspitzenden Leistungsdrucks steigt die Burnout-Gefahr vor allem während der Abschlussphase. Weil danach aber meist erstmal Leerlauf angesagt ist, fallen Burnouts gar nicht auf. Es kommt z.B. nicht zu krankheitsbedingten Fehltagen an einem Arbeitsplatz, die von den Krankenkassen statistisch erfasst werden könnten. Aber wer nach seinem Schulabschluss in ein tiefes Loch fällt, sich von der Außenwelt abkapselt und sich nicht mehr motivieren kann für seine bisherigen Zukunftspläne (z.B. die Bemühung um einen Ausbildungs- oder Studiumsplatz); wer einfach nur fertig ist und daher für einen längeren Zeitraum seinen Arsch nicht mehr hochkriegt, der zeigt deutliche Symptome von Burnout. Wenn dann noch die Eltern schweigen, weil sie sich sorgen, was denn die Nachbarn denken könnten, bleibt das Problem gänzlich unsichtbar.

Sichtbar werden Burnout-Fälle unter SchülerInnen hingegen leider oft erst, wenn es zu spät ist: Lucas, der in München zu den ersten G8-Absolventen gehörte, berichtet aus seiner Schule, dass sich in drei Jahren zweimal SchülerInnen wenige Wochen vor den schriftlichen Prüfungen das Leben genommen haben, weil sie dem Leistungsdruck nicht mehr Standhalten konnten. Beide waren normale SchülerInnen, hatten FreundInnen in der Schule und waren beliebt. Doch beide haben sich in den Monaten vor den Prüfungen immer mehr zurückgezogen und sich von ihrem sozialen Umfeld isoliert. In der Fachliteratur gilt Selbstmord übrigens als eine „extreme Verarbeitungsform“ und Folge des massiven Sinn- und Motivationsverlusts, der mit Burnout einhergeht.

Gegen-Druck

Bereits vor Jahren hatte der Bayrische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) vor einer Zunahme von Burnout-Symptomen bayrischer OberstufenschülerInnen gewarnt: „Viele Schülerinnen und Schüler sind bereits wenige Wochen nach Schulbeginn erschöpft, müde und ausgebrannt“, hieß es in einer Pressemitteilung. Als Ursache wurde der zunehmende Leistungsdruck durch die Einführung von G8 genannt. Heute haben auch immer mehr LandesschülerInnenvertretungen erkannt, dass Schule krank macht und kämpfen gegen das G8. Die LSV Nordrhein-Westfalen führt z.B. zur Zeit dagegen eine Kampagne durch. In ihrer Resolution schreibt sie: „Wir wollen so viel Zeit zum Lernen haben, wie wir brauchen. Wir wollen kein G8!“ Mit Podiumsdiskussionen, Straßentheatern und einer Aktionswoche soll die Forderung nach der Abschaffung des G8 verbreitet und diskutiert werden. Aber die Schulzeitverkürzung und der Druck, der daraus für uns SchülerInnen resultiert, sind keine zufällige Phänomene, die lediglich auf die Unfähigkeit einzelner BildungspolitikerInnen zurückgehen. Dahinter steckt System, und zwar das Profitsystem. Denn Schule ist im Kapitalismus kein Selbstzweck, sondern zielt in erster Linie auf die Nutzbarmachung potenzieller Arbeitskräfte für das kapitalistische Wirtschaftssystem. Deshalb wird eingespart, wo es möglich ist und Bildung nur so lange und so viel gewährt, wie es nötig ist, um Arbeitskräfte in ausreichender Zahl und Qualität zu „produzieren“.

Die Folgen für uns SchülerInnen: Druck. Leistungs- und Konkurrenzdruck. Diesen Druck müssen wir gemeinsam ablassen, indem wir unsererseits Gegen-Druck auf den Staat ausüben und uns zusammen mit unseren SchülerInnenvertretungen gegen Lernzeitverkürzung und Selektion einsetzen.

Mark, München

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