Nicht für alle verlief der Donnerstagabend nach dem Anti-Imperialistischen Tribunal so planvoll wie in unserem Tagebucheintrag beschrieben. Kein Entspannen im Hostel, keine Party mit den GenossInnen anderer Delegationen. Nichts Geringeres als die Eroberung des Präsidentenpalasts stand auf dem Programm zweier Genossen, die von ihrem Glück erst gar nichts wussten und zu Beginn nicht ahnen sollten, was sie dort erwarten würde…
Aber von Beginn an: Während sich das Tribunal seinem Ende näherte und die Richter sich zur Beratung vor der Urteilsverkündung zurückzogen, kam an einigen Stellen Hektik auf. Hanoi – ein cubanischer Genosse, der im Hauptquartier des WBDJ arbeitet und den ich vom Internationalen Vorbereitungstreffen für die Weltfestspiele in Madrid kannte – rannte eilig und in großer Anspannung durch die Reihen der Delegationen. Als er unsere Gruppe erreicht hatte, sprach er mich an und verkündete mir, befehlsartig, kurz und knapp: „Come, come to the meeting with the president!“. Ja, warum eigentlich nicht?
Nun, besagtes meeting with the president war uns schon beiläufig bekannt geworden und geisterte wie viele der mehr oder weniger vertrauenswürdigen Informationen durch die Köpfe. Allerdings hieß es auch, dass dort die Delegationsleitungen teilnehmen sollten. Also kurz den schon weitersprintenden Hanoi gefragt: „Hey, our head of delegation should already be at the meeting?!“ Darauf hieß es nur: „Doesn’t matter, go! Go over there!“. Tja, die Abendplanung sah bis dahin zwar anders aus, nochmal ein kurzer Blick in den Terminkalender und entschieden: „Na gut, lässt sich irgendwie einrichten, aber das ist dann das letzte Präsidentenmeeting diese Woche“. Kurz noch Max als einzigen Vertreter der Delegationsleitung eingepackt, das war nämlich auch egal. Hauptsache flott.
An der beorderten Stelle angekommen wurde dann klar, dass das Meeting ganz woanders stattfinden sollte und es sich dabei auch vielmehr um ein Dinner handelte. Der an uns runterwandernde Blick verriet: darauf sind wir auch klamottenmäßig bestens vorbereitet: Treckinghose bzw. Jeans, DKP-shirt mit Loch an, dicken Rucksack auf dem Rücken und auch ansonsten ein Aussehen wie aus dem Ei gepellt. Aber wenn der Raphael (der Präsi halt) uns unbedingt da haben will, na dann muss das wohl reichen. Dann ging’s auch direkt los im Bus zum Präsidentenpalast und wir tauschten uns mit einem österreichischen Genossen, der ebenso wie wir zu dieser Ehre gekommen war, darüber aus, was denn der Grund für diese Kamikaze-Aktion sein mochte. Die sich später als zutreffend erweisende Vermutung war, dass wir als Lückenfüller die Tische voll machen sollten.
Auf der Fahrt quer durch Quito stieg die Spannung, was da denn wohl auf uns zukommen würde, kontinuierlich an, bis wir dann endlich mit Hilfe der Polizeieskorte am Palast ankamen und dort eiligst in Empfang genommen wurden. Scheinbar war alles auf den letzten Drücker organisiert worden, zumindest unsere Teilnahme als gutaussehende Sitzplatzwärmer. Schnell mit unserem ganzen Krams durch den „Sicherheits“-check, der zumindest das Hineinschmuggeln von 5 kg Sprengstoff nicht hätte verhindern können, dann noch ein Blitz-Führung durch den Palast und schon ging’s in den Saal, wo die Feierlichkeit ihren Lauf nehmen sollte.
Der doch recht große und in kolonialem Stil prunkvoll ausgestaltete Saal war gefüllt mit den DelegationsleiterInnen der verschiedensten Länder, ggf. 1-2 Personen pro Land mehr, mit einigen Regierungsmitgliedern, einer Band, fleißigen Fotografen, jeder Menge Personal, das den Laden schmeißen musste und … ja und uns halt. Wer natürlich noch auf sich warten ließ, war der Präsi, denn der darf bei solchen Anlässen der Stimmung halber ja erst als letzter einlaufen.
Nun, an dieser Stelle könnte eine ausführliche Beschreibung der Festivität folgen, jedoch ist derzeit noch nicht geklärt, welche Informationen hierbei ggf. zu diplomatischen Verwicklungen führen könnten. Daher sehe ich davon ab, euch genauere Details über das Drei-Gänge Menü, den leckeren Weißwein, den fast ebenso guten Rotwein oder über die kurze Einleitungsrede Raphael Correas zu berichten. Vor allem aber erzähle ich lieber nicht zu viel über den Ablauf des Abends, der als offizielles Dinner startete, bald schon mit einigen musikalischen Einlagen des Präsidenten und seiner Minister aufgeheitert wurde und schließlich in einer großen Gesangs- und Tanzveranstaltung ausufertet. Polonaise mit dem Präsidenten Ecuadors, die Story erzähl ich dann in 20 Jahren noch auf dem Festival der Jugend allen, die es hören wollen oder auch nicht.
Irgendwann haben wir uns dann aus dem Palast geschlichen. Wie lange der feucht-fröhliche Abend noch ging, wissen wir nicht, auch nicht, ob Correa aufgrund seiner zahlreichen Gesangseinlagen am nächsten Tag noch sprechen konnte. Auf dem Rückweg konnten wir jedoch ein kurzes Resümee ziehen: Wenn das da im Palast immer so abläuft, dann macht regieren hier wohl reichlich Spaß und wenn Correa irgendwann mal nicht mehr Präsi ist, dann steht im eine Karriere als Entertainer offen. Bei Merkel konnten wir uns das alles nicht vorstellen…
Übrigens: ein paar wenige Bilder dieses Abends findet ihr auf der facebook-Seite der SDAJ.
Daniel, Quito