Keine Jugendsünde

veröffentlicht am: 21 Dez, 2013

Theorie: Die Kriegsgefahr entsteht aus den Gesetzen des modernen Kapitalismus – bis heute.

Bürgerliche Historiker beschreiben Imperialismus gern als längst überwundene Jugendsünde des Kapitalismus: Der Kolonialismus habe als Modeerscheinung des 19. Jahrhunderts größenwahnsinnige Politiker in einen Konkurrenzkampf getrieben. Die aggressive Außenpolitik europäischer Industrienationen und der daraus resultierende erste Weltkrieg war jedoch kein Ausrutscher, sondern eine logische Folge aus der Entwicklung des Kapitalismus.

Die Eroberung fremder Länder für neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte hat bereits viele Jahrhunderte zum politischen Standardrepertoire der Großmächte gehört. Mit zunehmender Industrialisierung werden die Kolonien immer wichtiger. Der technische Fortschritt und der Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmern, den nur wenige gewinnen, führen dazu, dass immer größere und mächtigere Banken und Konzerne entstehen. Mit der Großindustrie entstehen gigantische Monopole, die kleine Unternehmen zunehmend verdrängen und den Markt gemeinsam beherrschen, indem sie Absprachen über Preise und Produktionszahlen treffen. Die Märkte der europäischen Länder werden zu klein für die gigantischen Kapital- und Finanzmassen, neue profitable Geschäfte müssen außerhalb der Grenzen gesucht werden. Nun werden Kolonien zunehmend auch in die Produktion eingebunden und zum Adressaten von Investitionen. Nicht nur nationale Märkte und Rohstoffquellen, die ganze Welt wird unter den Monopolen aufgeteilt. Flankiert wird diese Entwicklung durch den imperialistischen Staat, der die Interessen seiner nationalen Industrien gegen die Besitzansprüche fremder Monopole und den Widerstand der Bevölkerung in den eroberten Kolonien durchsetzt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Welt schließlich zu klein: Die gewinnbringenden Gebiete sind aufgeteilt, der Expansionsdruck bleibt jedoch bestehen. Die Marktanteile eines Monopols können nur auf Kosten eines anderen größer werden. Aufstrebende Mächte wie das deutsche Kaiserreich geben sich mit ihrem Stück vom Kuchen nicht mehr zufrieden und kündigen die bestehenden Absprachen auf. Das Kräfteverhältnis im Konkurrenzkampf um Einflusssphären ist nicht stabil. Betriebe, Wirtschaftszweige und Nationalökonomien entwickeln sich unterschiedlich schnell. Wachsen die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen eines imperialistischen Landes schneller als die der Konkurrenz, wird es die bestehende Ordnung bald angreifen, um ein größeres Stück vom Kuchen zu erobern.

Die Konkurrenz zwischen großen, weltumspannenden Monopolen um Einflusssphären lässt sich nicht auf eine Phase kapitalistischer Pubertät zurückführen. Im Gegenteil, die Konzentration des Kapitals schreitet weiter voran. Auch wenn die Verteilungs- und Übernahmeschlachten zwischen Monopolen aktuell nicht wie im ersten Weltkrieg mit den härtesten Bandagen zwischen den imperialistischen Zentren selbst geführt werden: Wir erleben dieselbe Form der Konkurrenz, die keine friedliche Phase kennt. Wenn wirtschaftlicher und politischer Druck nicht mehr ausreichen, um die Aufteilung der Welt neu zu verhandeln, wird der Waffenstillstand nur allzu bereitwillig aufgekündigt. Noch heute befinden wir uns im Stadium des Monopolkapitalismus, das Lenin 1916 als Imperialismus bezeichnete.

Corinna, Bochum

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