Du bist Vorsitzende der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europaparlament und frisch gewählte Spitzenkandidatin der Partei „Die Linke“ für die kommende EU-Wahl. Zusammen mit dem thüringischen Linksfraktionschef Bodo Ramelow und dem Berliner Landesvorsitzenden Klaus Lederer hast Du in einem Antrag eine Änderung der Präambel des Linken-Wahlprogramms gefordert, welche die EU bis dato als „neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht“ beschrieb. Ihr habt euch auf dem Hamburger Parteitag durchgesetzt und die entsprechende Passage ist gestrichen worden. Auf einer Veranstaltung der „Linken“ in Thüringen vor dem Hamburger Parteitag hast Du erklärt, dass der Ersetzungsantrag das Ziel verfolgt, deutliche Kritik an der Politik innerhalb der EU zu benennen. Hier wird deutlich: Kritik an der Politik der EU ist in Ordnung, aber bitte nicht an der EU selbst.
In der Broschüre „Texte zur Europawahl 2014“ der Europaabgeordneten der Partei „Die Linke“ schreibst du, dass die EU sehr wohl geholfen hätten, den Frieden in Europa zu erhalten sowie nationalistische Tendenzen und Stimmungen zu bekämpfen. Außerdem zeigst du dich dort über ein mögliches Auseinanderbrechen der EU besorgt.
Um es kurz zu machen, Gabi: Wir sind auch besorgt. Wir sorgen uns um „Die Linke“ und ihre Realitätswahrnehmung. Die EU, von der Du glaubst, sie sei grundsätzlich friedenserhaltend, internationalistisch und mit ein paar Reformen vielleicht doch auch irgendwann demokratisch und sozial – die gibt es nicht. Was wir jetzt haben, ist ein Bündnis kapitalistischer Staaten, die zur Durchsetzung bestimmter gemeinsamer Interessen die EU gegründet haben. Die in den Gründungsverträgen der EU festgeschrieben Ziele sind eindeutig: Kapitalfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, freier Güterverkehr und Personenfreizügigkeit. Die ersten drei Freiheiten beschreiben die Freiheit der Kapitalbesitzer, frei von störenden Regulierungen, Zöllen und Rechten der Beschäftigten, so richtig Profit machen zu können. Mit der Personenfreizügigkeit wird gleichzeitig gewährleistet, dass auch immer genügend Arbeitskräfte genau dort hinziehen können, wo sie gerade zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft benötigt werden. Die EU ist keine fortschrittliche Einrichtung, die aufgrund der Unfähigkeit der neoliberalen PolitikerInnen vom rechten Weg abgekommen ist. Nur zur Erinnerung: bis zu 60 Stunden die Woche arbeiten, mörderische und rassistische Abschiebepolitik, Aufrüstung, Lohn- und Sozialdumping, Schuldenbremse und Milliarden zur Rettung der Profite der Banken: Das ist die EU.
Wenn „Die Linke“ sich selbst verbietet, die EU als »neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht« zu kritisieren, dann gibt sie damit letztendlich ihre guten Positionen für demokratische Rechte und gegen Krieg und Sozialabbau für die Hoffnung auf ein paar Ministersessel auf. In Hamburg habt ihr die Weichen dafür gestellt.
In diesem Sinne,
Daniel*, Bochum & das Zeitungskollekiv
* Daniel ist Mitglied der Partei „DIE LINKE“ und im Landesvorstand der Linksjugend [’solid] nrw.