Gedenken von KKE und DKP, KNE und SDAJ –Die totale Zerstörung von Anogia vor 70 Jahren
Unter dem Titel „Anogia 70 Jahre danach – der Kampf gegen den Faschismus und das System, das ihn aufgezogen hat“ stand ein gemeinsames Meeting der Griechischen Kommunistischen Partei (KKE) und dem kommunistischen Jugendverband (KNE) sowie der DKP und der SDAJ. Am 13. August 1944 war das größte Dorf Kretas auf Befehl des hoch dekorierten deutschen Generals Friedrich-Wilhelm Müller dem Erdboden gleichgemacht worden. 117 Männer, Frauen, Greise, Kinder, Säuglinge wurden grausam ermordet.
Diese Verbrechen, die jedem Kriegs- und Völkerrecht widersprachen, wurden in der Gedenkveranstaltung in ihren tieferen Ursachen und Zusammenhänge analysiert und dargestellt: Die Kriegsverbrechen waren der ebenso barbarische wie untaugliche Versuch, die geostrategischen Interessen des deutschen Faschismus’ und Kapitals zu sichern. Anogia und der gesamte Widerstand sollten bestraft und erneut eingeschüchtert werden, nicht länger die militärstrategischen Linien in Richtung Nordafrika, zum Kaspischen Meer und zum Nahen Osten zu tangieren.
Umgekehrt galt das militärische Engagement unter dem englischen Premierminister Winston Churchill nicht in erster Linie der Wiederherstellung der griechischen Autonomie. Die Kräfte der Selbstbefreiung in Griechenland und besonders auf Kreta zielten zugleich auf eine grundlegende Veränderung des politischen Systems. Genau das wollte Churchill nicht. Er dachte in den Dimensionen von Commonwealth und Antikommunismus. Es wird ihm der Satz zugeschrieben „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.“, und er meinte, dass die Sowjetunion und der Sozialismus hätten zerstört werden müssen, nicht aber das Deutsche Reich. Es ist daher nur folgerichtig, dass die Engländer in der Kriegsendphase auf der „Festung Kreta“ und dem “Festen Platz Kreta“ (Chania) mit den Nazitruppen, denen sie die Waffen nicht abnahmen, kooperierten, statt sie, wie vom griechischen Widerstand gefordert, an die Griechen zu übergeben.
Diese Betrachtungsweise, die Anogia nicht auf Militärgeschichte, Geschichtsrevisionismus und versöhnende Traditionspflege einengt, ging deutlich über die Gedenk- und Trauerveranstaltungen der Gemeinde Anogia hinaus.
Nach der Eröffnung durch …(KNE) und dem Willkommensgruß von… , Sekretär der KKE-Parteiorganisation von Anogia, legten die Delegationen der SDAJ, KNE, DKP und KKE am Mahnmal ihre Kränze nieder. Die Aufschrift auf der gemeinsamen Kranzschleife von DKP und SDAJ lautete „ΠΟΤΕ ΠΙΑ ΦΑΣΙΣΜΟΣ ! – NIE WIEDER FASCHISMUS!“
In seiner Begrüßung betonte Jan Dörfler, Leiter der Delegation der
SDAJ, am Beispiel der Ermordung der Widerstandskämpferin Evangelia
Kladou aus Anogia, dass Faschismus kein Betriebsunfall, kein Zufall
und keine Verkettung unglücklicher Umstände sei, sondern seine
Grundlagen im Kapitalismus liegen:
„Wir gedenken hier auch unserer ermordeten Genossin und Widerstandskämpferin gegen den Faschismus, Evangelia Kladou, die hier in Anogia geboren wurde und beerdigt ist. Evangelia kämpfte mutig in den Reihen von EAM (Nationale Befreiunsgfront) und ELAS (Griechische Volksbefreiungsarmee) gegen die faschistischen Besatzer. 1945 wurde Griechenland nicht frei. Stattdessen wurde – aus Angst vor der Stärke des griechischen Widerstands – mit Hilfe des britischen Militärs eine Regierung installiert, deren Aufgabe es war, die Herrschaft des Kapitals zu schützen und es nicht zu einer vollständigen Befreiung des griechischen Volkes durch den Sozialismus kommen zu lassen. Erneut waren es Genossinnen und Genossen wie Evangelia, die in der DSE (Demokratische Armee Griechenlands) den Widerstand gegen die Unterdrückung fortsetzten. 1949 wurde Evangelia von Einheiten der monarchistisch-bourgeoisen Regierung ermordet. Zwei Jahre zuvor war bereits die KKE verboten worden. Und so ist es auch heute: Gerade wurde mit Hilfe der EU und allen voran Deutschland in der Ukraine ein faschistoides Regime an die Macht geputscht. Ende letzten Monats wurde die Fraktion der Kommunistischen Partei der Ukraine aufgelöst und ein Verbotsverfahren eingeleitet. Deutlich wird erneut: Wenn es den Interessen des Kapitals dient, zögern die Herrschenden nicht, erneut diese offen terroristische Diktatur des Finanzkapitals als Herrschaftsform zu wählen.Wir setzen dem die Solidarität zwischen den Klassen, die Solidarität zwischen der griechischen und der deutschen Arbeiterklasse, zwischen kleinen Handwerkern und Bauern, zwischen KKE, DKP, KNE und SDAJ entgegen! Ewiges Andenken an die Evangelia Kladou!
Hoch die internationale Solidarität! Hoch lebe der antifaschistische Widerstand! Für den Sozialismus! Gia ton sosialismó! Για τον σοσιαλισμó!“
Prof. Dr. Giorgos Margaritis, Geschichtsprofessor an der Aristoteles-Universität von Thessaloniki, skizzierte die grausame Chronik des Massakers von Anogeia. In seinem faktenreichen Vortrag bilanzierte er die Verluste, die von marodierenden deutschen Truppen zu verantworten waren – ohne dass sie nach Kriegsende dafür zur Verantwortung gezogen wurden.
General Müllers Befehl lautete: „Da die Stadt Anogia ein Zentrum der englischen Spionagetätigkeit auf Kreta ist, da die Einwohner Anogias den Sabotageakt von Damasta ausgeführt haben, da die Partisanen verschiedener Widerstandsgruppen in Anogia Schutz und Unterschlupf finden und da die Entführer Generals Kreipe ihren Weg über Anogia genommen haben, wobei sie Anogia als Stützpunkt bei der Verbringung nutzten, befehlen wir, den Ort dem Erdboden gleichzumachen und jeden männlichen Einwohner Anogias hinzurichten, der innerhalb des Dorfes oder in seinem Umkreis in einer Entfernung bis zu einem Kilometer angetroffen wird.“
Björn Schmidt überbrachte als Delegationsleiter und Mitglied des Parteivorstandes die solidarischen Grüße der DKP. Er knüpfte an die jüngste halbherzige Beileidsbekundung von Joachim Gauck in Lyngiades an, als der Bundespräsident die Opfer um „Verzeihung“ bat, gleichzeitig aber jegliche Reparationszahlungen für die Verbrechen der Wehrmacht und Wirtschaft strikt ablehnte. Abgelehnt wurde, die deutschen Zwangsanleihen (476 Millionen Reichsmark – 3,5 Milliarden US-Dollar) wieder zurückzuzahlen. Die gesamten Reparationskosten gehen um die 25 Milliarden Euro. Statt sich als Täter zu begreifen, würden sich die deutschen Invasoren auch heute noch als Opfer stilisieren.
Deutschland habe weder in der Innen- noch in der Außenpolitik konsequent mit dem Faschismus gebrochen. Morde wurden nicht verfolgt, Nazis sogar gedeckt, finanziell und geheimdienstlich unterstützt. Außenpolitisch zeige sich diese Haltung in Kontakten mit faschistoiden Regierungen wie etwa der Ukraine. Fremdenfeindlichkeit sei auch in Regierungskreisen an der Tagesordnung: „Die Griechen“ seien faul, Südosteuropäer und Afrikaner Sozialschmarotzer.
Entsolidarisierung sei das Ziel, das hinter dieser Politik stehe. Vereinzelung, Konkurrenz und Ausgrenzung aber seien wesentliche Merkmale des Kapitalismus. Björn Schmidt setzte dagegen: „Wir setzen auf die Solidarität zwischen den griechischen und den deutschen Werktätigen. Wir kämpfen gegen die Verfälschung der Geschichte, gegen die Expansionspläne des deutschen Imperialismus, gegen die Aggressionen von NATO und EU, für eine Welt ohne Kapitalismus und Krieg, für den Sozialismus. Hoch die internationale Solidarität!“
Nikos Manousakis, Mitglied des Büros des Regionalkomitees Kreta der KKE, zeigte die aktuelle soziale und politische Situation in Griechenland auf. Engagiert kritisierte er die EU und de Parteien, die in Brüssel und Straßburg Rettung für Griechenland suchen. Ebenso galt seine Kritik der Kriegspolitik im Nahen Osten und in der Ukraine, die gegen die Volksmassen gerichtet sei.
Es folgten ein kretisches traditionelles Live-Programm mit einer lokalen Musikgruppe und kretische Tänze, dargeboten von einer Tanzgruppe „Aetos“ (Adler) aus der Region. Bei der Veranstaltung auf dem Rathausplatz an der „Straße zum 13. August 1944“ gab es zudem zahlreiche Gespräche am KNE-Stand gegenüber dem KKE-Büro und am Bücher-Stand.
Die Gäste der DKP und der SDAJ hatten dazu ein eigenes Flugblatt in griechischer und deutscher Sprache vorbereitet. Darin drückten sie ihre Bewunderung und ihren Respekt für die „Andartes“ (Partisanen) im Volkswiderstand aus. Mord und Verbrechen der Nazis, aktuelle wirtschaftliche und politische Knebelung hätten die Menschen nicht gebrochen. Die Delegation unterstützte die griechischen GenossInnen in ihrer Forderung nach einer umfassenden Entschädigung. Die zahlreichen Gäste aus der Insel-Hauptstadt Heraklion, aus Rethymnon und benachbarten Orten hatten eine späte Heimfahrt…
Auf den Spuren der Partisanen: Exkursion zur Nida-Hochebene
Der kurvenreiche Weg von Anogia zur Nida-Hochebene – vorbei an tiefen Schluchten, Deckung gebender Macchia und dicken Felsen – vermittelte einen Eindruck von den Verstecken und Fluchtwegen der Partisanen. Und von der lebensgefährlichen Entführung des gefangen genommenen deutschen Generals Heinrich Kreipe zur Südküste Kretas. Nach rund drei Wochen Fußmarsch wurde Kreipe nach Ägypten ausgeschifft. Die Sühnemaßnahme der faschistischen Wehrmacht in sechs Dörfern: 176 Tote.
Den Partisanen haben die Künstlerin Karina Raeck und die Hirten aus Anogia ein Denkmal gesetzt: die Landschaftsskulptur „Andartis – Monument für den Frieden“. 5000 Steine, 32 Meter lang, 9 Meter breit, in der Form eines beflügelten Partisanen. In der Zeit der Besetzung bildeten die Felsbrocken einen „antifaschistischer Schutzwall“, denn verteilt über die Hochebene verhinderten sie, dass hier Flugzeuge mit Hakenkreuz-Zeichen landen konnten.
Exkursion nach Sisarcha: Mit 30 Jahren enthauptet
Auch einem Einzelschicksal – stellvertretend für viele Opfer – ging die Delegation nach. Auf dem kleinen Friedhof von Sisarcha (etwa 60 Einwohner) bei Anogia liegt Evangelia Kladou (KKE und ELAS) in einem Familiengrab mit ihren Eltern. Sie war 30 Jahre alt, als sie am 6. Dezember 1949 mehr als drei Jahre nach Kriegsende in Chania (Kreta) ermordet wurde. Die Reaktion enthauptete die junge Lehrerin im Bürgerkrieg, ihr Kopf wurde von der zügellosen griechischen Soldateska aufgespießt und durch die Dörfer getragen. Doch statt des erhofften Beifalls für ihren antikommunistischen Mord gab es tiefe Verachtung. Ihr Leichnam konnte erst Jahre später in ihr Heimatdorf übergeführt werden. Außerordentlich eindrucksvoll war die Begegnung mit den überlebenden Geschwistern, die gerührt ebenfalls das Wort ergriffen und eindrucksvoll schilderten, wie ihre Schwester ermordet worden war.
Evangelia war schon zu Beginn der italienischen und deutschen Besetzung Kretas eine sehr engagierte Widerstandskämpferin, die die Auszeichnung Kapetanissa bekam. Vor dem Antikommunismus der Nazis konnte sie sich verbergen. Vor dem Antikommunismus der griechischen Nationalisten im Bürgerkrieg konnte sie nicht fliehen.
Die Teilnehmer der Delegation legten am Grab Blumen nieder und eine Kranzschleife mit dem Aufdruck „Unsterblich!“ Es gelang, Kontakt zu anderen Dorfbewohnern und Kindern ehemaliger Widerstandskämpfer aufzunehmen. Ein Ausblick: Die Genossen überlegten, wie sie die zwischenzeitlich in Mitleidenschaft gezogene Grabplatte wieder mit den fehlenden Buchstaben komplettieren können. Das wurde mit den Angehörigen geklärt, die schon ihre generelle Zustimmung erteilt haben.
Exkursion nach Sfakaki: Widerstand der ELAS Anogia
Einen vorläufigen Abschluss fanden die Exkursionen mit einer Fahrt nach Sfakaki, wenige Kilometer nördlich von Anogia. Dieser Ort ging in die Geschichte des Widerstands ein, weil es Lefteris Aerakis (auch: Ntarolefteris) in der „Schlacht von Sfakaki“ gelang, mit sieben anderen Kämpfern der Griechischen Volksbefreiungsarmee (ELAS) 98 Frauen und Kinder zu befreien, die von den Nazis als Geiseln genommen worden waren. Als Aerakis im Alter von 93 Jahren starb, wurde er in Anogia unter großer Anteilnahme beerdigt.
Telemachos Stavrakakis, der die Delegation als Zeitzeuge ständig begleitete, war 1944 15 Jahre alt, als er als jugendlicher Widerstandskämpfer Kurierdienste für die ELAS übernahm.
Auffallend war für die Delegierten von DKP und SDAJ die große Anteilnahme der Bevölkerung an den Veranstaltungen. Der Rathausplatz war brechend voll. Unter den Gästen: Manolis Kalergis, Anogias neuer Bürgermeister, Antonis Roulios von der KKE-Ratsfraktion, der Priester des Dorfes und Georgios Skoulas, der das Museum seines Vaters mit Plastiken und Bildern aus dem Widerstand betreut.
Uwe Koopmann