Die Streiks in den Sozial- und Erziehungsdiensten. Eine Reportage.
Der Lärm ist ohrenbetäubend. An eine Unterhaltung ist im Augenblick nicht zu denken. 20.000 Streikende sind zur Streikdemonstration der Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten (S&E) nach Düsseldorf gekommen. Das sind 10.000 mehr als die Gewerkschaft erwartet hatte – und alle scheinen mindestens eine Trillerpfeife, Ratsche oder ähnliches mitgebracht zu haben. Als die zuständige Landesministerin (SPD) spricht, drehen sich viele um. Die Rede besteht aus Lippenbekenntnissen. „Wir wollen Taten sehen“, rufen ihr Tausende entgegen. Wer dachte, man hätte es hier mit lieb-naiven Tantchen zu tun, die von 9-15 Uhr mit ein paar Kindern spielen, wird eines besseren belehrt: 20.000 starke (fast ausschließlich) Frauen, die genau wissen was sie wollen: Eine Aufwertung ihrer Arbeit. Das Selbstbewusstsein, das sie dabei ausstrahlen, ist fast mit Händen greifbar.
Die Vorgeschichte
Vier Wochen lang wurde gestreikt, flächendeckend, in ganz Deutschland und im Laufe der Zeit konnte der Streik sogar noch ausgeweitet werden, weil sich immer mehr Beschäftigte angeschlossen haben. „Die Dynamik, die dieser Streik hatte, ist ohne den Tarifabschluss von 2009 nicht zu verstehen.“, erzählt Christa, Leiterin einer Kindertagesstätte in Nürnberg. Das Ergebnis war von vielen als sehr negativ bewertet worden. Gleichzeitig nimmt der Druck auf die Beschäftigten ständig zu und es fehlen viele ausgebildete Kräfte. Immer mehr Aufgaben müssen bewältigt werden – ohne mehr Personal, ohne mehr Mittel, ohne entsprechende finanzielle Anerkennung und ohne die Vorbereitungszeit zu berücksichtigen. „Das hat viele Kolleginnen auf die Palme gebracht und dann eben auch auf Straße.“
Vorbildcharakter
Trotzdem ist ein Streik in diesem Bereich schwieriger. Normalerweise kostet ein Streik das Unternehmen Geld. Das ist im sozialen Bereich anders. Die kommunalen Arbeitgeber müssen während des Streiks keinen Lohn zahlen. Das entlastet die Haushalte sogar. Immer wieder kommt auch das Argument, der Streik werde auf Kosten der Eltern und Kinder ausgetragen. Dabei haben viele für den Streik großes Verständnis – vielleicht ein Grund, warum die BILD 250€ pro Negativbericht von Eltern über den Streik zahlte. „Wir haben sehr viel Solidarität von Seiten der Eltern erlebt“, berichtet Konni, Erzieher und Betriebsrat in Trier.. „Bevor der Streik losging, haben wir die Eltern über eine Info-Zeitung informiert. Als sie vom Streik hörte, kam eine Mutter auf mich zu und sagte: `Wir bekommen in der Pflege auch so wenig und die Arbeitsbedingungen sind auch scheiße. Das ist total super, dass ihr jetzt kämpft`.“ Der Streik hat Vorbildcharakter für andere Bereiche. Er beweist schon jetzt: Es geht! Es ist möglich im sozialen Bereich zu streiken. Obwohl die Belegschaft wollte, wird Konnis Einrichtung schlussendlich überhaupt nicht zum Streik aufgerufen. Denn obwohl das Geld von der Stadt kommt und auch nach Tarifvertrag gezahlt wird, ist der offizielle Träger eben nicht die Stadt. Das ist bei den meisten KiTas in Deutschland so. „Rechtlich ist das eine unklare Situation.“, meint Konni, „und übrigens ein Riesen-Skandal! Wir sind direkt von der Auseinandersetzung betroffen, dürfen aber nicht streiken.“ Hintergrund ist das restriktive deutsche Streikrecht. Während in anderen Ländern Solidaritäts- oder politische Streiks möglich sind, darf in Deutschland nur innerhalb einer Tarifauseinandersetzung gestreikt werden – und selbst dann nicht immer – wie bei Konni.
Notwendige Solidarität
In Hamburg haben Eltern die Initiative „Eltern-in-Solidarität“ ins Leben gerufen. Sie unterstützen den Streik, „zum Beispiel indem wir in den Räumlichkeiten unserer KiTa als Eltern eine Betreuung organisiert. Dabei war es uns wichtig deutlich zu machen, dass wir das explizit als Unterstützung des Streiks sehen.“, erzählt Jella, eine der Organisatorinnen. Der Streik trifft die Eltern natürlich. Für viele ist es sehr kompliziert alternative Betreuungsmöglichkeiten zu finden. Um ihre Solidarität auszudrücken und größere Öffentlichkeit zu schaffen, hat die Eltern-Initiative einen Offenen Brief verfasst, verteilt und in vielen KiTas ausgehängt. Darin machen sie auch klar: Die Kommunen versuchen den Streik auf dem Rücken der Eltern auszusitzen, in der Hoffnung, dass die Streikenden irgendwann unter dem öffentlichen Druck einknicken und aufgeben. Auch hier zeigt sich die politische Dimension dieses Streiks: Wer entscheidet eigentlich wofür Geld ausgeben und wo welches eingenommen wird? „Bis 2013 hat die Dauerbaustelle Elbphilharmonie 789 Millionen Euro Steuergeld verschlungen; für die Olympia-Bewerbung werden jetzt viele Millionen an öffentlichen Mitteln ausgegeben und eingeplant.“, schreiben die Eltern im Offenen Brief. „Wir fordern die Eltern auf sich ihre Gebühren zurückzuholen. Wenn die Träger während des Streiks keine Betreuung bieten, warum sollten die Eltern dann zahlen? Wir streiken für bessere Betreuung der Kinder. Die kommunalen Arbeitgeber sind für die Misere verantwortlich.“, erklärt Christa. Die Rückforderung der Gebühren ist gut für die Eltern und zusätzlich eine wichtige Unterstützung für den Streik – auf diese Weise geht es den kommunalen Arbeitgebern doch ans Geld und das übt Druck aus. „Und nur so als Idee: Wenn die Betreuung in der KiTa nicht gewährleistet ist, würde ich mein Kind im Rathaus abgeben und da betreuen lassen. Am besten gemeinsam mit anderen und die Presse dazu einladen.“ sagt Christa und lacht.
Ablehnung der Schlichtung
Nach vier Wochen Streik riefen die Arbeitgeber die Schlichtung an und die Streiks mussten vorerst beendet werden. Bei einer Schlichtung soll ein Kompromiss gefunden werden, um die Auseinandersetzung beilegen zu können. „Das war aber kein Kompromiss, das war ein Schlag ins Gesicht“, berichtet Inga aus Frankfurt, Sozialarbeiterin und Delegierte zur Streikdelegiertenkonferenz, auf der die Schlichtung abgelehnt wurde. Für die große Mehrheit der Streikenden war der Vorschlag genau nicht das, wofür sie wochenlang gekämpft hatten. Gerade die untersten Einkommensgruppen und die jüngeren Beschäftigten wären bei Annahme des Schlichtungsvorschlags nahezu leer ausgegangen. Für einige wenige waren Verbesserungen vorgesehen, aber die Solidarität unter den Kolleginnen hielt an, sie haben sich nicht spalten lassen. Auch die lange Laufzeit von fünf Jahren stieß auf massive Ablehnung – erst dann wären erneute Lohnerhöhungen möglich. „Die Arbeitgeber haben sich keinen Millimeter bewegt, die sind zu keinerlei Zugeständnissen bereit.“, erklärt Inga die Situation. Das hat viele sehr wütend gemacht. „Umso dramatischer ist es, dass sich der ver.di-Vorsitzende Bsirske auf der Streikdelegiertenkonferenz dafür ausgesprochen hat, den Vorschlag anzunehmen. Damit ist er den Streikenden in den Rücken gefallen. Aber wir haben aus 2009 gelernt. Wir werden uns nicht erneut einfach abspeisen lassen.“
demokratisch und kämpferisch
Der Streik war bisher auch deshalb so stark, weil viele Gewerkschaftsmitglieder in die Diskussion um Forderungen und Aktionen mit einbezogen wurden. „Hier hat es eine richtige Demokratisierung der Gewerkschaft von unten gegeben. Deshalb ist auch die Streikbeteiligung so hoch.“, erklärt Christa. Die übergroße Mehrheit der Kolleginnen steht fest hinter ihren Forderungen, denn es sind ihre eigenen . Die Stimmung war und ist eindeutig für die Fortsetzung des Streiks, berichten Christa und Inga aus ihren Regionen. Beide hatten vorher auf Konferenzen mit den Kolleginnen über den Vorschlag diskutiert und in beiden Fällen hatten die Streikenden abgestimmt. In beiden Fällen gab es nicht eine Stimme für den Schlichterspruch. Entsprechend groß war die Freude über die Ablehnung, aber auch die Wut auf den „Kompromiss“, den die Arbeitgeber anboten und auch auf die ver.di-Führung, weil die sich für den „Kompromiss“ ausgesprochen hatte. „Diese Wut müssen wir dafür nutzen betriebliche Interessenvertretungen und Vertrauenskörper aufzubauen“, meint Inga, „damit sich keine Resignation ausbreiten kann und wir uns langfristig organisieren. Wir verlangen aber auch, dass sich die Gewerkschaften komplett und umfassend hinter unsere demokratisch beschlossenen Forderungen stellen. Für diese Farce haben wir uns nicht wochenlang den Arsch aufgerissen und einen der größten Streiks der jüngeren Geschichte organisiert.“
erste Ergebnisse, nächste Schritte
Bisher war die Beteiligung an den Streiks enorm. In Frankfurt gab es phasenweise jeden Tag Treffen der Streikenden mit diversen Aktionen. Es wurden Einrichtungen besucht, die noch nicht im Streik waren und unzählige neue Mitglieder in die Gewerkschaft aufgenommen. Oft sind die Tage für die Aktiven deutlich länger als acht Stunden. Frankfurt ist dabei kein Einzelfall, sondern die Regel. „Das, was hier passiert ist, kann man kaum in Worte fassen.“, meint Inga. „Dieser Streik ist Gold wert. Wir haben uns organisiert und vernetzt, wir haben Solidarität erfahren, das ist unglaublich, wir sind dabei eine Vertrauensleutestruktur aufzubauen und wir haben viel gelernt. Das alles kann uns niemand mehr nehmen, egal wie diese Auseinandersetzung ausgeht.“ Eine Kollegin sagt: „Wer jetzt noch an Sozialpartnerschaft glaubt, glaubt auch an den Osterhasen.“ Das ist das Ergebnis der konkreten Erfahrungen mit dem Arbeitgeber. „Der ist kein Sozialpartner, der ist ein Schwein.“, so die Kollegin. In der Presse liest man viel über angeblich schwindende Solidarität, über sinkende Streikbereitschaft. Inga hält dem entgegen: „Wir haben gezeigt, dass in diesem Bereich flächendeckende, unbefristete Streiks möglich sind. Wir alles andere als wehrlos sind. . Es gibt gigantische Solidarität von den Eltern und darüber hinaus. Wir werden weiter mit vielen Aktionen in der Öffentlichkeit sein, wir sind da sehr kreativ. Wer diesen Job macht, ist Dauerstress mehr als gewohnt und wir sind noch lange nicht am Ende der Fahnenstange.“ Wenn nicht in dieser, dann in der nächsten Tarifauseinandersetzung.
Jann, Essen