Die geheuchelte Willkommenskultur und ihre Profiteure
In den letzten Monaten ging eine Welle der Euphorie durch die bürgerliche Medien- und Parteienlandschaft. „Deutschland, einig Helferland“ titelte die BILD-Zeitung und vielerorts sprach man von einem neuen „Sommermärchen“ oder von der „deutschen Willkommenskultur“. Die Tatsache, dass in Deutschland wieder Asylbewerberheime brennen, oder dass weiterhin tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, wird dabei bewusst ausgeblendet. Wenn Sigmar Gabriel und Til Schweiger gemeinsam ein neues Flüchtlingsheim eröffnen, ist schnell vergessen, dass ersterer Waffenexporte an Saudi-Arabien und Katar bewilligte und letzterer den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan öffentlich unterstützt. Ein Großteil der Flüchtlinge, die in Deutschland Anträge auf Asyl stellen, kommt aus ehemaligen oder aktuellen Kriegsgebieten, in denen die BRD eine direkte oder indirekte Rolle spielt. Im bisherigen Jahr 2015 stammten 22,9 % der Anträge aus Syrien, 19 % aus Serbien und dem Kosovo und jeweils über 5 % aus Afghanistan und dem Irak.
Flüchtlinge aus Serbien oder dem Kosovo werden häufig als „Wirtschaftsflüchtlinge“ betitelt. Nicht erwähnt wird dabei, dass es auch hier Krieg war, der die Menschen aus diesen Ländern bis heute zur Flucht treibt. Im Kosovo leben rund 45 % der Bevölkerung in Armut und 16 % in extremer Armut. Die Arbeitslosenquote beträgt 46 % und die Kindersterblichkeit ist die höchste in ganz Europa. All das ist zu großen Teilen eine Folge des blutigen Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien, der von Staaten wie der BRD nicht nur angeheizt worden ist, sondern in den diese auch militärisch direkt eingegriffen und dabei das Völkerrecht gebrochen haben. Die serbische Hauptstadt Belgrad wurde von der NATO rücksichtslos bombardiert, inklusive ziviler Gebäude und nichtmilitärischer Produktionsanlagen. Durch den Einsatz von Streubomben nahm man tote Zivilisten und zerstörten Wohnraum bewusst in Kauf. Bis heute sind viele Gebäude und Industriekomplexe nur teilweise oder gar nicht wiederaufgebaut worden. Die damals ebenfalls eingesetzte Uran-Munition hat große Teile des Grundwassers im Kosovo verseucht. Die Besatzungsarmee Bundeswehr lässt deswegen ihr Trinkwasser importieren. Die Bevölkerung hat derartige Möglichkeiten nicht, aber dafür ein stark erhöhtes Krebsrisiko oder Missbildungen bei Neugeborenen. In diesem Zusammenhang von einem „sicheren Herkunftsland“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ zu sprechen, ist zynisch.
Moralische Appelle werden an der Situation jedoch nichts ändern. „Refugees Welcome“ darf nicht nur die direkte materielle Hilfe für Flüchtlinge, sondern muss auch die Bekämpfung der Fluchtursachen bedeuten. Die Fluchtverursacher sitzen auch und gerade in Deutschland. Es sind die deutschen Banken und Konzerne, deren Profite die Bundesregierung mit Kriegen in aller Welt sichert. Sie sind aber nicht nur die Verursacher, sondern auch die Profiteure. Gut ausgebildete, aber vor allem billige, Fachkräfte strömen nach Deutschland. Wenn Reaktionäre wie Hans-Werner Sinn jetzt fordern, Geflüchtete zwecks „besserer Integration“ vom Mindestlohn auszuschließen, dann zeigt das vor allem eins: Dieser ganze dreckige Rassismus, von Freital bis FAZ, soll uns spalten, uns gegen einander ausspielen. Wir müssen begreifen: Jeder Geflüchtete steht uns tausendmal näher als jeder Arbeitgeber, Banker oder Regierungsminister.
Leo, München