Über Familie, Beruf, unsere Interessen und die der Unternehmen
Über 90 Prozent der Jugendlichen meinen, dass Familie und Kinder gegenüber der Arbeit nicht zu kurz kommen dürfen. 95 Prozent finden einen sicheren Arbeitsplatz wichtig. Drei Viertel möchten in Teilzeit arbeiten können, sobald sie Kinder haben. Das sind Ergebnisse der im Januar 2016 veröffentlichten Shell-Jugendstudie. Sie zeigen sehr deutlich, wie wenig junge Menschen davon ausgehen, einen normalen Beruf mit Kindern und Familie unter einen Hut bringen zu können – aus gutem Grund.
Denn Beruf und Familie sind zwei Dinge. Es geht also nicht um „Vereinbarkeit“, sondern um ein „zusätzlich schaffen“. 75 Prozent der Jugendlichen wollen, um das auch noch zu bewältigen, im Beruf kürzer treten können, indem sie z.B. Stunden reduzieren. Das ist aber erstens nicht immer möglich und geht zweitens auf Kosten des eigenen Lohns und der Aufstiegschancen. Flexibilisierung ist die Lösung – bekommen wir überall erzählt. Unternehmen würden zunehmend auf die Wünsche ihrer Beschäftigten eingehen und zum Beispiel das Arbeiten von zu Hause aus ermöglichen oder flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten. Dabei versteht sich von selbst: Die Arbeitsleistung muss die gleiche bleiben, zumindest wenn man am Ende des Monats die gleiche Summe Geld auf dem Konto haben will. Nur wie dadurch dann mehr Zeit für Familie und Kinder herauskommen soll – das versteht sich nicht von selbst. Denn: Egal wie flexibel sie über 24 Stunden, 7 Tage oder 52 Wochen verteilt wird: Die Lohnarbeit bleibt Lohnarbeit und die Kinder bleiben – bei aller Freude, die sie auch machen (können) – eben auch Arbeit, nämlich Reproduktionsarbeit. Und solange letzteres nicht über Kindertagesstätten, Krippen, Horte u.v.m. flächendeckend gesellschaftlich organisiert wird, bleibt es ein „Ich muss das auch noch schaffen“. Damit das überhaupt noch zu schaffen ist, verzichten viele auf Einkommen, insbesondere junge Frauen.
Diese jungen Frauen finden sich dann häufig, von einigen gut Verdienenden abgesehen, in irgendwelchen kündigungsschutzfreien, lohngedumpten Niedriglohnjobs wieder. Denn dort kann man besonders einfach Teilzeit arbeiten. In sozialversicherungspflichtigen, tarifvertraglich abgesicherten Jobs ist das schon komplizierter. Gerade junge Frauen zahlen damit den Preis für die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“.
Dabei müsste das nicht so sein. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und genügend bezahlbare öffentliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten für alle sind das, was nötig wäre, um unseren Wunsch, Beruf und Familie vereinbaren zu können, zu ermöglichen. Damit das möglich wird, müssen wir diejenigen zwingen, die vom Niedriglohnsektor und individuell organisierter Kinderbetreuung zu Hause profitieren: die Unternehmen.
Das wäre im vor allem im Interesse vieler junger Frauen, aber auch junger Männer, denn von denen wünschen sich ebenfalls 60 Prozent Kinder – nur 9 Prozent weniger als bei den jungen Frauen.
Jann, Essen