Wie viel Staat steckt im NSU?
Anfang Dezember überflutete eine Welle aus Zeitungsredakteuren, Filmteams und JournalistInnen das Oberlandesgericht in München. Grund war die lang ersehnte Aussage der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, neuerdings doch nicht Mitglied des NSU und katzenvernachlässigende, 2-3 Flaschen Sekt am Tag trinkende Hobbyuntertaucherin mit starken Bindungsgefühlen zu beiden Uwes.
Herausgekommen ist – oh Wunder – nichts. Beate Zschäpe stützt mit ihrer Aussage die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Der NSU war maximal ein Trio, eher ein Duo beider Uwes, und sie mordeten jahrelang vollkommen unabhängig von Nazistrukturen und Verfassungsschutz. Bürgerliche Medien fauchten: „Wie kann sie nur?“, „Sie schiebt alle Schuld auf Uwe und Uwe und will selbst nichts gemerkt haben?“ und „Freispruch für Beate?“, doch mit ihrer Aussage entlastet sie nicht sich selbst, sondern den Auftraggeber: Der Verfassungsschutz, der jahrelang wusste, wo der NSU war, was der NSU tat und wer noch alles zum NSU gehört, wird nicht genannt. Ihn gab es quasi nicht, Beate wusste nichts, der Verfassungsschutz ist fein raus.
Dieser Staat, der es schafft, jahrelang nicht zu ermitteln, Akten zu schreddern, Zeugen sterben zu lassen, Beweise im Bundesamt zu „verlegen“ und V-Männer aufgrund von Geheimhaltungsgründen nicht zu nennen, hat nach all den Untersuchungsausschüssen und Prozesstagen nichts zu befürchten.
Anfang Januar wurden schließlich mehrere Beweisanträge im NSU-Prozess wegen Geheimdienstbezug vom Gericht abgelehnt. Ein Beispiel: V-Mann Michael von Dorlsperg alias „Tarif“ sollte dem Trio ein Versteck bereitstellen und holte sich den Segen vom Verfassungsschutz. Die Zustimmung dafür bekam er. Er bekam sie auch für einen Strategieartikel in seiner Zeitung „Sonnenbanner“, der sich mit der Bildung eines Zellensystems für den Untergrundkampf befasste. Vor dem Oberlandesgericht spielte das aber keine Rolle, ein Zellensystem für den Untergrundkampf gibt es nach deutscher Staatsräson nicht.
Die Einzeltätertheorie, wie sie von der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und dem gesamten Staatsapparat verbreitet wird, gerät trotz aller Entlastungsversuche, toter Zeugen und fadenscheiniger Beweise immer mehr ins Wanken. So fasst Wolfgang Schorlau in seinem Buch „Die schützende Hand“ viele Beweise und Indizien zusammen, die die Weste des Geheimdienstes alles andere als weiß erscheinen lassen. Und er stellt unbequeme Fragen, z.B. wo die Bilder der Feuerwehr geblieben sind, die den ausgebrannten Wohnwagen der beiden Uwes fotografierten.
Unbequeme Fragen müssen wir nicht nur zum NSU stellen: Wer schützt die rund 300 Neonazis, die per Haftbefehl gesucht werden? Wer ist das Zellensystem, das den rechten Terror ermöglicht? Wie viel Staat steckt in den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte? Diese Fragen müssen gestellt werden, diese Fragen müssen wir beantworten, denn am Ende heißt es sonst: Beate wusste nichts und die Katzen wurden vernachlässigt.
Tom, München
AG Antifaschismus des Bundesvorstands