Solidarische Konsequenzen des S&E-Streik
Auch wenn sie in manchem Jahresrückblick verschwiegen wurden: 2015 war das Jahr der KollegInnen der Sozial-und Erziehungsberufe. Sie haben gestreikt. Lange. Ausgerechnet die ErzieherInnen. Dass es klassische Frauenberufe waren, die in den Ausstand traten, fiel auf. Das hatte spürbare Auswirkungen auf die Debatten um Arbeitsbedingungen auch in anderen weiblich dominierten Berufen. Denn wenn es möglich ist, einen Streik trotz der Fürsorgepflicht gegenüber kleinen Kindern zu organisieren, müsste das für Patienten oder alte Menschen doch genauso gelten. Es wurde klar: Arbeit unter schlechten Bedingungen schadet Allen! ErzieherInnen, genauso wie Eltern und letztlich auch den Kindern. Der Streik hatte Vorbildcharakter, wegen seiner Länge, wegen der Einbeziehung sehr vieler KollegInnen, vor allem aber weil er in einem Bereich stattfand, in dem Dienst am Menschen geleistet wird.
In dieser Besonderheit steckt aber auch das größte Problem: Gestreikt wurde nicht in der Industrie, in der Produktion. Als Folge dessen konnte kein direkter, ökonomischer Druck aufgebaut werden. Im Gegenteil, die Kommunen, die Gegner in der Streikauseinandersetzung, sparten sogar Geld. Das zwang auch zu einem Nachdenken über alternative Aktionsformen. Neben öffentlichkeitswirksamen Aktionen wurde klar, dass der Kampf der sozialen Berufe um Aufwertung letztlich nicht alleine geführt werden kann. Zwar waren es nicht die Beschäftigten der großen Industriestandorte, die in den Streik traten. Aber es waren die Kindertagesstätten ihrer Kinder, die streikbedingt geschlossen blieben. So war es dann auch folgerichtig, dass auf den Streikkundgebungen, etwa in Nürnberg, vom Streik betroffene Mütter als Kolleginnen der IG-Metall den Streikenden ihre Solidarität aussprachen. Doch wenn die Streiks in den sozialen Bereichen in Zukunft nicht nur geführt, sondern auch gewonnen werden sollen, müssen derartige Solidaritätsaktionen auch auf betrieblicher Ebene vorangetrieben werden. Es muss klar werden: Der Bereich der Kinderbetreuung ist nicht das Privatproblem der Eltern und die Arbeitsbedingungen im S&E-Bereich nicht nur das Anliegen der dort arbeitenden KollegInnen. Es muss diskutiert werden, wie zukünftige Auseinandersetzungen im S&E-Bereich durch andere KollegInnen, z.B. der Metall-und Elektroindustrie, unterstützt werden können, denn das liegt auch in deren Interesse. Wieso muss der Kampf der S&E-KollegInnen für bessere Arbeitsbedinungen auf Kosten der Eltern gehen? Warum sollten sie gezwungen sein, ihren ganzen Jahresurlaub aufzubrauchen? Die finanziellen Lasten müssten von den Unternehmern anderer Branchen getragen werden, die davon profitieren, dass Eltern ihnen ihre Arbeitskraft verkaufen, während anderswo ihre Kinder betreut werden. In dem Moment, wo erkämpft werden kann, dass die Streiks auf Kosten dieser Unternehmer und eben nicht auf die der dort Beschäftigten gehen, stellt sich auch die Frage nach dem ökonomischem Druck der Streiks im sozialen Bereich ganz neu. Dabei finden branchenübergreifende Solidaritätsstreiks natürlich nicht von heute auf morgen statt. Aber das Nachdenken über die nächsten Schritte auf diesem Weg, etwa durch das Angleichen von Tarifrunden und der Tarifvertragslaufzeiten, oder auch das Abhalten von Betriebsversammlungen parallel zu Streikkundgebungen anderer Branchen sollte eine wesentliche Konsequenz aus dem S&E-Streik sein.
Tatjana, Rostock