Frankreich wehrt sich gegen die Arbeitsmarktreform
Zeitweise müsste der Asphalt auf den Straßen schmelzen, so heiß ist die Luft hier seit Anfang März. Denn jedes Mal, wenn die Gewerkschaften zum Streik aufrufen, strömen Hunderttausende in die Innenstädte Frankreichs. Sie protestieren gegen die Reform zur „Liberalisierung“ des „Code Travail“ – des Arbeitsgesetzes. Während in Deutschland der politische Streik verboten ist, stehen hier Angestellte, Arbeitslose, Studierende, SchülerInnen, GewerkschafterInnen und Nicht-Organisierte zusammen auf der Straße. Die Reform steht im Gegensatz zu allem, was die Linke einmal begründet hat – laut der sozialdemokratischen Regierung sei sie nun unabdingbar, wenn Frankreich wieder wettbewerbsfähig werden und die Arbeitslosenquote reduzieren wolle. Mich erinnert das an die Arbeitsmarktreform „Agenda 2010“. Der Angriff auf den Sozialstaat der rot-grünen Bundesregierung hat damals unter anderem das Hartz-IV-System eingeführt.
Hier reißt der kontinuierliche Protest nicht ab. Es ist eine Machtdemonstration der Lohnabhängigen, trotz eines Gesetzes, das es den Ministern erlaubt, Gesetze ohne die Nationalversammlung zu beschließen. Das letzte mal sollte dieser Trick vor zehn Jahren angewendet werden, doch die Proteste waren so groß, dass die Regierung nicht durchkam. Heute ist der Angriff noch härter: In Frankreich wurde nach den Terroranschlägen im November der Ausnahmezustand verhängt. Nun stehen Ausgangssperren, Personenkontrollen und Hausarrest auf der Tagesordnung.
Wenn nicht nur die im Jahr 2000 hart erkämpfte 35 Stunden-Woche sondern auch die Bindung einzelner Unternehmen an gewerkschaftliche Tarifverträge auf dem Spiel stehen, werden neben den Stimmen der großen Gewerkschaften wie CGT und FO auch andere laut: Die der Jugend beispielsweise. Die Reform zerstöre die gesetzliche Grundlage für den Schutz der ArbeiterInnen und schränke die Gewerkschaften in großem Maße ein, so Arnaud, Student in Paris. All das treibt ihn Woche für Woche auf die Straße. Nun organisiert er sich, wie viele andere, bei der Studierenden- und SchülerInnengewerkschaft. „Wir wollen schlicht und einfach keine prekäre Zukunft“, erklärt er.
Auch sonst tut sich etwas auf den Plätzen der Republik: Parallel ist die Bewegung „Nuit Debout“ entstanden. Junge Menschen besetzen nachts öffentliche Plätze, diskutieren, feiern und machen ihrem Unmut Luft. Arnaud habe es satt, „dieses System, das immerzu seine Eliten reproduziert und den Leuten nicht zuhört“. Es bleibt abzuwarten, ob die „Nuit Debout“ größere Früchte als eine gegenwärtige Euphorie hervorbringt, denn viele sind skeptisch wenn sie an die Entwicklungen in Spanien und Griechenland denken.
Und was mache ich eigentlich hier auf der Straße, wo es doch offensichtlich um das französische Arbeitsgesetz und nicht um eine deutsche Bildungsreform geht? Betrachtet man unsere europäischen Nachbarn, so ist nicht zu übersehen, dass wir letztendlich von den gleichen Angriffen auf unsere Rechte betroffen sind. Das Interesse unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, kann deshalb konsequenterweise gar kein nationales sein – sondern das einer Klasse. „La lutte continue, vive la solidarité internationale!“
Lia, Paris
Der Artikel ist ein Vorabdruck aus der POSITION #3-16, die morgen erscheint. Du kannst unser Magazin ab 10€ im Jahr abonnieren. Oder Du lässt Dir erst einmal eine Ausgabe zuschicken. Schreib uns einfach eine Mail an position@sdaj.org