Die Rousseff-Regierung wurde aus dem Amt gedrängt. Steht ein Rollback in Lateinamerika an?
Am 12. Mai 2016 befürwortete der brasilianische Senat die Amtsenthebung der demokratisch-gewählten Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) für 180 Tage. Ihr wird vorgeworfen die Verfassung verletzt zu haben, doch dafür gibt es bis heute keinen einzigen Beweis. Mit dem Votum im Senat endet eine wichtige Etappe in der Offensive der reaktionären Kräfte des Landes. Die Übergangsregierung kündigte vergangene Woche bereits ihre ersten Schritte an: Schließung unter anderem des Ministeriums für Kultur und des Ministeriums für ländliche Entwicklung. Eine massive Kürzung der Sozialprogramme und die Privatisierung wichtiger öffentlicher Sektoren werden voraussichtlich folgen. Von der neuen Regierung, die fast ausschließlich aus korrupten Unternehmern besteht, ist somit eine Verschärfung von Sparmaßnahmen zu erwarten, die teilweise unter der Regierung Rousseff schon schrittweise durchgeführt wurden.
Probleme der Linksregierungen
Schon das letzte Jahr war geprägt von einem Erstarken reaktionärer Kräfte in Lateinamerika. Insbesondere der Präsidentschaft-Wahlsieg des Unternehmers und Millionärs Maurizio Macris in Argentinien und die Wahl-Niederlage des Chavez-Nachfolgers Maduro in Venezuela sind exemplarisch. Charakteristisch für die mit vielen Hoffnungen verbundene „fortschrittliche Welle“ in Lateinamerika ist der Versuch einen Kompromiss umzusetzen, der sowohl die Reichsten als auch die Ärmsten in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas begünstigten sollte. Denn die Sozialprogramme basierten meist auf Geldern, welche durch den Verkauf von Rohstoffen (Erdöl u.a.) auf dem Weltmarkt bei erhöhten Preisen eingenommen wurden. Die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung durch diese Sozialprogramme war enorm – trotz der Tatsache, dass sie im Verhältnis zu den steigenden Gewinnen der Reichen gering waren.
Keine Welle sondern Tsunami
Weshalb also der Rollback? Die Politik wie sie von der Regierung Kirchner in Argentinien oder Rousseff in Brasilien die letzten Jahre durchgeführt wurde, war abhängig von der Entwicklung auf dem Weltmarkt. Letztlich hat die andauernde Krise des Kapitalismus weltweit auch auf die lateinamerikanischen Länder durchgeschlagen: Preise fielen und damit die Einnahmen des Staates und der Unternehmen. Die Regierungen begannen, Sozialprogramme und Arbeiterrechte massiv zurückzuschrauben – aber nicht schnell genug für die Eliten dieser Länder. Daher begann eine Offensive zur Durchsetzung kompromissloserer Regierungen im Sinne des Kapitals. Nicht um eine „fortschrittliche Welle“ zu beenden, sondern um den Tsunami der Kürzung von Sozialausgaben und Arbeiterrechten zu beschleunigen. Diese Offensive hat aber im Gegenzug auch der Arbeiterbewegung neuen Auftrieb verschafft: Große Teile, die sich bis zuletzt der Illusion hingaben, die „linken“ Regierungen würden es für sie schon richten, haben nun wieder zurück auf die Straße gefunden. Sowohl in Argentinien und Brasilien, als auch in anderen Ländern Lateinamerikas sind in den letzten Wochen und Monaten massenhaft Leute zu Streiks und Demonstrationen auf die Straße gegangen, um ihre Interessen zu verteidigen.
Maria und António, Tübingen
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