Wer kann das meiste Geld verbrennen?

veröffentlicht am: 2 Aug, 2016

In der Schifffahrt werden die Widersprüche des Kapitalismus auf die Spitze getrieben. Ein Gespräch mit Jonas, der als leitender Angestellter live dabei ist.

KW30.2_3-16_cb-interview-schiffe2Du arbeitest in der Containerschifffahrt. Gibst du uns einen kurzen Crashkurs?
Jonas: Etwas verkürzt: In China wird produziert, in den USA und Europa konsumiert. 2014 beispielsweise waren es 9,8 Milliarden Tonnen nur im Seehandel. Entscheidende Basis dabei ist das weltweite Lohngefälle, sonst wäre dieser Zustand vollkommen absurd. Die technologische Entwicklung in der Schifffahrt machte den Zugang zum Weltmarkt erst möglich.
Vor der Krise gab es einen Boom, der keine Grenzen mehr kannte. Das zog Kapital an, sehr viel Kapital. Die deutsche Handelsflotte, das ist die größte Containerflotte der Welt, wuchs sogar noch in der Krise 2010 um 9,9%. Weltweit hatten wir Jahre mit 20%igem Anstieg der Containermenge, wir wussten kaum wo und wie wir neue Schiffe chartern können, um immer mehr Fracht zu transportieren. Dazu kommt, dass der deutsche Staat alles getan hat, um den deutschen Reeder (Schiffseigentümern, Anmerkung der POSITION) das Geld ganz tief hinten rein zu schieben: Wir sind in Deutschland von der Umsatzsteuer befreit, Ertragssteuer wird nur pauschal gezahlt, das sind ein paar Tausender im Jahr pro Unternehmen – also ein absoluter Witz. Und während so die Reeder Milliarden scheffelten, laufen die Arbeiter auf den Schiffen in zerschlissener Kleidung herum, weil sie zu den Arbeitsbedingungen ihrer Heimatländer beschäftigt werden, z.B. Kiribati oder die Philippinen.

Dann kam die Krise?
Jonas: Die musste kommen und das wussten auch alle. Kapital braucht Anlagemöglichkeiten, um sich zu verwerten, zu akkumulieren. Um den Boom zu bewältigen und Konkurrenzvorteile zu haben, wurden logischerweise immer größere Produktionskapazitäten geschaffen – bei uns Transportkapazität, also Schiffe. Das geht, solange wir genug Aufträge haben, Container über die Ozeane zu fahren. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise war das dann aber vorbei. Mit einem Schlag gab es massive Überkapazitäten, d. h. die Schiffe waren leer. Die Preise fallen ins Bodenlose. Man kann für 200$ einen Container von Shanghai nach Hamburg schicken – Transport ist Ramschware. Normalerweise folgt jetzt die „reinigende Funktion der Krise“. Manche Firmen gehen pleite, werden aufgekauft, Schiffe, also unser Kapital, abgewrackt und vernichtet. Das ist in der Vergangenheit auch passiert. Das wird aber bei jeder Krise komplizierter. Wir haben jetzt noch 20 große Marktteilnehmer weltweit und eigentlich müssten mindestens zwei „raus“. Das passiert aber im Staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht. Denn die Staaten greifen ein und stützen ihre nationalen Reedereien. Gleichzeitig produzieren die Werften weiter, weil es da das gleiche Problem gibt, die Staaten stützen die Firmen. Wir kaufen aber auch weiter Schiffe, sogar immer größere.

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Das klingt widersprüchlich.
Jonas: Ist es auch. Es ist sogar völlig schwachsinnig. Wir haben Schiffe, die niemand braucht, und wir kaufen noch mehr. 2014 hatte die Branche weltweit doppelt so viel Kapazität wie 2007, als noch alles boomte. Normalerweise müssten wir heute weniger haben, aber wir haben doppelt so viel. Das ist eine gigantische Verschwendung, aber im Kapitalismus macht das Sinn. Wir kaufen immer größere Schiffe, damit der Preis pro Container sinkt. Das müssen alle mitmachen, damit sie im Preiskampf durchhalten, daher der Spottpreis für Shanghai-Hamburg. Das ist weit unter Wert. Mein Chef ist Milliardär und der hat das mal so zusammengefasst: „Who has more money to burn it?“ – Wer kann das meiste Geld verbrennen? Das ist es, was wir machen. Wir kaufen mit Geld, das wir schon seit Jahren nicht mehr haben, Schiffe, die wir niemals brauchen werden. Die Banken haben für die Reeder die Schuldentilgung ausgesetzt. Derzeit werden maximal die laufenden Zinsen bezahlt. Die Banken machen das nur, weil sie die Garantien, die Schiffe, auch nicht haben wollen. Es ist unklar, ob die Kredite zurückgezahlt werden können. Das sind die „toxischen Papiere“, die z.B. bei der HSH-Nordbank lagen und die wahrscheinlich langfristig vom Steuerzahler übernommen werden müssen. So finanzieren die Steuerzahler die Reeder, und indirekt die Banken, nach der Steuerbefreiung ein weiteres Mal.

Wie reagiert die Branche auf diese Probleme?
Jonas: Exakt so wie es Lenin in seiner Imperialismusschrift beschreibt: Die Konkurrenz erzeugt das Monopol. Das Monopol ist die weitgehendste Vergesellschaftung der Produktion im Kapitalismus. Trotzdem bleibt die Aneignung des geschaffenen Reichtums privat und die Konkurrenz wird nicht aufgehoben, sondern auf höherer Stufe neu hervorgebracht. Planung der Produktion wäre also möglich, sie ist aber aufgrund der Konkurrenz nicht umsetzbar.
Im Konkreten heißt das: Man versucht, gemeinsam geplant zusammen zu arbeiten, weil man es muss. Statt vier getrennte Schiffe eine Route fahren zu lassen, die aber alle fast leer sind, könnte man einfach zwei gemeinsame Schiffe fahren lassen. Das setzt aber ein Aussetzen der Konkurrenz voraus. Ein Beispiel: Die größten sechs Reedereien der Branche versuchen seit Jahren eine solche Kooperation nur für die kleine Ostsee aufzubauen. Hier geht es noch nicht einmal um die „Rennstrecke“ von Asien nach Europa. Aber selbst das klappt nicht, weil die Unternehmen weiterhin in Konkurrenz zu einander stehen und alle immer Angst haben müssen, dass die anderen in der Kooperation besser wegkommen.
Die Schifffahrt ist im achten Jahr der Krise. Eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle Lösung ist schlichtweg nicht in Sicht. Wir sind so produktiv, dass wir Werte vernichten müssen. Paradox, aber das ist Kapitalismus. Die Krise bleibt bestehen und es wird eher die nächste große Krise vorbereitet.

Das Interview führte Jann, Essen.

Dieser Artikel erschien in
POSITION #3/2016
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