Peru schmeißt vor den Präsidentschaftswahlen Gewerkschafter aus dem Land. Interview mit Orhan Akman
POSITION: Du hast in Peru die Dienstleistungsgewerkschaft „UNI américas“ unterstützt. Der Arbeitskampf bei „Cencosud“ führte dann zu deiner Ausweisung. Was war da los?
Orhan Akman: In einem Projekt von UNI und ver.di habe ich beim Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen und beim Tarifkampf geholfen. Bei Cencosud z.B. hat es ganze zwei Jahre gedauert bis es zu einem Tarifvertrag kam! Bei einer Streikaktion drohte mir ihr Sicherheitschef, dass sie überall ihre Leute hätten und schon dafür sorgen würden, dass die Dinge bald anders laufen. Meine Ausweisung durch die Regierung wurde mit dem Vorwurf der „Störung der öffentlichen Ordnung und des sozialen Friedens“ begründet. Cencosud gehört zu den größten Einzelhandelsunternehmen Lateinamerikas: in fünf Ländern mit mehr als 150.000 Beschäftigten. Der Vater des Geschäftsführers war Obersturmbannführer der SS und ist, wie viele Nazis, nach Lateinamerika geflüchtet. Hier hat er sich in kurzer Zeit ein Imperium aufgebaut. Der Chef Horst Paulmann selbst stand der deutschen Foltersiedlung Colonia Dignidad in Chile sehr nahe. Er forderte sogar, man solle zu Ehren des ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet eine Statue errichten.
Deine Ausweisung aus Peru fand kurz vor den Präsidentschaftswahlen statt, bei denen zwei Kandidaten in die Stichwahl kamen. Welche Perspektive siehst du aktuell für Peru?
Orhan Akman: Die Programme der beiden sind fast identisch. Kuczynski ist ein Unternehmer. Der größte Gewerkschaftsdachverband Perus „CGTP“ unterzeichnete vor kurzem einen schriftlichen Vertrag mit Kuczynski. Darin verspricht dieser, ihre Rechte zu wahren und einen Dialog mit den Gewerkschaften zu führen. Die andere Kandidatin, Fujimori, ist die Tochter des ehemaligen peruanischen Diktators. Der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm. Von den Wahlen gibt es nicht viel zu erwarten, aber zu verhindern, dass die Diktatorenfamilie wieder an die Macht kommt.
Früher warst Du in Deutschland Gewerkschaftssekretär und Stadtrat. Peru ist da sicher ein Perspektivenwechsel. Wie schätzt Du die Entwicklung in Lateinamerika ein?
Orhan Akman: Der Funke der progressiven Regierungen auf dem Kontinent ist leider nie auf Peru übergesprungen. Das war meine Hoffnung, dass dieser sozialistische Funke überspringt. Doch in Peru wurden in den letzten Jahren unter der neoliberalen Politik von den knapp 180 großen öffentlichen Unternehmen mehr als 150 privatisiert. Aktuell werde die USA auf dem Kontinent wieder aktiver. Nun kommen die Paramilitärs, Putschisten und Unternehmer, die alle mal was zu sagen hatten, wieder. Sie wollen sich erneut breit machen und die demokratischen Regierungen zu Fall bringen. Brasilien, Argentinien, Venezuela, Ecuador: Der Wind scheint sich zu drehen – das macht mir Sorgen. Dem stehen progressive Kräfte entgegen, die sich für mehr Beteiligung und für die Verstaatlichung zentraler Sektoren aussprechen. Hier müssen wir den Kampf für eine moderne, demokratische, progressive Gesellschaft aufnehmen. Unsere Aufgabe als Gewerkschaften ist es, den Dialog miteinander zu suchen, sich zu einigen und zu einen. Wir müssen versuchen gemeinsam eine Front der Arbeitnehmer aufzubauen. Eine andere Lösung sehe ich nicht.
Das Interview führte Leo, München
Update: Mittlerweile sind die Präsidentschaftswahlen entschieden und Orhan ist auch wieder in Peru. Aufgrund des breiten internationalen Drucks und massiver Solidarität konnte der Rauswurf nicht aufrecht erhalten werden!