Spickzettel: Brecht’s „Mutter Courage“

veröffentlicht am: 14 Aug, 2016

Zwar kommen Berthold Brechts Theaterstücke mittlerweile im Lehrplan vor, oft geht es aber bloß darum, ein Beispiel für seine „epische“ Art des Dramas zu liefern. Ein kleiner Beitrag zur Geschichte des Theaters, fertig. Dabei sind seine Stücke auch heute noch aktuell. So auch das Antikriegs-Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“.

pos_brechtIm Kern geht es um eine „Marketenderin“, also eine fahrende Händlerin, die im und mit dem Krieg Geschäfte macht und (Achtung Spoiler-Alarm) – oft im Zusammenhang mit ihrem Profitstreben – ihre drei Kinder verliert. Am Ende hat sie jedoch nichts gelernt, bzw. gewonnen: Ohne ihre Kinder und ohne etwas zum Verkaufen trottet sie weiter dem Krieg hinterher.
Heute, genauso wie zur Zeit, in der Brecht sein Stück geschrieben hat (ca. 1940), wurde der Zusammenhang von Geschäft und Krieg für viele Menschen aktiv verschleiert. Mal geht es um Grenzstreitigkeiten, mal um Ehre und Ruhm, mal um „Lebensraum“ heute ganz oft (wieder) um Religion und „Rasse“, „Menschenrechte“ oder alte Besitzstreitigkeiten. Du kannst auch selbst mal schauen, wie oft „Profitstreben“ oder „Marktzugang“ als Gründe für Kriege im Geschichtsunterricht besprochen wurden.
Aber Brecht ist ein Fuchs. Er lässt die Handlung während des 30-jährigen Krieges (1618 bis 1648) spielen, wo die „heiligen Ziele“ des Kampfes zwischen katholischen und evangelischen Truppen besonders krass der Wirklichkeit von Egoismus, Geschäftemacherei und nacktem Überlebenswillen gegenüberstehen.
Mutter Courage, die mit ihrem Planwagen dem Krieg hinterher zieht, ist in dieser Situation Symbol für die Verbindung von Geschäft und Tod, die ohne einander nicht existieren können. Gleichzeitig spricht sie aber mit scharfer Zunge aus der Sicht „der kleinen Leute“, enttarnt die großen Ideale, für die Menschen in den Tod gehen, bzw. gegangen werden. Tragisch ist, dass sie dies zwar erkennt, aber versucht, genauso zu profitieren, wie die „großen Herren“, obwohl in dem Stück klar wird: Verlieren tun im Krieg am meisten die einfachen Menschen.

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Es gab aber zwei Probleme mit dem Stück. Einmal hatten viele Menschen, die das Stück sahen – vor allem im zerstörten Berlin – gegen Brechts Absicht, Mitleid mit der Courage, selbst wenn sie die generelle Botschaft verstanden. Zum Zweiten entschieden sich während des Kalten Krieges viele Theater in Westeuropa dafür, das Stück als kommunistische Propaganda zu boykottieren und nicht aufzuführen (z.B. 10 Jahre lang in Österreich). In Westdeutschland kam es sogar – wegen dem Mauerbau – Jahre nach Brechts Tod nochmals zu einer Welle des Brecht-Boykotts.
Unter dem Banner von „Freiheit und Demokratie“ wurde schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgerüstet und die Bundeswehr gegründet. Mit der Remilitarisierung ging es direkt in das NATO-Militärbündnis. Und heute? Heute werden Kriege wieder mit dem groß herausgekehrten Ziel von Demokratie und Freiheit geführt (Ukraine) oder mit Religion erklärt (Syrischer Bürgerkrieg). Gleichzeitig profitieren (deutsche) Rüstungskonzerne von den Kriegen in der Welt, Schwarzmärkte für Waffen florieren, Schlepper verdienen an Kriegsflüchtlingen und EU und USA freuen sich, wenn sie nach gewaltsamen „regime changes“ wieder neue Märkte erschließen.
Brechts Stück steht für eine leider noch allgemeingültige Wahrheit. Die Wahrheit, dass das Leid des Krieges, welches am meisten von den aus armen Schichten als Kanonenfutter rekrutierten SoldatInnen und vor allem die Zivilbevölkerung zu tragen hat, vom ganz normalen Kapitalismus nicht zu trennen ist. Diese Botschaft sollten wir gegen die verstaubten Interpretationen der Lehrpläne hochhalten.

Alan, Siegen

Dieser Artikel erschien in
POSITION #3/2016
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