Armut macht krank und lässt uns früher sterben
Der Gesundheitszustand in Deutschland hängt maßgeblich mit der Klassenzugehörigkeit zusammen. Eine Studie des Statistischen Bundesamtes bestätigt, dass wohlhabende Männer durchschnittlich 11 Jahre länger leben, als arme Männer. Deutlichste Ursachen dafür liegen schon im Kernaufbau des Versicherungswesens. Durch die Trennung in private und gesetzliche Krankenversicherung ist eine Zwei-Klassen-Medizin entstanden, während die einen von den neusten Behandlungsmethoden profitieren können, müssen die anderen in überfüllten Wartesälen ausharren. Auch auf der Arbeit wird bei der einfachen Belegschaft zuerst gespart und ihre Gesundheit oft aufs Spiel gesetzt. Aber auch durch den steigenden Leistungsdruck, der bereits in der Schule beginnt, kommt es vermehrt zu ausfällen. Wir haben uns mit drei Menschen unterhalten, die auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit krank geworden sind und auch bei der Heilung benachteiligt werden.
Tobi, Gießen
1. Meine Schule macht mich krank
Mobbing, Leistungsdruck und keine Freizeit
Mir wurde immer gesagt, die Kindheit und Jugend sei die „goldene Zeit des Menschen“, in der man viel Freizeit hat und tolle Erfahrungen machen kann. Leider merke ich in meinem Alltag nichts davon. Ich gehe auf ein Gymnasium in Marburg. Mit sechs Jahren wurde ich in einer sechsjährigen Grundschule eingeschult, in der Siebten kam ich dann auf meine heutige Schule. Hier erfuhr ich was es bedeutet, keine Markenklamotten und nicht das neuste Handy zu haben. Seit der Oberstufe ist es besser geworden aber dafür hat der Stress mit den Noten zugenommen. Ich möchte gerne Medizin studieren, weil ich Menschen helfen möchte, aber dafür brauche ich ein 1,0er-Abi, momentan stehe ich auf 1,2. Ich muss also noch besser werden und konnte mir schon jetzt kaum Pausen leisten. Wie soll das nur in der Zukunft aussehen? Vor Klausuren bekomme ich Angst, weil sie über meine Zukunft entscheiden. Nur bei den besten Noten kann ich zufrieden sein. Dieser ganze psychische Druck hat mich krank gemacht. Das muss man offenbar in Kauf nehmen, wenn man nicht als Verlierer enden will.Und wenn mein Arzt mir rät, weniger zu tun, dann kann ich das nicht erfüllen, weil ich später selber Arzt werden will.
Leistungsdruck, Stress, Angst vor dem Versagen und keine Freizeit. Das ist mein Alltag im deutschen Schulsystem. Und wenn LehrerInnen und vor allem PolitikerInnen sagen, dass es wichtig ist neben der Schule noch Hobbys zu haben, Sport machen zu können und ausgeglichen zu leben, dann ist das blanker Zynismus.
Lino, Marburg
Lino (17) ist Schüler aus Marburg und würde gern Arzt werden
2. Meine Arbeit macht mich krank
Die Wahl zwischen einer Erkältung und giftigen Dämpfen
Monatelang die selbe eintönige, anstrengende Arbeit zu machen, ist die eine Sache. Dabei auch noch giftige Dämpfe einzuatmen und mit ätzenden Substanzen zu arbeiten vor denen man sich nur mehr oder weniger schützen kann, eine ganz andere.
Regelmäßig arbeiten wir in der Restaurierung mit Chemikalien, von denen wir nicht immer wissen, was genau sie machen und wie genau sie wirken. Auf einer unserer Baustellen arbeiteten wir beispielsweise mit Abbeizer, einer Paste, die auf Oberflächen aufgetragen wird und diese dann bis aufs Holz aufweicht. Natürlich wurden dabei Dämpfe freigesetzt, denen wir nicht entgehen konnten. Eigentlich wird Abbeizer nur im Freien oder in einem „Lackierraum“ mit Abzug verwendet. Und eigentlich trägt man dabei Gummihandschuhe, eine Atemmaske und eine Schutzbrille. Doch wer mal versucht acht Stunden am Tag eine Atemmaske zu tragen, wird schnell feststellen, dass es unter den Dingern sehr warm werden kann. Zusammen mit einer Schutzbrille, Gummihandschuhen und dem nicht atmungsaktiven Schutzanzug war man nach einer halben Stunde schon so verschwitzt, dass man Pause machen musste. Und dann hatten wir die Wahl: Entweder wir nahmen unsere Schutzausrüstung ab und kamen in Kontakt mit den Dämpfen oder wir stellten uns verschwitzt in die kalte Winterluft. Wir hatten also die Wahl zwischen Kopfschmerzen und Übelkeit oder einer Erkältung.
Caro, Berlin
Caro (23) aus Berlin ist gelernte Tischlerin und arbeitet in einem Restaurierungsunternehmen.
3. Meine Klassenzugehörigkeit verwehrt mir die Heilung
Technischer Fortschritt in der Medizin, aber nur gegen Geld
Ich bin Diabetiker Typ 1, das heißt mein Körper kann kein Insulin mehr herstellen und damit keinen Zucker verarbeiten. Eine Krankheit, an der man noch vor vier Jahrzehnten elendig verreckt ist und es in einigen Ländern dieser Erde auch immer noch tut. Es gibt wenig Krankheiten, bei denen es in den letzten Jahrzehnten einen solchen technischen Fortschritt und solche Verbesserungen – was Lebenserwartung und Wohlbefinden angeht – gegeben hat. Also alles gut?
Mitnichten, denn vieles was es an technischem Fortschritt gegeben hat, kostet und das wollen die gesetzlichen Krankenkassen natürlich möglichst nicht zahlen. Beispielsweise gibt es einige Insulinpumpen, die werden im Regelfall erst nach einem Widerspruchsverfahren gegen den ersten Bescheid der Kasse genehmigt. Gleiches gilt für spezielle Nadeln, Umstellung der Insulinsorte, implantierte Messgeräte etc. Diese Verfahren kosten Kraft, Nerven und allzu oft sind Zuzahlungen an der Tagesordnung.
Besonders makaber: In Deutschland gilt man erst als chronisch krank, wenn man diese Krankheit mindestens ein Jahr hat und alle 3 Monate in Behandlung war. Das heißt, eine Befreiung von Zuzahlungen ist erst dann möglich und auch dann betrifft diese Reglung nur einen Teil der Hilfsmittel. Das führt zu einem traurigen Ergebnis: Die besten und vor allem komfortabelsten Lösungen sind nur für den Teil zu haben, der sich entweder im Wust der Paragrafen auskennt, einen sehr engagierten Facharzt hat oder zumindest ausreichend Kleingeld, um die Zuzahlungen zu bestreiten.
Flo, Kiel
Flo (25) ist gelernte Industriemechaniker und im Ortsvorstand der IGM-Kiel.