Wie mit Kranken Geld gemacht wird (POSITION #05/16)

veröffentlicht am: 20 Okt, 2016

Kommentar über Abrechnungspraktiken und Sonderleistungen

Viele junge Leute wollen im medizinischen Bereich arbeiten, um anderen zu helfen. Auch ich hatte diesen guten Ansatz, aber im Beruf angekommen, musste ich die andere Seite der Medizin kennenlernen. Man wird nicht nur als medizinisches Fachpersonal angestellt, sondern auch als VerkäuferIn. Den PatientInnen sollen verschiedene Vorsorgeuntersuchungen und technisch fortschrittliche Diagnoseverfahren angeboten werden, die normalerweise nicht in die gesetzlichen Leistungen fallen. Sie müssten nicht zwingend etwas kosten, sind aber meist notwendige Einnahmequelle für die Praxen.

Auch ich muss bei jeder einzelnen Person im Hinterkopf haben, wieso ich welche IGEL-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen: Leistungen, die nicht von der Krankenversicherung übernommen werden) anbiete. In meiner Praxis wird verlangt, jeder Person diese Leistungen anzubieten. Am Monatsende wird die Statistik über die Einnahmen ausgewertet, ein Rückgang ist unerwünscht. Der Druck beim Personal, mehr zu verkaufen, wird stetig – z.B. auch durch neue Gesetzgebungen – erhöht.

Obergrenze für Gesundheit

Auch bei den Abrechnungspraktiken macht sich die Ökonomisierung der Medizin bemerkbar: Alle Leistungen, die von ÄrztInnen dokumentiert werden, werden mit einem Punktesystem für jede Praxis individuell errechnet. Jede Leistung hat einen bestimmten Punktewert und jede Praxis eine Punkte-Obergrenze. Alles über der festgelegten Obergrenze, ist „Überschuss“ und wird nicht bezahlt. PatientInnen sollen bestenfalls nur einmal im Quartal kommen, damit die Grundpauschale abgerechnet werden kann. Gerade Bevölkerungsgruppen, die finanziell schlechter gestellt sind, werden im Durchschnitt häufiger krank. Sie fallen schnell in den so genannten „Überschuss“ und werden „abgeschoben“, da sie zu dem Zeitpunkt nicht profitabel sind.

Privatpatienten bevorzugt

PrivatpatientInnen fallen nicht in das gleiche Abrechnungsmuster. Bei ihnen gibt es keine Obergrenze und die ÄrztIn kann an ihnen beliebig verdienen. Deshalb ist die Bevorzugung von PrivatpatientInnen im Praxisalltag allgegenwärtig. ÄrztInnen bekommen, je nach PrivatpatientIn und Leistung das Geld, das sie für fünf (je nach Fachrichtung häufig mehr) gesetzlich Versicherte bekommen. Viele selbstständige ÄrztInnen stehen hier vor der moralischen Frage, bestimmte Leute zu bevorzugen, um diese nicht zu verlieren oder sich auf Gleichbehandlung der PatientInnen und einen möglichen Verlust einzulassen. Letzteres bedeutet im ungünstigen, aber leider sehr realistischen Fall, dass die Praxis pleite geht.

PrivatpatientInnen und IGEL-Leistungen sind heutzutage leider notwendig, um die Praxis selbstständiger ÄrztInnen am Leben zu halten. Vor allem die Hersteller von medizinischen Geräten und Pharmakonzerne profitieren davon. Die gesetzlich Versicherten und das medizinische Personal sind die großen VerliererInnen dieses Systems.

Sarah, Gießen

Dieser Artikel erschien in
POSITION #5/2016
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