Fight for your Right – Die Kolumne zur Interessensvertretung
Der Erfolg kam pünktlich zum Tag der Arbeit. Seit dem 1. Mai gilt in der Berliner Charité ein Tarifvertrag, der festlegt, wie viel Personal auf den Stationen der Universitätsklinik eingesetzt werden muss. Mehr als vier Jahre kämpften vor allem – aber nicht nur – die Pflegefachkräfte des Krankenhauses um eine solche Regelung. Bislang war stets so wenig Personal eingesetzt worden, wie irgend möglich. Für die Beschäftigten bedeutete das Dauerstress, für die Patienten eine schlechtere Versorgung. Mit dem neuen Tarifvertrag soll damit Schluss sein. »Dank unserem Kampf gibt es jetzt Ansprüche an die Qualität der Pflege, die erfüllt werden müssen«, erklärte Carsten Becker, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe in der Charité, im Mai gegenüber der Tageszeitung junge Welt.
Im Ringen um einen Tarifvertrag hatte das Personal gleich mehrere Steine aus dem Weg zu räumen. Den ersten legte ausgerechnet die eigene Gewerkschaft, ver.di, die sich lange Zeit weigerte, den Kampf überhaupt aufzunehmen. Personalvorgaben in einem Tarifvertrag festzuhalten ist unüblich und ver.di fürchtete, ein Arbeitskampf um mehr Stellen könnte vom Unternehmen juristisch angegriffen werden. Tatsächlich geschah das auch, die Charité-Leitung warf ver.di und dem Pflegepersonal vor, in die »unternehmerische Freiheit« eingreifen zu wollen. Das Gericht entschied anders. Und auch das ist ein Ergebnis des Charité-Kampfs: Nun ist klar, dass in der Bundesrepublik noch um ganz andere Sachen gekämpft – und gestreikt! – werden darf, als einige Euro mehr Gehalt.
Dennoch weigerte sich die Führung des Uniklinikums beharrlich, über mehr Personal zu verhandeln. Es kam in der Folge zu mehreren Streiks. Auch hier wurden neue Maßstäbe gesetzt. Bislang waren Ausstände in Krankenhäusern selten erfolgreich, denn die Versorgung der Patienten im Haus musste trotz der Arbeitsniederlegung aufrecht erhalten werden. Die Charité-Belegschaft setzte auf eine neue Vorgehensweise. Sie schloss frühzeitig mit der Klinik sogenannte Notdienstvereinbarungen ab. Deren Inhalt war im Wesentlichen: »Wir stellen eine Versorgung für den Notfall sicher, dafür muss die Klinik eine bestimmte Anzahl an Betten räumen, also Patienten auf andere Häuser verlagern«. Jedes leer stehende Bett verursachte der Charité Kosten, erst hierdurch erhielt der Arbeitskampf seine Schlagkraft. Auch gegen diese neuen Notdienstvereinbarungen zog die Charité-Führung vor Gericht – und verlor abermals.
Für die Motivation der eigenen KollegInnen spielten zwei Faktoren eine Rolle. Die Gewerkschaft und die Streikenden setzten auf »TarifberaterInnen«. Das sind ganz normale Beschäftigte, die besonders geschult wurden und in ihrem Team über den neusten Stand der Auseinandersetzung informierten. So wusste das Personal zu jeder Zeit, wie es steht.
Außerdem traten die Streikenden mit dem Slogan »Mehr von uns ist besser für alle« an. Dahinter steckt die Überlegung, dass nur mit mehr Personal überhaupt eine gute Pflege geleistet werden kann. Viele KollegInnen, denen es oft weniger ums eigene Wohl als um das der Patienten geht, brachte das dazu, am Streik teilzunehmen.
Yoyo, Berlin