Zwischen „Luxus-Asyl“ und Arbeitsverbot

veröffentlicht am: 9 Jan, 2017

Was steckt hinter den Behauptungen über Flüchtlinge?

„Ein Volk hilft sich selbst“…

unter diesem Motto organisieren „Thügida“ und andere Faschisten in Ostdeutschland seit einiger Zeit „Unterstützung für jene Landsleute, die in Zeiten zunehmender sozialer Ungerechtigkeit kaum Unterstützung erhalten“. Diesen gegenübergestellt werden Geflüchtete, die angeblich ein Leben in Saus und Braus führen oder „Luxus-Asyl“ bekommen.
Vor nunmehr 26 Jahren hat der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl den Bürgern der DDR „blühende Landschaften“ versprochen. Bekommen haben sie Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Niedergang und Armut. Die Ostdeutschen mussten auf schmerzliche Weise lernen, dass die „Freiheit“ die ihnen versprochen wurde, vor allem die Freiheit des Eigentums ist. Seit dem Beginn der „Flüchtlingskrise“ hat sich die Situation vielerorts verschärft. Faschisten und deutscher Staat werden seither nicht müde, die Geflüchteten für die Situation verantwortlich zu machen. Vier Behauptungen, die uns so oder in anderer Form begegnen, wollen wir hier auf den Grund gehen.

 „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg und wollen ja nicht arbeiten.“

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Ostdeutschland besonders hoch. Während sie im Bundesdurchschnitt bei 5,1% liegt, haben in den neuen Bundesländern 8,3% aller 15 bis 25-Jährigen keinen Job. Auch deshalb ziehen nach wie vor viele Jugendliche in die Ballungszentren oder kehren dem Osten komplett den Rücken. In dieser Situation werden die Geflüchteten vor allem als Konkurrenz wahrgenommen. In Bezug auf Arbeitsplätze sind die Vorwürfe gegenüber Geflüchteten deshalb auch widersprüchlich. Entweder sie arbeiten zu viel oder zu wenig.

     Arbeitsverbot
Während der Zeit der Unterbringung in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen besteht ein generelles Arbeitsverbot. Geflüchtete, die lediglich eine „Aufenthaltsgestattung“ oder eine „Duldung“ haben, dürfen in den ersten drei Monaten ebenfalls nicht arbeiten. Auch danach muss die Aufnahme eines Jobs durch die Ausländerbehörde und die zentrale Auslands- und Fachvermittlung erlaubt werden. Diese Arbeitserlaubnis wird nur gewährt, wenn keine deutschen oder bevorrechtigten Ausländer (bspw. Menschen aus einem andern Staat der EU) sich auf ddie Stelle bewerben. Der Mythos vom Ausländer, der uns die Arbeit klaut, ist also falsch. Besondere Regelungen gibt es für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten: Menschen mit „Duldung“ oder „Aufenthaltsgestattung“, die nach dem 31. August 2015 einen Asylantrag gestellt haben, darf in keinem Fall eine Arbeitserlaubnis erteilt werden. Auch die Behauptung, dass die Geflüchteten bewusst nicht arbeiten gehen würden, ist also falsch.
     Prekäre Beschäftigung und Lohndrückerei
Nach dem 15. Monat des Aufenthaltes in Deutschland fällt die „Vorrangsprüfung“ weg. Danach werden die meisten Geflüchteten prekär beschäftigt oder gehen in die Leiharbeit. Eine Zustimmung der Ausländerbehörden bleibt weiterhin erforderlich. Erleichterte Voraussetzungen gelten nur beim Freiwilligen sozialen Jahr, Bundesfreiwilligendienst und bestimmten Arten Praktika. Die Folge ist, dass gut ausgebildete Menschen Tätigkeiten eines Facharbeiters übernehmen, aber nicht entsprechend entlohnt werden. Mit diesen Mitteln wird versucht, einen Keil zwischen die Lohnabhängigen zu treiben. Der Arbeitsplatzmangel in Ostdeutschland ist real. Ursache dafür sind jedoch nicht die Flüchtlinge, sondern die Tatsache, dass der Osten seit Jahren systematisch heruntergewirtschaftet wird. Darunter leidet die gesamte Arbeiterklasse, inklusive der Flüchtlinge.   

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„Flüchtlinge nehmen Einheimischen die Wohnung weg.“

Der Wohnungsmarkt im Osten ist prekär und von Widersprüchen geprägt. Während in Unistädten wie Jena und Leipzig der bezahlbare Wohnraum knapp ist, haben kleinere Kommunen mit Verfall und Leerstand zu kämpfen. In der Wahrnehmung vieler Menschen wird diese Situation durch die Geflüchteten verschärft.
     Vertreibung von Einheimischen?
Gestützt wird dies durch immer wieder aufkommende Berichte von Menschen, die angeblich aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. So beispielsweise in Zeulenroda, einer Kleinstadt in Thüringen, wo Anwohnern eines beinahe leerstehenden Wohnblocks mit Wasserschaden angeboten wurde, ihre Wohnungen zu verla

ssen, damit in diesem Block Geflüchtete zentriert untergebracht werden können. Die Stadt hätte dabei die vollen Umzugskosten getragen und die Anwohner bei der Suche nach einer neuen Wohnung unterstützt. Von Zwang kann also keine Rede sein. Zumal Wohnraum in Zeulenroda beileibe nicht knapp ist. Immerhin steht beinahe jede 5. Wohnung der Kleinstadt leer. Dieser Leerstand ist eine direkte Folge der Abwicklung zahlreicher Volkseigener Betriebe und der damit einhergehenden Arbeitslosigkeit seit der „Wende“ 1990.
     Integration durch dezentrale Unterbringung?
Das macht auch ein anderes Problem deutlich. Die rot-rot-grüne Landesregierung rühmt sich mitder dezentralen Unterbringung der Geflüchteten. Tatsächlich stimmt es, dass fast 2/3 aller Geflüchteten in Thüringen in Wohnungen und nicht in Sammelunterkünften untergebracht sind. Doch wird die Integration sicherlich nicht dadurch erleichtert, möglichst jeden Kontakt zur Bevölkerung zu vermeiden. Das ist aber die Folge der Unterbringung in separaten Wohnblocks.
Die Situation für die in den Sammelunterkünften untergebrachten Menschen ist ungleich schlechter. Geflüchteten in Thüringen stehen gesetzlich sechs Quadratmeter pro Person zu. Das heißt, in einem 24 Quadratmeter großen Raum dürfen bis zu vier Personen auch über einen längeren Zeitraum untergebracht werden. Toiletten, Duschen und Küchen werden oft von vielen geteilt. Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeiten sind so ausgeschlossen und Konflikte vorprogrammiert. Die für die Unterbringung verantwortlichen Sozialämter verweisen darauf, dass nicht genug Wohnraum zur Verfügung stehe, um alle Menschen in dezentralen Wohnungen unterzubringen.

     Verfehlte Sozialpolitik

Nun ist dieses Problem nicht neu. In Jena gibt es seit Jahren faktisch keinen Wohnungsleerstand und die Mietpreise gehen durch die Decke. Die Aufgabe der Stadt ist also eigentlich klar: sozialer Wohnungsbau. Statt dessen werden kommunale Flächen privatisiert und Eigentumswohnungen gebaut. So wird die Situation verschärft. Die Geflüchteten und uns eint das selbe Interesse: bezahlbarer Wohnraum. Die Kommunen haben vor allem das der Anleger und Investoren im Blick. Eine solche Politik macht wütend. Schuld daran sind jedoch nicht die Geflüchteten, sondern eine verfehlte Sozialpolitik.

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„Alle Flüchtlinge bekommen ein Begrüßungsgeld von 2800 Euro.“

Auch über die Sozialleistungen, die Geflüchteten zustehen, kursieren Gerüchte. In Erfurt-Nord – einem Arbeiterstadtteil mit großen Plattenbauten – wurden beispielsweise regelmäßig Flyer verteilt. Darauf die Behauptung, Geflüchtete bekämen ein Begrüßungsgeld von 2800 Euro.
     Faule Kompromisse
Die Realität ist eine andere. 1993 wurde mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl -Asylkompromiss – auch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeführt. Geflüchtete erhielten danach rund 25 % niedrigere Sozialleistungen als andere Sozialleistungsberechtigte. Dabei reichen bereits diese Leistungen nachweislich nicht für ein menschenwürdiges Leben. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Praxis 2012 für nicht vereinbar mit den Menschenrechten erklärt hatte, wurden die Regelsätze neu berechnet. Die aktuelle Höhe der Grundleistungen nach dem AsylbLG ist dennoch deutlich niedriger als die Leistungshöhe nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV-Regelsatz) mit 404 Euro.
     Erneute Kürzungen
2015 wurden erneut Änderungen mit erheblichen Leistungskürzungen im AsylbLG vorgenommen. Die Entscheidungen treffen dabei nur Menschen, die selbst nicht von den Auswirkungen betroffen sind. In unserem Interesse ist diese Entscheidung jedenfalls nicht. Denn es ist davon auszugehen, dass die Gruppe der Menschen, die in diesem Land in Armut leben müssen, erheblich wächst.
     Entmündigung durch Sachleistungen
Das AsylbLG ist auch die rechtliche Grundlage dafür, dass Geldleistungen häufig durch Sachleistungen ersetzt werden. Diese Praxis ist nicht nur demütigend, sondern greift auch massiv in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen ein. Vor allem aber dient sie dazu, den Geflüchteten einen Sonderstatus zu geben und sie als „die Anderen“ zu brandmarken. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Ausgabe von Einkaufsgutscheinen an Stelle von Bargeld. Aber auch das „Taschengeld“, das Geflüchteten zusteht, wird häufig durch Sachleistungen und Gutscheine ersetzt. In den Änderungen des AsylbLG vom März 2015 wurde theoretisch der Vorrang von Geldzahlungen festgeschrieben. Ein halbes Jahr später wurde dies mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wieder massiv aufgeweicht. Vor allem Geflüchtete, die in Deutschland nur „geduldet“ werden, sind nun deutlich schlechter gestellt. Von einem „Begrüßungsgeld“ kann also keine Rede sein. Vielmehr wird uns und den Geflüchteten vorenthalten, was uns zusteht. Statt sich um ein auskömmliches Leben für alle zu kümmern, kürzt der Staat noch bei den Ärmsten der Armen . Dagegen müssen wir gemeinsam den Widerstand organisieren. Die Faschisten tun das Gegenteil: Sie verhindern, dass die von Armut Betroffenen sich solidarisieren und stützen so die Herrschenden.

Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren unter position@sdaj.org

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„Das sind alles Sozialschmarotzer.“

Gerne wird sich darüber ausgelassen, dass Geflüchtete nach Deutschland kämen, um sich hier vom deutschen Staat versorgen zu lassen. Ein Blick auf deren Gesundheitliche Grundversorgung  zeigt ein ande

res Bild. Theoretisch steht ihnen diese zu. Allerdings muss die Behandlung eines Menschen ohne Papiere der Ausländerbehörde gemeldet werden. Viele Geflüchtete meiden deshalb den Gang zum Arzt, da sie Angst vor einer Abschiebung haben. Robert vom MediNetz Jena, einem Verein, der sich Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus medizinische Hilfe anbietet, berichtet von den Folgen: „Ein papierloser Familienvater hat sich aus Angst vor der Abschiebung mit seinem immer schlimmer werdendem Husten nicht getraut, zum Arzt zu gehen. Als das gesundheitliche Leiden irgendwann schlimmer war als die Angst vor der Abschiebung, meldete er sich bei uns. Wir haben ihn umgehend an eine Hausärztin vermittelt. Diese diagnostizierte eine offene Tuberkulose und überwies ihn sofort ins Krankenhaus. Dort hat man alles für den Patienten getan, er lag wochenlang auf der Intensivstation. Er erlag der Krankheit, die im Anfangsstadium, in dem jeder, der keine Angst vor Abschiebung hat, zum Arzt gegangen wäre, leicht zu behandeln gewesen wäre.“ Er erzählt, dass Fälle wie dieser leider keine Ausnahme sind. Deshalb ist ein wichtiger Teil für das MediNetz auch die „politische Arbeit, denn eigentlich übernehmen wir Aufgaben, die der Staat tragen sollte“. Dass Rassismus tötet, ist spätestens seit dem NSU bei allen angekommen. Dieses Beispiel zeigt aber, dass auch die verbrecherische Gesetzeslage in Deutschland Menschen in den Tod treibt .

Alle Gesetze und Maßnahmen laufen auf eine Spaltung der Arbeiterklasse hinaus. Denn die Probleme sind real. Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Menschen können von ihrem Lohn nicht leben, oder finden keine Arbeit. Die öffentliche Daseinsfürsorge wird zurückgeschraubt und soziale Grundrechte werden zurückgenommen. All dies hat schon vor der „Flüchtlingskrise“ seinen Anfang genommen.
Die Rolle der Faschisten in diesem Zusammenhang ist besonders perfide. Denn erst vor dem Hintergrund der aktuellen „Flüchtlingskrise“ haben sie ihr Herz für arbeitslose, arme und prekär beschäftigte Deutsche entdeckt. Die Faschisten behaupten, dass die Geflüchteten auf unsere Kosten leben würden. Sie nutzen die berechtigte Wut und das Misstrauen gegenüber Eliten und bürgerlicher Presse für ihre rassistische Hetze aus. Davon profitieren letztlich die, die an den Kürzungen und Spaltungen interessiert sind und daran verdienen. Das sind die Banken und Konzerne. Gegen sie müssen wir den Kampf gemeinsam führen. Denn am Ende eint die Geflüchteten und uns das selbe Interesse: ein menschenwürdiges Leben für alle.

David, Jena

Dieser Artikel erschien in
POSITION #6/2016
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