Mit knapper Mehrheit hat das AKP-Regime in der Türkei das Referendum über die Einführung eines Präsidialregimes gewonnen. Ob, wie viele vermuten, das Abstimmungsergebnis manipuliert wurde oder nicht, ist dabei relativ unerheblich. Denn erstens fand ohnehin die Abstimmung auch nach bürgerlichen Maßstäben unter sehr undemokratischen Bedingungen statt, angesichts einer gewaltsam gleichgeschalteten Medienlandschaft und allgegenwärtiger Repression gegen das Nein-Lager. Und zweitens steht die wesentliche Lektion der Abstimmung unabhängig davon fest: Etwa die Hälfte der Bevölkerung der Türkei (auf wenige Prozentpunkte mehr oder weniger kommt es dabei nicht an) unterstützt die Diktaturpläne Recep Tayyip Erdogans, während die andere Hälfte der Regierung Ablehnung oder offenen Hass entgegenbringt.
Das zeigt: Die Türkei ist ein zutiefst gespaltenes und zerrissenes Land. Die Spaltung in Ja- und Nein-Stimmen ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Denn das Nein-Lager ist extrem uneinig: Dazu gehören Liberale, Sozialdemokraten, Kemalisten (nicht-religiöse liberale Nationalisten), Anhänger der kurdischen Befreiungsbewegung PKK, viele Dutzende linksradikale Gruppierungen und die Kommunisten, auf der anderen Seite aber auch enttäuschte ehemalige Anhänger der AKP und der faschistischen Partei MHP.
Das Regime wird nach seinem Sieg nun den Ausbau des sowieso schon autoritären Systems zu einer immer offeneren Diktatur vorantreiben. Die angekündigten Verfassungsänderungen bedeuten, dass Erdogan als Präsident in Zukunft nach Gutdünken seine Regierung zusammensetzen und wieder entlassen kann, neue staatliche Institutionen mit beliebigem Aufgabenbereich schaffen kann, das Justizwesen (Richter, Staatsanwälte) weitgehend kontrolliert und andrerseits aber mit seiner Regierung der Kontrolle durch das Parlament entzogen wird. Kurz: Das Parlament wird endgültig zur Fassade, während alle Entscheidungsbefugnisse beim Präsidenten zusammenlaufen. Doch damit nicht genug: Erdogan hat sofort nach der Bekanntgabe seines Sieges angekündigt, als erstes die Todesstrafe wiedereinführen zu wollen. Diese wird sich nicht, wie behauptet, gegen „Terroristen“ richten, denn mit dschihadistischen Gruppen wie dem Islamischen Staat oder Ahrar al-Sham arbeitet das türkische Regime seit Jahren eng zusammen. Es handelt sich um ein Mittel zur Verschärfung des Staatsterrors gegen die Opposition im eigenen Land, insbesondere gegen die kurdische Bewegung, die Arbeiterbewegung, die Kommunisten, aber auch konkurrierende bürgerliche Kräfte in den Staatsapparaten (Kemalisten, Gülen-Bewegung).
Der Krieg gegen das kurdische Volk im Südosten der Türkei, der im Verlauf des vergangenen Jahres mit barbarischer Brutalität eskaliert wurde, wird vermutlich fortgesetzt werden. Die PKK wird demgegenüber aber nicht die Arme verschränken, sondern ihrerseits den Bürgerkrieg verschärfen. Die Leidtragenden werden die Werktätigen der Türkei, die Arbeiter, Bauern, kleinen Selbstständigen und Intellektuellen, vor allem in den Kurdengebieten, aber auch außerhalb davon sein.
Doch natürlich wird Erdogan nie sämtliche Macht in den Händen halten können. Denn die wirklich Herrschenden sind bekanntlich in allen Ländern die Industriellen und Bankiers, so auch in der Türkei. Ihre Interessen muss auch Erdogan im Blick behalten. Das türkische Kapital hat jedoch eine zwiespältige Haltung gegenüber der Diktatur Erdogans: Einerseits wissen sie, dass es angesichts der Kräfteverhältnisse gerade keine realistische Alternative für sie gibt – also keine andere Kraft, die im Interesse des Kapitals besser die Regierungsgeschäfte leiten könnte. Die Unterdrückung der Gewerkschaften und kapitalfreundliche Wirtschaftspolitik des Regimes trifft bei türkischen und ausländischen Kapitalisten auf große Zustimmung. Dass aber auch pro-EU-Liberale unterdrückt werden und dass Erdogans Bürgerkriegs- und Eskalationspolitik die Stabilität der Währung und der Investitionsbedingungen gefährdet, sehen diese Kräfte allerdings mit großer Skepsis. Gäbe es eine Alternative, würden große Teile des Kapitals daher aus dem gemeinsamen Block mit der Regierung ausbrechen und das Regime damit massiv destabilisieren.
Auch die westlichen Imperialisten stellen immer offener infrage, ob Erdogans Regime noch in ihrem Interesse ist. Besonders die ökonomisch (und politisch) führenden Staaten der EU, nämlich Deutschland und die Niederlande, gehen offener die Konfrontation ein. Sich auf eine der beiden Seiten zu stellen, indem man z.B. den „demokratischen Westen“ der diktatorischen Türkei entgegenstellt, ist aber ein großer Fehler. Deutschland, Frankreich, die USA und die anderen führenden kapitalistischen Länder interessieren sich keineswegs an sich für die Rechte der Bevölkerung in der Türkei. Ihre Interessen sind rein machtpolitisch und wirtschaftlich. Sie haben keinerlei Bedenken, mit vergleichbaren Kriegstreibern (etwa der Regierung Israels) oder noch schlimmeren Diktaturen (wie Saudi-Arabien, Katar oder Ägypten) eng zusammenzuarbeiten. Auch die Türkei war über Jahrzehnte ein wichtiger NATO-Partner und wird es vermutlich auch bleiben. So war die Reaktion von Merkel und Außenminister Gabriel auf den Sieg Erdogans vielsagend nichtssagend: Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Regierung „einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht“. Nun ja, wirklich „alle“ politischen Kräfte des Landes werden damit wohl doch nicht gemeint sein. Aber die zurückhaltende Reaktion zeigt: Die Türkei ist als Militärmacht und als Standort für Investitionen für das deutsche Kapital und die Konzerne anderer westlicher Staaten zu wichtig, als dass die Zusammenarbeit grundsätzlich infrage gestellt würde.
Die AKP ist nicht nur der Feind der Minderheiten, wie Kurden oder Aleviten, sondern der Feind aller Armen, aller arbeitenden Menschen in der Türkei. Ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik ist direkt gegen die Interessen dieser breiten Massen gerichtet. Je mehr Menschen begreifen, dass die Politik der AKP ihren eigenen Lebensstandard bedroht, desto mehr wird sich das Regime einer entschlossenen Opposition gegenüber sehen. Die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) hat natürlich im Referendum für ein Nein geworben. Sie hat aber gleichzeitig betont, dass die bloße Ablehnung einer Erdogan-Diktatur nicht ausreicht, sondern dass das eigentliche Problem Kapitalismus heißt. Und gegen diesen Feind werden die Völker der Türkei nur dann siegen können, wenn sie ihre eigenen Organisationen im Klassenkampf schaffen, die unabhängig sind von den Kapitalisten aller Seiten, sowohl von der „eigenen“ türkische Kapitalistenklasse, der der NATO-Staaten oder der Russlands.
Was bleibt für uns in Deutschland zu tun? Solidarität mit den Genossinnen und Genossen sowie der Arbeiterklasse der Türkei üben wir am besten, indem wir gegen den Kapitalismus in unserem eigenen Land kämpfen. Mit folgenden Forderungen schaden wir auch von hier aus dem AKP-Regime:
- Stopp aller Waffenlieferungen in die Türkei!
- Abzug aller deutschen Truppen aus der Türkei!
- Stopp der Zusammenarbeit im Rahmen von EU und NATO!
- Das Verbot der PKK und anderer oppositioneller Organisationen aus der Türkei muss in Deutschland aufgehoben werden!