Zum 70. Gründungstag der VVN haben wir mit Christa aus Schwabach gesprochen. Sie ist dort u.a. im Landesvorstand Bayern aktiv.
Position: Gerade wurde die VVN-BdA siebzig. Wieso war das ein Grund zu feiern?
Christa: Es ist ein bißchen wie mit dem 8.Mai: natürlich hat das alles einen sehr ernsten Hintergrund, denn schließlich wurde die VVN-BdA von KZ-Überlebenden gegründet. Aber bei all den Veranstaltungen, Diskussionen, Demos und Kampagnen, die so unseren Alltag prägen, sollte zwischendrin auch Platz sein, um kurz Luft zu holen und das zu feiern, was wir gemeinsam erreicht haben. 70 Jahre VVN, das bedeutet 70 Jahre 8.Mai als Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus durch die Rote Armee und die Westalliierten, 70 Jahre Kampf gegen Aufrüstung und Krieg und es bedeutet 70 Jahre mit aufrechten Kameradinnen und Kameraden, Genossinen und Genossen, Freundinnen und Freunden, die den Weg mit uns zusammen gegangen sind. Dabei engagierten sich von Anfang an Menschen mit den unterschiedlichsten Biografien und Zugängen zum Thema „Antifaschismus“ in den Reihen der VVN-BdA. Woran wir zum Anlass unserer Gründung erinnern wollen, ist, dass es immer, egal wie schwer und schwierig es war, auch Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse gegeben hat. Den gab es damals zur Zeit des Faschismus, in Deutschland, in den besetzten Gebieten und selbst in den KZs. Und den gibt es natürlich auch heute.
Ihr nennt euch „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“. Was steckt hinter diesem Namen?
Christa: Die VVN-BdA wurde gegründet von Frauen und Männern, die glücklicherweise die Verbrechen und Verfolgungen der Nazis überlebt hatten. Viele von ihnen, auch die, die nicht mehr unter uns sind, haben ihr Leben lang von diesen Verbrechen, aber auch dem Widerstand dagegen, berichtet und das Wissen darum an die nächsten Generationen weiter gegeben. Einige tun dies noch. Sie treten wie Esther Bejarano oder Ernst Grube als Zeitzeugen in Schulen und vor jungen Menschen auf. An einer Würdigung dieser verdienten Kameradinnen und Kameraden kommen mittlerweile selbst staatliche Stellen nicht vorbei. Aber das Wichtigste ist: sie alle sind, soweit es ihre Gesundheit noch zulässt, überall dort zu finden, wo es darum geht sich Nazis in den Weg zu stellen und sich für eine friedliche, gerechte Welt einzusetzen. Das haben sie mit all jenen VVN-Mitgliedern gemeinsam, die von den Gräueltaten der Faschisten nicht mehr direkt betroffen waren, sich aber heute dennoch in der VVN-BdA engagieren. Unsere gemeinsame, inhaltliche Grundlage ist nach wie vor der Schwur, den Überlebende des KZ Buchenwald 1945 geleistet haben. Seine bekanntesten Zeilen lauten:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“.
Im März hat die VVN-BdA zu Protesten vor lettischen Konsulaten aufgerufen. Was war der Hintergrund dazu?
Christa: Lettland gehört mit Estland, Litauen, der Ukraine und Bulgarien zu den osteuropäischen Staaten, in denen Einheiten der Waffen-SS und andere mit den Nazis kollaborierende, antisemitische Todesschwadronen als nationale Idole gefeiert werden. Dies geschieht mit staatlicher Duldung und teilweise offener Unterstützung durch Behörden.
Der alljährlich stattfindende Rigaer „Ehrenmarsch“ ist eine unerhörte Provokation für jüdische, russischsprachige und andere Minderheiten im Land. In Lettland werden antifaschistische Demonstrantinnen und Demonstranten erheblichen Repressalien (Telefonüberwachung, Reisebeschränkungen, Behördenschikanen, Polizeiwillkür, staatliche Einflussnahme auf Hotels und Veranstaltungsunternehmen) ausgesetzt. Dies gilt auch für Unterstützerinnen und Unterstützer, die aus Deutschland und anderen Ländern anreisen. So wurden Anreisende in den letzten Jahren beispielsweise am Flughafen festgesetzt oder durften gar nicht erst die Reise antreten. Umso wichtiger war und ist es, Solidarität mit den lettischen Antifaschistinnen und Antifaschisten zu zeigen.
In Bayern wird die VVN nach wie vor als verfassungsfeindliche Organisation vom Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz beobachtet. Gleichzeitig wurde einer Partei wie der NPD gerade höchstrichterlich bescheinigt sie sei zu unbedeutend, um gefährlich zu sein. Wie passt das zusammen?
Christa: Während der NPD eine absurde Unbedenklichkeit attestiert wird, nimmt die Gewalt durch Nazis gegenüber Andersdenkenden und Flüchtlingen von Jahr zu Jahr zu. 3.500 rechte Angriffe im letzten Jahr, davon 560 gewaltsam, 200 Angriffe auf HelferInnen, eine stetig steigende Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsheime und sogar vor Kindern wird nicht Halt gemacht. Genannt sei auch das „Erstarken“ der AfD, die sich zunehmend klarer rassistisch und geschichtsrevisionistisch positioniert. Dazu kommen fast monatliche Aufmärsche von Nazis im Land. Einen besonders bitteren Beigeschmack hat das Nicht-Verbot der NPD für die Kameradinnen und Kameraden in der VVN, die bereits in den fünfziger Jahren politisch aktiv waren. Es waren vor allem Kommunistinnen und Kommunisten, aber auch viele andere, die als Verfolgte die VVN gegründet haben. Leider wurden viele von ihnen unter der Adenauer Regierung im Rahmen des KPD-Verbots erneut verfolgt, standen wenige Jahre nach Kriegsende vor den gleichen Nazirichtern wie während des Faschismus. Das war und ist ungeheuerliches Unrecht. Wenn diese Menschen nun miterleben, dass eine Partei wie die NPD nicht verboten wird, während der Verfassungsschutz in Bayern aber stattdessen die VVN als Gefahr für die Verfassung einstuft und beobachtet, dann schließt sich der Kreis. Das ist ein Skandal.
Welchen Einfluss hat die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auf eure politische Arbeit?
Christa: Natürlich hat so etwas ganz praktische, konkrete Auswirkungen, wie beispielsweise die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass all das nichts ist, was sich nur auf die Grenzen Bayerns beschränkt. Das betrifft Spenden und Zuwendungen bundesweit, es ist aber vor allem auch eine inhaltliche Frage: Die VVN hat versucht, gegen ihre Nennung im Verfassungschutzbericht gerichtlich vorzugehen und war nicht erfolgreich. Begründet wurde das u.a. mit dem in der VVN verbreiteten, sogenannten „kommunistisch orientierten Antifaschismusbegriff“. Dieser geht laut Verfassungschutz auf den erheblichen Einfluss der DKP zurück. Zitat: „Daraus folgt die spezifisch kommunistische Färbung und Interpretation des Antifaschismus-Begriffs der DKP auch innerhalb der VVN, der sich wesentlich vom bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus-Begriff unterscheidet. Nach der kommunistisch orientierten Antifaschismus-Theorie sind bürgerliche Demokratie und Faschismus nur verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus…“. Letztendlich haben die bayerischen Richter also ausgeführt: wer sich, gemäß dem Schwur von Buchenwald, die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln zur politischen Aufgabe macht, gilt in ihren Augen als Verfassungsfeind. Diese Ironie wird noch dadurch verfeinert, dass viele Kameradinnen und Kameraden nach dem Krieg an der Entstehung von Länderverfassungen, auch der bayerischen, beteiligt waren.
Wenn Jugendliche sich heutzutage antifaschistisch engagieren wollen, inwiefern ist die VVN dann eine Hilfe für sie?
Christa: Dass es heute die VVN-BdA trotz aller Widrigkeiten als eine der anerkanntesten und größten antifaschistischen Organisationen gibt, finde ich entscheidend. Es hat mich persönlich am meisten beeindruckt, in dieser Organisation viele Widerstandskämpferinnen und -kämpfer persönlich kennengelernt zu haben.
Ihr unzerbrechlicher Mut, Wille und Optimismus geben mir bis heute selbst große Kraft. Dies ist es auch, was ich vor allem jungen Menschen sage, warum sie Mitglied in der VVN-BdA werden sollen. Die Erweiterung „Bund der Antifaschisten (BdA)“ ist vor allem auch mit dem Ziel geschehen nicht nur selbst Verfolgte und Opfer in der Organisation zusammen zu schließen, sondern allen antifaschistisch eingestellten Menschen die Möglichkeit zu geben, sich bei uns zu organisieren und mitzuarbeiten. Erich Kästner schrieb in den 30iger Jahren dazu einmal: „Einen Schneeball kann man noch zertreten, eine Lawine nicht mehr.“ Unser Kampf gegen Alt-und Neonazis ist noch lange nicht zu Ende. Wir freuen uns über jede und jeden, der uns dabei unterstützt und unseren gemeinsamen antifaschistischen Kampf in die Zukunft trägt.
Das Interview führte Tatjana, Rostock