Interview über die Solidaritätsaktion von Nürnberger BerufschülerInnen für ihren afghanischen Mitschüler Asef
Jonas (24) macht an der B11 in Nürnberg eine Ausbildung zum Zimmerer. Moritz (26) kennt das Berufschulzentrum in Schoppershof noch aus eigenen Ausbildungszeiten. Beide waren vor Ort, als die Polizei in Asefs Schule kam, um ihn nach Afghanistan abzuschieben. Wir haben mit ihnen und Michael, Asefs Anwalt, gesprochen.
POSITION: Jonas, der gewaltsame Polizeieinsatz an deiner Berufsschule, aber auch euer aktives Engagement gegen die Abschiebung eures Mitschülers nach Afghanistan, war bundesweit in den Medien. Wie war der Tag für dich?
Jonas: Lang und stressig (lacht). So verrückt es klingt, anfangs war ich oben in meinem Klassenzimmer und hab eine Schulaufgabe geschrieben, in Sozialkunde, zum Thema: „Menschenrechte und Demokratie“. Ich war früher fertig und bin nach unten, um mir einen Kaffee zu holen. Da haben die Leute schon gesagt, dass etwas los ist. Kurz darauf hab ich das Polizeiauto gesehen und etwa 40 Menschen, die davor, aber viele auch drumherum standen. Die Polizei war vorher ins Schulgebäude gekommen und hatte Asef rausgeholt. Seine Mitschüler, Lehrer und andere standen um das Auto herum und haben sich solidarisiert. Ich hab mich dann auch dazu gestellt. Es wurden immer mehr Menschen, die sich solidarisiert haben, auch Passanten, aber v.a. SchülerInnen. Zum Schluss waren es mehrere hundert Menschen.
Warum denkst du, dass es gerade an eurer Schule einen derartigen Protest und Widerstand gegen das Vorgehen der Polizei gab?
Jonas: Es gibt allgemein viele Geflüchtete und auch Flüchtlingsklassen bei uns an der Schule, viele davon aus Afghanistan. Vor einigen Wochen gab es eine Kundgebung vor der Schule, dabei ging es um Afghanistan als „sicheres“ Herkunftsland. Die Kundgebung kam gut an, viele denken: „Die Betroffenen sind bei uns an der Schule und wir solidarisieren uns mit ihnen, denn die werden ja aus Gründen abeschoben, die mit uns nichts zu tun haben.“
Michael, du bist Asefs Anwalt. Wie rechtens war das Agieren der Polizei an diesem Tag?
Michael: Da muss man differenzieren. Abschiebungen werden i.d.R. von den Ausländerbehörden geplant und in Auftrag gegeben. Die Abschiebung von Asef hat die ZAB (Zentrale Ausländerbehörde Mittelfranken) vorbereitet. Die Polizei führt insoweit lediglich den Vollzugsauftrag aus. Meines Erachtens hätte Asef an diesem Tag nicht abgeschoben werden dürfen bzw. bestehen hiergegen erhebliche rechtsstaatliche Bedenken. So war Asef am Tag seiner Abschiebung im Besitz einer gültigen Duldung bis Ende Juli 2017. Auf diesem Dokument steht wörtlich: „Aussetzung der Abschiebung“. Asef hatte natürlich auf diese Regelung vertraut. Darüber hinaus hatte Asef im April diesen Jahres einen Antrag nach § 25a AufenthG gestellt. Mit dieser Regelung haben „besonders gut integrierte“ Jugendliche bzw. Heranwachsende die Möglichkeit auf einen Aufenthaltstitel. Obwohl die ZAB den ablehnenden rechtsmittelfähigen Bescheid am 23.05.2017 erlassen hat, wurde Asef diese Ablehnung erst im Rahmen seiner Abschiebung am 31.05.2017 übergeben. Ihm wurde meines Erachtens der Rechtsweg abgeschnitten. Dies stellt einen eklatanten rechtsstaatlichen Verstoß dar. Diese Auffassung hatte im Übrigen auch das Landgericht Nürnberg-Fürth, welches das Vorgehen der ZAB stark kritisiert hat.
Moritz, du bist in der Gewerkschaftsjugend. An dem Tag selbst warst du mit vor Ort, kannst du kurz den Ablauf der Ereignisse aus deiner Sicht schildern?
Moritz: Sehr schnell hatte sich an diesem Morgen die Nachricht verbreitet, dass die Polizei im Begriff war, einen Jungen in der Berufsschule festzunehmen, um ihn daraufhin nach Afghanistan
abzuschieben. Die Polizei war anfangs noch relativ knapp aufgestellt, das änderte sich jedoch bald. Das Aufgebot wurde mit Beamten in Kampfmontur und Hunden aufgestockt. Sie haben dann immer wieder versucht, in die Blockade einzugreifen, jedoch ohne großen Erfolg. Die haben scheinbar irgendwann festgestellt, dass sie das blockierte Fahrzeug niemals durch die Blockade der Schüler bringen könnten, also zerrten sie den Betroffenen aus dem Fahrzeug. Er hielt sich tränenüberströmt am Einsatzfahrzeug fest. Als die Schüler daraufhin mobil machten fing die Polizei an, die Lage zu eskalieren, prügelte die Schüler weg und setzte Pfefferspray ein. Danach ging alles sehr schnell, die Polizei prügelte sich ihren Weg zu einem anderen Fahrzeug frei und konnte die Festnahme abschließen.
Wie ging es danach weiter? Gab es an dem Tag selbst noch Soli-Aktionen?
Jonas: Ja, klar. Es gab eine Spontandemo zum Einwohnermeldeamt. Man ist in die Klassen gegangen und hat gesagt: „Wir machen jetzt eine Demo.“ Ich selbst bin zurück in mein Klassenzimmer, um mein Zeug zu holen, bevor die Demo losgeht. Ein anderer Mitschüler wollte auch mitdemonstrieren. Unsere Sozialkundelehrerin meinte, sie verstehe das ja, doch so ginge es nicht, denn es war ja noch Unterricht. Es gab dann eine Diskussion darüber, was das denn für eine Demonstrationsfreiheit sei. Wann, wenn nicht jetzt, soll man denn protestieren? Die Lehrerin meinte, sie persönlich verstehe, was wir machen, einen Verweis müsse sie trotzdem geben. Uns hat das nicht eingeschüchtert. Alle Leute auf der Demo waren sauer, es wurden durchgehend Parolen gerufen, bis zum Einwohnermeldeamt und auch davor.
Asef wurde an dem Tag nicht abgeschoben, da aufgrund eines Bombenanschlags in Afganistan sein Abschiebeflug ab München gestoppt wurde. Aber seine Zukunft ist unsicher und er kein Einzelfall. Ist die Verhaftung eures Mitschülers noch Thema bei euch an der Schule? Hat der Tag längerfristige Auswirkungen?
Jonas: Ein paar Wochen nach den Ereignissen gab es ein Treffen zwischen den SchülerInnen der B11 und unserem Direktor. Dort wurde viel über den Tag diskutiert. Allgemein haben sich viele LehrerInnen und die Schulleitung solidarisch verhalten. Es gibt an der Schule jetzt eine eigene Arbeitsgruppe SgA (Schüler gegen Abschiebung), in der ich mit aktiv bin. Wir halten engen Kontakt mit der SMV und arbeiten auch mit Personen und Bündnissen außerhalb der Schule, die schon länger etwas zu der Thematik „Flucht, Geflüchtete und Fluchtursachen“ machen, zusammen.
Was bedeutet es für einen Fall wie den euren, dass Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde?
Michael: Afghanistan steht nicht auf der Liste der sicheren Herkunftsländer. Allerdings sehen manche Landesregierungen, darunter auch Bayern, einige Teile Afghanistans als so „sicher“ an, dass dort hin abgeschoben wird. Diese Ansicht ist meines Erachtens untragbar. Afghanistan ist so unsicher wie seit Jahren nicht mehr. Jeden Tag gibt es Anschläge, Tote und die Taliban ist allgegenwärtig. Der (deutsche) Militäreinsatz hat nichts gebracht und wird auch nichts bringen, außer mehr Waffen und damit mehr kriegerische Auseinandersetzungen. Menschen in Elend und Tod abzuschieben, ist für mich ein Unding und muss sofort gestoppt werden.
Das Interview führte Tatjana, Rostock