Martina ist Lehrerin in Hessen. Wir haben uns mit ihr über den Einfluss der Kapitalisten auf unsere Schulen unterhalten.
POSITION: Seit deiner Kindheit wolltest du Lehrerin werden. Nun unterrichtest du an einer Gesamtschule in Gießen. Hast du das Gefühl, deinem Anspruch an diesen Beruf gerecht zu werden? Wo werden dir Grenzen gesetzt?
Martina: Nein, denn uns Lehrerinnen und Lehrern werden immer mehr Aufgaben auf’s Auge gedrückt. Dazu gehören die allgemeine Zunahme bürokratischer Aufgaben, Förderpläne schreiben ohne entsprechende Qualifikation und Kinder unterrichten, die eigentlich individuelle Unterstützung benötigen würden.
Die Lernziele werden jetzt in Kompetenzen umformuliert, die Stoffpläne müssen also neu geschrieben werden. Die Kinder und auch die Eltern haben zu Hause immer mehr Probleme, die sie mit in die Schule nehmen und die somit zu unserem Problem werden. Die Familien benötigen dringend finanzielle, zeitliche und personelle Unterstützung, die wir weder auffangen, noch leisten können.
Immer mehr Schulmaterial muss von den Familien selbst angeschafft werden. Dazu gehören Übungsbücher, Kopiergeld, Bücher uvm., was manche Familien schwer oder gar nicht leisten können. Die Kinder brauchen außerdem mehr Platz zum Entspannen und Zeit, um ganz in Ruhe zu lesen oder zu lernen.
Ist es dann nicht großartig, wenn Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) fordert, 5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Klassenzimmer bereit zu stellen?
Martina: Mit Microsoft, Fujitsu, Telekom, Ericsson und Intel sind es fünf global operierende IT-Unternehmen, die diesen Auftrag erhalten sollen. Daran merkt man sofort, wessen Interessen im Vordergrund stehen.
Kinder werden mit Smartphone und Tablet aber nicht automatisch mehr oder besser lernen. Am besten lernen Kinder, wenn alle Sinne angesprochen werden, sie die Natur fühlen, riechen, schmecken und sehen dürfen – in der Schulzeit!
Denn Lernen ist kein einfacher Prozess. Ich benötige eine Herausforderung, die mich persönlich anspricht. Ich brauche einen Vermittler, einen Menschen, der leidenschaftlich für etwas einsteht, was mit einem Computer nicht möglich ist. Ich meine die Leidenschaft zum Kämpfen, zum Lernen und zum Lieben.
Du bist aktives GEW-Mitglied, wie kämpft ihr gegen die bevorstehende Einflussnahme auf die Bildungseinrichtungen?
Martina: Die Einflussnahme ist schon in vollem Gange. Konzerne stellen Schulmaterial zur Verfügung, bieten Seminare und Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, Projektwochen für Schülerinnen und Schüler an. So ist beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung als Teil der RTL-Group auch Teil der Meinungsmache der Herrschenden. Denn wenn ich beeinflussen kann, was die Kinder lernen sollen, dann kann ich die politische Richtung bestimmen, in der es weiter gehen soll. Auch die Bundeswehr darf sich in den Schulen vorstellen und Werbung fürs Sterben machen. All das ist weder im Interesse der Schülerschaft noch der Lehrenden.
Daher fordert die GEW, dass eine „Monitoringstelle für Unterrichtsmaterial“ eingerichtet wird. Sie soll von LehrerInnen genutzt werden können, um auffällig einseitige Materialien zu melden und zu prüfen. Außerdem fordern wir, dass die Finanzierung der Materialien offen gelegt wird und auf den ersten Blick erkennbar ist, wessen Interessen darin vertreten werden. Wir wollen auch, dass alle bestehenden Kooperationen zwischen den Kultusministerien oder Schulen und Dritten kritisch geprüft werden und dass Werbung an Schulen umfassend verboten wird. Das Ganze geht natürlich nur, wenn die staatliche Finanzierung des Bildungssystems und die Ausbildung von zukünftigen LehrerInnen endlich verbessert wird.
Da dem Ganzen aber Grenzen gesetzt sind, kämpfe ich darüberhinaus für eine andere Gesellschaft, in der es wirklich um die Interessen und das Wohlergehen der Kinder und ihre Zukunft geht, und darum, ihnen zu ermöglichen die Welt zu verstehen und aktiv mitzugestalten.
Das Interview führte Tobi, Gießen