Wenn Nazis sich in Interessenvertretungspolitik versuchen
„Jeder von uns hat mittlerweile einen Freund oder Bekannten, der seine Arbeitsstelle aus politischen Gründen verlor. Es trifft immer die kleinen Leute, deren Existenz vernichtet wird, weil sie vielleicht jeden Montag zu PEGIDA gehen, offen die Alternative für Deutschland (AfD) unterstützen oder einfach nur mit dem Kollegen in der Pause über politische Probleme reden“ – so titelt die rechte Website werdebetriebsrat.de und wirbt dafür rechte KandidatInnen für die Betriebsratswahlen 2018 zu gewinnen.
Zwischen März und Juni 2018 treten verschiedene KandidatInnen in den Betrieben als betriebliche InteressenvertreterInnen an. In den meisten Betrieben organisieren sich die KandidatInnen dafür in den jeweiligen für sie zuständigen DGB–Gewerkschaften. Einige KandidatInnen gehören keiner Gewerkschaft an oder sind in sogenannten „gelben“, arbeitgeberfreundlichen Gewerkschaften organisiert. Für die Metallindustrie ist das z.B. die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM).
„Zentrum Automobil“
In diesem Jahr treten zum ersten Mal KandidatInnen an, die sogenannten „blauen“ Gewerkschaften angehören. Ehrlicher wäre zu sagen „braune“ Gewerkschaften, denn die rechte Szene, hier vor allem
die AfD und die Identitäre Bewegung, versuchen ganz gezielt ihre Mitglieder als Arbeitnehmervertreter in die Betriebe zu kriegen. Bei Daimler in Untertürkheim nennt sich diese Gruppe „Zentrum Automobil e.V.“.
Bislang hat eine Platzierung der Rechten in den Betrieben nur ansatzweise stattgefunden. Die Vernetzung im Hintergrund formiert sich allerdings seit längerem. Gefährlich ist vor allem, dass bei dem Thema nicht nur mit Parolen und Stimmungsmache gearbeitet wird, sondern authentische Personen hinter den Projekten stehen: Da wäre AfD-Mann Guido Reil, Betriebsrat, Ex-Funktionär der IG BCE und der SPD aus Essen. Bei Daimler spielt sich die Mobilisierung um das Betriebsratsmitglied Oliver Hilbuger ab – Ex-Landesvorsitzender der NPD in Baden-Württemberg und Sänger der Rechtsrockband „Noie Werte“, deren Musik u.a. in den NSU–Bekennervideos zu finden war. Ein Nazi der alten Schule, der es durch sein Engagement geschafft hat, die bereits vorhandenen zwei Mandate für das „Zentrum“ bei der gerade stattgefundenen Wahl im Daimler-Werk Untertürkheim auf sechs zu steigern. Für potentielle WählerInnen sind Personen wie Reil und Hilburger Menschen, die Wissen wovon sie reden, die Einblick in die Arbeitswelt in Deutschland haben und die politischen Zusammenhänge lange kennen. Vertrauenswürdige Personen...
Solidarität statt Hetze
Diese Strategie von rechten Kräften hat eine neue Dimension erreicht: Bislang waren die Betriebe nicht gezielter Austragungsort rechter Politik, zumindest nicht so offen und organisiert. Bei der Bundestagswahl im vergangen Jahr wählten 15 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer AfD, im Osten des Landes waren es sogar 22 Prozent, der Bundesdurchschnitt lag bei 12,6 Prozent.
Eine verbale Absage an rechte Kräfte seitens der Gewerkschaften reicht nicht. Um den Rechten nicht die Betriebe zu überlassen müssen sie wieder als starke Kraft der Beschäftigten auftreten, als konfliktbereit und solidarisch. In ihren Auseinandersetzungen muss deutlich werden, dass nur gemeinsam Verbesserungen durchgesetzt werden können – mit direkter Beteiligung der Beschäftigten in den Betrieben und nicht in Verhandlungszimmern hinter geschlossenen Türen. Es muss deutlich werden, dass die Wahl von AfD, Identitären oder anderen rechten Interessenvertretern im Betrieb nur zu einer Spaltung und Schwächung der ganzen Belegschaft führt.
Julia, Bochum