Zur Heisenbergschen Unschärferelation und der Erkennbarkeit der Welt
Die sogenannte Heisenbergsche Unschärferelation, mit der wir uns im Physikunterricht in der Oberstufe beschäftigen, besagt, dass wir niemals exakt den Ort und den Impuls (so etwas wie die „Wucht“) eines Teilchens zur selben Zeit beliebig genau bestimmen können – sondern nur Wahrscheinlichkeiten dafür angeben können. Damit begründete Heisenberg 1927 die Quantenmechanik und bekam 1932 unter anderem dafür einen Nobelpreis. Im gleichen Jahr wurde gezeigt, dass Elektronen sowohl Eigenschaften von Teilchen als auch von Wellen haben und wir sie daher weder einfach als Teilchen, noch einfach als Welle beschreiben können. Damit war eine philosophische Debatte losgetreten: Heißt das etwa, dass wir die Welt gar nicht erkennen können? Dass uns immer etwas verborgen bleibt? Und hängen die Prozesse der Natur jetzt etwa davon ab, ob wir hinschauen oder nicht?
Einstein war bis zum Ende davon überzeugt, dass wir die Natur an dieser Stelle einfach noch nicht genau genug verstehen – und schlussfolgerte: „Gott würfelt nicht“. Und so wurden deterministische Konzepte entwickelt und sogenannte verbogene Parameter postuliert, die den Zufall aus der Physik verbannen sollten. In der Philosophie hat sich in dieser Frage aber eine andere Richtung durchgesetzt: Die sogenannte Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, von der wir manchmal auch noch im Physik- und Philosophieunterricht zu hören bekommen. Einer ihrer großen Vertreter, der Physiker Niels Bohr, vertrat aufgrund der Erkenntnisse der Quantenmechanik die Position, dass es gar keine objektive Realität gibt, die wir erkennen können – also nichts, wovon wir sicher sagen können, dass es existiert. Er war der Meinung, dass unsere Aufgabe deshalb gar nicht sein kann, die Welt zu verstehen und „in das Wesen der Dinge einzudringen“, sondern dass wir lediglich Konzepte entwickeln können, die es uns erleichtern, über die Natur zu sprechen. Ob diese Konzepte tatsächlich etwas mit der Natur zu tun haben, das könnten wir dabei aber nicht wissen.
Auf den ersten Blick klingt das alles nach irgendeiner abstrakten, physikalisch-philosophischen Debatte. Doch die Frage der Erkennbarkeit der Welt hat konkrete, praktische Folgen für uns: Wenn wir die Welt prinzipiell nicht erkennen können, dann können wir sie auch nicht verändern. Also lieber doch nochmal genauer hinschauen, was es mit dieser Unschärferelation so auf sich hat.
Marxistische Wissenschaftler widersprachen der Bohrschen Auslegung der Kopenhagener Deutung und meinten: Dass wir quantenmechanische Prozesse nur durch Wahrscheinlichkeiten beschreiben können, heißt noch lange nicht, dass wir die Welt nicht erkennen können. Die Quantenmechanik schließt zwar einen mechanistischen Determinismus aus – wir können nicht jederzeit sagen, welches Teilchen sich exakt an welchem Ort befindet und wo es sich im nächsten Moment, in zwei Minuten, in zehn Jahren befinden wird – aber trotzdem gibt es Gesetzmäßigkeiten in der Natur, die wir erkennen können. Und trotzdem können wir für ein größeres Gesamtsystem Vorhersagen treffen, es erfolgreich beschreiben. An der Stelle halten wir es dann mit Engels: „The proof of the pudding is the eating“, wenn wir die Natur korrekt beschreiben können, uns ihre Gesetze zunutze machen können, dann ist das der beste Beweis dafür, dass wir die Welt auch erkennen und verändern können.
Also: Im Naturwissenschaftsunterricht lieber zweimal hinschauen, welche philosophischen Aussagen aus den Experimenten abgeleitet werden. Aus der Quantenmechanik zu schlussfolgern, dass wir die Welt nicht erkennen können – das ist definitiv zu kurz gegriffen!
Andrea, Frankfurt
Allen, die sich mehr für Physik interessieren, empfehlen wir zum Weiterlesen: Quantenphysik und Marxismus von Rolf Jüngermann. Ursprünglich erschienen in den Marxistischen Blättern 6/08 und 1/09, online unter kurzlink.de/quantenphysik