Wir ewig-Gestrigen? (POSITION #02/18)

veröffentlicht am: 10 Jun, 2018

Hintergrund: Was ist dran an der Aussage, dass die marxistischen Ideen von der Emanzipation der arbeitenden Menschen und der klassenlosen Gesellschaft heute längst überholt wären?

KommunistInnen, vor allem wenn sie offen als solche auftreten, werden mit den verschiedensten Vorwürfen konfrontiert. Von Vorträgen über die Natur des Menschen, die den Kommunismus leider verhindere bis hin zu „Mauerschützen“-Vorwürfen ist so ziemlich alles dabei. Einer dieser Vorwürfe zielt besonders häufig auf die Teile unserer Bewegung, die es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen zum Kommunismus belassen wollen, sondern sich in SDAJ oder DKP organisieren: Oft liest und hört man von den „ewig-Gestrigen in der DKP“, die „den Schuss nicht gehört“ haben (taz, die Tageszeitung). Anders formuliert: Wer sich in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts in DKP oder SDAJ herumtreibt, muss irgendwie hängengeblieben sein.

Die SDAJ sei dogmatisch und klammere sich an längst nicht mehr gültige Glaubenssätze. Als Anlass dieser Kritik entpuppt sich in der Diskussion meist unsere Konzentration auf die Arbeiterklasse als die gesellschaftliche Kraft, die ein Interesse daran und die Fähigkeit dazu hat, die kapitalistische Gesellschaft revolutionär zu überwinden. Schon die bloße Feststellung, dass es auch heute noch eine Arbeiterklasse gibt, vermag so manche „undogmatische Linke“ in Wut zu versetzen.

Hängengeblieben auf Marx

Was ist dran an diesen Vorwürfen? Wie schon beschrieben, entzündet sich die Wut auf unseren vermeintlichen Dogmatismus meist daran, dass wir uns nicht vom Klassenbegriff abbringen lassen wollen und an unserer Orientierung auf die Arbeiterklasse festhalten. Aber warum sind wir so stur?

Bei der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft stellte Marx fest, dass diese auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen basiert. Ausbeutung ist bei Marx kein moralischer Begriff, sondern bezeichnet lediglich die Tatsache, dass in jedem Lohnarbeitsverhältnis ein Teil des täglich geleisteten Arbeitsproduktes nicht in die Tasche der ArbeiterInnen, sondern in den Besitz der Kapitalisten übergeht, die die für die Arbeit notwendigen Produktionsmittel besitzen. Die Stellung eines Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft ist im Wesentlichen durch seine Stellung zu den Produktionsmitteln bestimmt. Arbeitet jemand mit den Produktionsmitteln, verwaltet er sie oder besitzt er sie? Diese Stellung zu den Produktionsmitteln definiert die Klassenzugehörigkeit eines Menschen.

Das revolutionäre Subjekt

Marx stellte weiter fest, dass die Ausgebeuteten in puncto Lebensverhältnisse im Kapitalismus in der Tendenz immer den Kürzeren gegen ihre Ausbeuter ziehen – als ArbeiterIn lebt es sich in der Regel nicht so gut wie als Kapitalist. Die Arbeiterklasse hat also ein objektives Interesse an der Überwindung des Kapitalismus (subjektiv sieht das natürlich oft anders aus). Gleichzeitig basiert das Funktionieren dieses Systems völlig darauf, dass die Arbeiterklasse ihre Arbeitskraft weiterhin brav an das Kapital verkauft. Die Arbeiterklasse hat also nicht nur ein Interesse an der Überwindung des Kapitalismus sondern praktischerweise auch noch den Schlüssel dazu in der Hand. Wir bezeichnen sie daher als das revolutionäre Subjekt.

Das ist der Grund dafür, dass wir einfach nicht von der Arbeiterklasse ablassen wollen. Es könnte in Deutschland noch so viele revolutionäre Intellektuelle und Kleinbürger geben – ohne die Unterstützung Arbeiterklasse als Dreh- und Angelpunkt des Kapitalismus wäre keine Revolution zu machen. Irgendwie sind wir also schon hängengeblieben – eben hängengeblieben auf Marx‘ Analyse des Kapitalismus.

[Leon, Hamburg]

 

Warum sind wir so stur?
Karl Marx war ein materialistischer Philosoph. Der Materialismus geht, im Gegensatz zum Idealismus, davon aus, dass es eine objektive Realität gibt und dass diese prinzipiell auch durch den Menschen erkennbar und veränderbar ist. Im Gegensatz zu einem religiösen Weltbild, in dem die Menschen dem Willen einer höheren Wesenheit unterworfen sind, macht der Materialismus den Menschen zum Herrn seiner eigenen Geschicke. Marx bezog die Erkennbarkeit der Welt nicht nur auf die Naturgesetze, sondern auch auf die menschliche Gesellschaft. Er ging davon aus, dass die Prinzipien, nach denen menschliche Gesellschaften funktionieren, erkennbar sind und dass die Menschen mit der notwendigen Einsicht in die Verhältnisse dazu in der Lage sind, die Gesellschaft gezielt zu verändern.

Immer noch derselbe Kapitalismus
Der Marxismus war und ist ein lebendiges Theoriegebäude, das in unzähligen Klassenkämpfen auf der ganzen Welt stetig weiterentwickelt wird. Die wesentlichen Merkmale des Kapitalismus sind aber, trotz aller tiefgreifenden strukturellen Veränderungen seit dem Frühkapitalismus, heute noch dieselben. Daher bleibt auch unsere Fokussierung auf die Arbeiterklasse (und als Jugendverband besonders die arbeitende und lernende Jugend) richtig und notwendig. Dabei predigen wir nicht wie in der Kirche aus den gesammelten Marx- oder Leninwerken – das wäre dann wirklich dogmatisch. Stattdessen versuchen wir, wie es die KommunistInnen schon seit weit über 100 Jahren tun, den Marxismus weiterzuentwickeln und auf unsere Lage anzuwenden. Weiterentwicklung heißt allerdings nicht, alles zu verwerfen, was die kommunistische Bewegung in Deutschland und der Welt an theoretischer und praktischer Arbeit bisher geleistet haben, so wie es unsere „undogmatischen“ KritikerInnen von uns verlangen. Die vielzähligen Diskussionen, die wir auf allen Ebenen in der SDAJ führen zeigen, dass wir es keineswegs mit starren Glaubenssätzen halten. Dass wir dabei wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach über den Haufen werfen, weil sie nicht in den Zeitgeist passen, macht uns nicht zu DogmatikerInnen sondern zu KommunistInnen.

Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2018
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