Groß war das Gejubel in westlichen Printmedien und Onlineartikeln als der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman (auch MBS genannt) im Juni offiziell das Autofahrverbot für Frauen aufhob. Endlich Aufbruchsstimmung, manche sprachen sogar von grundlegender Veränderung und einer Liberalisierung der saudischen Gesellschaft. Die Wiedereröffnung von Kinos sowie seine Äußerungen zur Kleiderordnung verstärkten den Hype im Westen nur noch. Dabei gab sich selbst MBS bescheidener, er deutete lediglich an auf den Stand zurückkehren zu wollen, der noch in den 1970ern in Saudi-Arabien herrschte, auch damals im Vergleich zu den Nachbarländern strikt konservativ aber bei weitem nicht so eingeschränkt wie in den nachfolgenden Jahrzehnten.
Was die bürgerlichen Medien in Europa und Nordamerika weniger interessierte war der Umstand das MBS kurz vor Aufhebung des Verbots nahezu alle bekannten FrauenrechtlerInnen des Landes verhaften ließ und öffentlichkeitswirksam als Spione und Verräter denunzierte. Wenn es schon Veränderung geben muss, dann nur durch die Gnade des zukünftigen Monarchen. In Saudi-Arabien werden nach wie vor Oppositionelle hingerichtet, die schiitische Minderheit im Land massiv unterdrückt und Millionen Gastarbeiter auf brutalste Art und Weise ausgebeutet. Das Land ist und bleibt eine absolutistische Monarchie die so reaktionär ist das selbst bis heute Menschen aufgrund des Verdachts auf Hexerei hingerichtet werden können.
Machterhalt um jeden Preis
Worum es bei den hierzulande so angepriesenen Reformen von MBS eigentlich geht, ist nicht eine Öffnung der Gesellschaft, sondern vor allem eine Festigung seiner Macht. Denn all die oben genannten Reformen zielen darauf ab seine Autorität zu stärken und die Position des wahhabitischen Klerus zu schwächen. Diese sehen nämlich aktuell hilflos zu wie MBS Vorgaben erlässt ohne das sie einen driekten Einfluss darauf nehmen können. Wo früher die Regeln der Moralpolizei galten, gilt jetzt das Wort des Prinzen. Die Gründnung des Staates Saudi-Arabien geht ursprünglich auf ein Bündnis zwischen dem Stamm der Saud und der islamischen Reformbewegung der Wahhabiten zurück. Diese erzkonservative und reaktionäre Strömung des Islam hatte in Form ihrer Kleriker fortan einen erheblichen Einfluss in ideologischer aber auch politischer Sicht. Dieser Einfluss soll jetzt zurückgedrängt werden. Auch ökonomisch gesehen stehen die Wahhabiten mit ihren rückwärtsgewandten Vorstellungen einer umfassenden Industrialisierung des Landes im Weg. Mit der sogenannten Saudi Vision 2030 will man sich endlich von der Abhängigkeit vom Erdöl befreien und alternative Wirtschaftszweige aufbauen und stärken. Hierbei wird man nicht umherkommen zuvor gültige soziale Grenzen aufzubrechen und grundlegend zu verändern.
Aber auch die eigene Familie wurde in den vergangenen Jahren auf Linie gebracht. Im Mai 2017 ordnete MBS eine spektakuläre Säuberungsaktion an in dessen Verlauf Tausende Familienangehörige, darunter Unternehmer, Minister und Militärs verhaftet und mitunter angeklagt worden sind. Das Haus Saud soll geschlossen hinter der neuen Führungsfigur stehen, Dissenz oder eigene politische Spielchen werden dabei nicht geduldet. Das Königreich geht tatsächlich neue Wege, aber wohl kaum zu einer fortschrittlichen Öffnung hin sondern viel mehr zu einer autokratischen Modernisierung.
Vorrherschaft in der Region
Diese Modernisierung geht vor allem auf einen Faktor zurück: Den Iran.
Seit einigen Jahrzehnten konkurrieren der Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Trotz ideologisch aufgeladener religiöser Differenzen geht es in erster Linie um geostrategische Interessen und Absatzmärkte. In den letzten Jahren hat sich dieser Konflikt massiv verschärft. In der ganzen Region tragen die beiden Regionalmächte ihren Konflikt aus, mal mit Blockaden wie im Falle von Katar, ein andern Mal mit politischem Druck wie im Libanon und wenn das nicht mehr ausreicht dann mit Waffen und eigenen Truppen wie in Syrien oder dem Jemen. Nicht nur das der Iran aktuell in all den genannten Brandherden die Oberhand behält und sich Saudi-Arabien zunehmend außenpolitisch unbeliebt macht, auch ökonomisch und bevölkerungstechnisch besitzt der Iran gegenwärtig weitaus mehr Potenzial mit Blick auf die Zukunft. Gerade deswegen ist es für die Herrschenden in der Wüste so wichtig anzuziehen um im Konkurenzkampf nicht demnächt zu unterlegen.
Deutsche Waffen, deutsches Geld
Zumindest was die militärische Aufrüstung angeht, ist man jedoch noch bei weitem unerreicht. Während die iranische Rüstungsausgaben 2017 bei rund 14 Milliarden US-Dollar lagen, gaben die Saudis fast 70 Milliarden für neues Kriegsgerät aus und belegen damit weltweit gesehen den 3. Platz in puncto Militärausgaben. Das Groß der saudischen Waffen kommt aus dem Westen, allen voran aus Deutschland. Denn Saudi-Arabien ist seit seiner Gründung ein enger Partner und strammer Verbündeter des Westens. Anfangs um die für britische Interessen unbequeme Dynastie der Haschemiten zu schwächen, später nach der Entdeckung des Erdöls im Jahr 1938 als wichtiger wirtschaftlicher Bezugspunkt, im Kalten Krieg als Bollwerk gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der Nachbarländer und als Gegenkraft zu kommunistischen, sozialistischen und arabisch-nationalistischen Bewegungen in der Region und heute dann als Vorschlaghammer gegen den Iran. Genau deswegen ist es Saudi-Arabien auch vergönnt im Jemen seit Jahren mit präzisionsgelenkten High-Tech Waffen ganze Stadtzentren wegzubomben und mit einer umfassenden Seeblockade Millionen Menschen in den Hungertod zu treiben.
Wenn die Herrschenden in Europa oder Nordamerika heutzutage mal wieder Freiheit und democracy piepsen, dann sollte man dabei immer im Hinterkopf behalten das sie sich eines Regimes bedienen das Schulbücher druckt in denen offen zum Mord an Andersgläubigen aufgerufen wird, das Dschihadisten weltweit finanziert und ausrüstet und seine eigene Bevölkerung unterdrückt wie kaum ein anderer Staat auf der Welt.
[Leo, München]