Interview: Die boliviarische Revolution in Venezuela steckt in der Krise: Wirtschaftlich und politisch. Die sozialdemokratische PSUV hat die Wahlen für sich entscheiden können, die Kommunisten üben Druck von links aus. Wir haben uns mit Carolus Wimmer, dem internationalen Sekretär der KP Venezuelas unterhalten.
POSITION: Warum habt ihr als kommunistische Partei Maduro unterstützt?
Carolus Wimmer: Wir haben Maduro unter dem Slogan „Einheit zur Verteidigung des Vaterlands“ unterstützt. Venezuela ist ein kapitalistisches Land mit den normalen Widersprüchen eines kapitalistischen Landes und wir haben auch Widersprüche mit unserem Verbündeten, der PSUV, die eine sozialdemokratische Partei ist. Aber für uns steht im Moment die Verteidigung der nationalen Souveränität Venezuelas im Vordergrund, gegen die Einmischung, gegen die militärische Drohung von USA und EU. Für uns war damit klar, dass diese Gemeinsamkeit über Unterschieden mit der PSUV steht, die wir trotzdem im Wahlkampf thematisiert haben.
Ihr hattet als kommunistische Partei ein Abkommen mit der PSUV. Was war dessen Inhalt und Ziel?
Carolus: Wir haben Maduro unterstützt, aber unter der Bedingung, dass ein gemeinsamer Minimalplan besteht, darum haben wir uns auf ein Abkommen mit der PSUV geeinigt. Das Abkommen abzuschließen war nicht leicht, aber trotzdem erfolgreich. Für uns ist es ein Programm für den Kampf zur Verteidigung der Arbeiterklasse und es enthält viele Vorschläge, mit denen Schwierigkeiten und Fehler korrigiert werden. Das ist seit 19 Jahren das erste gemeinsame Programm zwischen PCV und PSUV in Venezuela und deshalb sehen wir es als erfolgreich an, aber auch als nötig – Ohne dieses Programm wäre unsere Unterstützung für Maduro nicht sicher gewesen.
Was sind die zentralen Inhalte des Abkommens?
Carolus: Das Programm besteht aus insgesamt 19 Punkte, auf die wir uns mit der PSUV einigen konnten. Dazu gehört, dass wir eine kollektive Leitung des revolutionären Prozesses brauchen – revolutionär im Sinne der nationalen Befreiung, nicht im Sinne des Sozialismus. Aus unserer Sicht haben wir in Venezuela viele Probleme, weil die Lohnabhängigen noch keine leitende Stellung eingenommen haben. Sie können zwar wählen, aber die leitenden Stellungen sind immer noch durch die Bourgeoisie besetzt.
Weitere Punkte sind der Kampf gegen die Korruption, die Forderung einer zentralisierten Planung, der Kampf gegen die Privilegien der Bourgeoisie, die Forderung, dass in der schwierigen Wirtschaftslage Venezuelas kein Dollar an die Bourgeoisie geht (Zentralisierung des Imports/Exports durch den Staat). Ein weiteres wichtiges Thema ist für uns die Weiterentwicklung der Produktion. Venezuela ist ein Erdölland, wir leben jetzt über ein Jahrhundert vom Erdöl und fordern jetzt, dass das Land weiter industrialisiert wird. Nicht nur in Mammutprojekten, die ja existieren, sondern auch in mittleren und kleinen Betrieben, in Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft.
Insgesamt haben wir der PSUV 60 Punkte vorgeschlagen, wir mussten diese dann auf die Punkte reduzieren, die wir gemeinsam erreichen können. Es ist kein sozialistisches Programm, aber ein positiver Anfang, wenn die Regierung wirklich bereit ist, die Situation konkret zu verbessern und die Punkte umzusetzen.
In welchen Punkten unterscheidet ihr euch von der PSUV?
Carolus: Der Unterschied zwischen uns und der PSUV liegt zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie. Das ist für uns im Moment nicht der Hauptpunkt, aber wir kämpfen für den Sozialismus. Sozialismus, das ist die Befreiung der Menschen von der Ausbeutung, die Macht an die Arbeiterklasse und Lohnabhängigen und Arbeitenden.
Unsere theoretische Grundlage ist der Marxismus-Leninismus und wir können im 200. Jahr des Geburtstags von Karl Marx beweisen, dass in Venezuela schon große Fortschritte gemacht wurden, speziell im Überbau. Marx spricht ja von der ökonomischen Basis und vom Überbau. Aber was ist das letztlich Entscheidende? Die ökonomische Basis. Das bedeutet, dass auch das Bewusstsein der Menschen letztlich durch die ökonomische Situation bestimmt ist. In diesem Punkt gab es ein falsches Verständnis in den ganzen fortschrittlichen Prozessen in Lateinamerika – in Argentinien, in Brasilien mit Lula, in Ecuador mit Correa etc. Sie konzentrierten sich alle auf den Überbau – Erziehung, Gesundheitswesen, Wohnungsbau, neue Verfassung, partizipative Demokratie, Kultur, Sport, alles hübsch, schön und gut. In Venezuela funktionierte das auch alles und als der Erdölpreis sehr hoch war, konnte man viel Geld in die Entwicklung es Überbaus stecken. Durch den Fall des Erdölpreises hat uns aber die Realität getroffen.
Dieser Punkt ist einer der Hauptpunkte der kommunistischen Partei, der zu konkreten Unterschieden mit der PSUV führt, die natürlich auch aus verschiedenen Gruppen besteht. Der große Teil glaubt immer noch, dass man innerhalb des Kapitalismus umfassende Reformen und ein menschliches Leben erkämpfen kann. Und der Kapitalismus, die USA, beweisen uns das genaue Gegenteil: Sie zeigen uns, dass wir unsere Ökonomie nicht unter Kontrolle haben, sondern dass sie sie unter Kontrolle haben – durch die Privatindustrie, durch die internationalen Monopole, im Lebensmittelbereich, im Pharmabereich, in der Landwirtschaft. Sie benutzen das jetzt als konkrete Waffe gegen Venezuela und gegen den progressiven Prozess.
Ihr sagt, dass es Defizite, Fehler und Inkonsequenzen der Regierung gibt. Ihr kritisiert die Hyperinflation, die Kriminalität und Korruption. Warum gibt es diese?
Carolus: Einige glauben, mit guter Zusprache oder mit einem Dialog könne man den Klassenfeind überzeugen, dass er nicht mehr ausbeutet oder weniger ausbeutet. Das ist eine Illusion. Es hat sich in Venezuela zwar etwas verbessert, aber wir leben immer noch im Kapitalismus. Wir haben, wie es weltweit auch ist, einen kleinen Teil der Superreichen und eine große Masse, der immer noch viele Dinge fehlen, obwohl die Armut abgenommen hat. In Venezuela existiert mit dem Kapitalismus auch immer noch die Ausbeutung. Mit der reinen christlichen Nächstenliebe können wir die Ausbeutung nicht besiegen, maximal lindern.
Das Interview führte
Andrea, Frankfurt
Das vollständige, ungekürzte Interview kannst Du unter kurzlink.de/venezuela-wimmer nachlesen