Ausnahmezustand überflüssig – Türkei nach der Wahl (POSITION #3/18)
Die Monopole schlagen Alarm: Bereits seit Monaten bahnt sich in der Türkei eine schwere Wirtschaftskrise an. Angesichts dieser Entwicklung rief der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für den 24. Juni Neuwahlen aus. In einer Phase, die geprägt war von dem Überfall der türkischen Armee auf die kurdische Region Afrin in Syrien, einer nationalistisch aufgeladenen Stimmung in der Bevölkerung, sah er bessere Chancen auf einen Wahlsieg als in den bevorstehenden Zeiten der ökonomischen Krise. Der Plan ging auf. Erdogan wurde mit 52,59% der Stimmen wiedergewählt. Dieses Ergebnis, zweifelsfrei beeinflusst durch die massiven Repressionen und Inhaftierungen gegen fortschrittliche Oppositionelle, ist jedoch auch ein Ausdruck der desolaten Lage der türkischen Oppositionsparteien.
Große Hoffnungen wurden in einen möglichen Wahlsieg der bürgerlichen Oppositionsparteien CHP und IYI Parti gelegt. Monatelang sagten die Umfrageinstitute eine mögliche Niederlage der AKP bei der Wahl voraus. Während das Wählerpotential der mit der AKP verbündeten faschistischen MHP stark unterschätzt wurde, erwies sich die Unterstützung für die bürgerliche Opposition letztlich als vollkommen übertrieben. Dass die Vertreter der bürgerlichen Parteien dem AKP-Regime auch keinen bedeutenden Widerstand entgegensetzen zeigte sich schon wenige Stunden nach der Wahl, als der Präsidentschaftskandidat der CHP erklärte: „Haben sie Stimmen gestohlen? Ja, bestimmt haben sie das. Aber haben sie zehn Millionen Stimmen gestohlen? Nein. Und ich erkenne das Wahlergebnis an.“ Der Widerstand gegen die AKP wurde also nicht auf die Straßen getragen. Im Gegenteil, die Organisierung und Kampfbereitschaft der Bevölkerung wurde durch die Illusion, allein ein Wahlsieg der Opposition ändere die politischen Verhältnisse der Türkei, untergraben. Die Türkische Kommunistische Partei schlussfolgert deshalb: “Diese Wahlen beweisen wieder einmal, dass Wahlen nur vor, nicht am Wahltag entschieden werden können.”
Deutschland hat die Wahl gewonnen
Für den deutschen Imperialismus stellt Erdogans Wahlsieg freilich kein Problem dar, sind doch die Profite unter seiner Präsidentschaft gesichert. Zwar setzten Teile des deutschen Kapitals auf eine Ablösung des unzuverlässlichen Bündnispartners Erdogan, der in den letzten Jahren immer wieder einen Ausgleich mit Russland suchte, dies hinderte führende Außenpolitiker von CDU und SPD jedoch nicht daran das Auslaufen des Ausnahmezustands als “wichtiges Signal” zu bezeichnen, welches „das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland” verbessern könnte. Tatsächlich aber wurde mit dem Inkrafttreten des Präsidialsystems jedoch der Ausnahmezustand überflüssig. Die Befugnisse, die bisher nur im Rahmen der Notstandsgesetze in den Händen der Regierung lagen sind jetzt zum größten Teil auch ohne Ausnahmezustand gültig.
Allerdings wird auch der Widerstand der türkischen Arbeiterklasse nicht enden. Denn trotz der Schwäche der Opposition geht die TKP zuversichtlich in die Klassenkämpfe die da kommen: “Jeder sollte wissen, dass die Türkei der Dunkelheit nicht nachgibt. Der 24. Juni bedeutet nicht das Ende, sondern den Beginn einer neuen Phase des Kampfes. Diese soziale Ordnung muss sich ändern!“
Ben Heiner, Mainz
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