Jugendwohnungslosigkeit (POSITION #04/18)

veröffentlicht am: 28 Sep, 2018

Immer mehr Jugendliche haben keinen festen Wohnsitz, in den offiziellen Statistiken tauchen sie selten auf.

Die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) hat Ende 2017 ihre Schätzung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vorgelegt: In 2016 waren demnach ca. 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung – seit 2014 ist das ein Anstieg um ca. 150 %. Die Prognose für 2018 geht von ca. 1,2 Millionen wohnungslosen Menschen aus. Hinter diesen Zahlen stecken viele Einzelschicksale, die durch die viel zu großen Löcher im „Sozialen Netz“ gefallen sind.

Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast

Die offiziellen Statistiken erfassen nicht alle Wohnungslosen. Es gibt ein Phänomen, das sich verdeckte Wohnungslosigkeit nennt. Gibt es Zoff mit den Eltern, der sich so gar nicht beilegen lässt, wollen entweder die Kids raus, einige Eltern werfen sie aber auch vor die Tür. Den Gang zum Jugendamt wagen nur wenige Jugendliche selber; auf der Straße zu stehen, war bis dahin undenkbar. Laut Deutschem Jugendinstitut gibt es derzeit schätzungsweise 37.000 Jugendliche Wohnungslose in Deutschland. Die meisten leben nicht auf der Straße, sondern hangeln sich von Sofa zu Sofa. Sie kommen bei Freunden,Bekannten oder Verwandten unter, auch mal bei Fremden. Für die Gesellschaft sind sie nicht sichtbar und für Hilfsangebote nur schwer erreichbar.

Alle Sozialverbände sind sich darin einig, dass die wesentlichen Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung liegen. Der Sozialwohnungsbestand schrumpft seit fast 30 Jahren beständig, öffentliche Wohnungsbestände wurden an private Investoren verkauft. Die Öffentliche Hand hat damit ihre Reserven an bezahlbarem Wohnraum aus der Hand gegeben. Aufgrund des Wohnungsmangels, insbesondere in den Metropolen und hier besonders bei den Kleinwohnungen, steigen die Mietpreise seit Jahren kontinuierlich, teilweise rasant.

Hartz-IV und die Welt gehört dir?

Ein besonderes Problem bei Jugendlichen besteht oft dann, wenn die Zuständigkeit der Jugendhilfe mit dem 18. Geburtstag endet. Plötzlich stehen sie vollkommen ohne finanzielle Unterstützung da. Der Zwang bei fehlendem eigenem Einkommen und ALG II-Bezug bis zum 25. Lebensjahr bei den Eltern zu wohnen, führt bei den Jugendlichen zu ungeahnten Kämpfen mit den Behörden. Sie müssen nachweisen, dass ein Leben bei den Eltern nicht mehr möglich ist. Hinzu kommen Anforderungen der Behörden, denen viele Jugendliche ohne Unterstützung nicht gewachsen sind.

Die Kürzungsmöglichkeit der Kosten von Unterkunft und Heizung im Rahmen der „Sanktionierung von Pflichtverletzungen im Sinne des SGB II“ – die bei den Unter-25-Jährigen sogar in verschärfter Form möglich sind – müssen daher ersatzlos gestrichen werden. Durch sich anhäufende Mietschulden droht ihnen erneute Wohnungslosigkeit, die Schuldenspirale wird zum Spießrutenlauf. Ohne Ausbildungsplatz und damit ohne Perspektive auf eigenen Füßen zu stehen, fällt es schwer, Pläne für die Zukunft zu entwickeln. Eine Gesellschaft, die ernsthaft eine Zukunft entwickeln will, baut Lebensperspektiven, anstatt diese zu verbauen. Dies wird letztlich nur in einer sozialistischen Gesellschaft möglich sein.

[Siw Mammitzsch]

Siw Mammitzsch ist Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen und kandidierte dort für die DKP im Bürgermeisterwahlkampf 2015

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Dieser Artikel erschien in
POSITION #4/2018
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