Theorie: Der Sieg der russischen Oktoberrevolution fand unter anderen Bedingungen statt als die Niederlage der Arbeiteraufstände ein Jahr später in Deutschland.
Im Januar 1918 kam es in Deutschland zu Massenstreiks, im September war für die Militaristen klar, dass sie den Krieg verlieren werden. Die Kommunisten versuchten, die Massen über den Kampf gegen die monopolkapitalistischen Kriegsgewinnler an die sozialistische Revolution heranzuführen. Als Vorbild dienen ihnen die russischen „Bolschewiki“, die ein Jahr vorher die bürgerliche Regierung stürzten und die erste Sozialistische Räterepublik gründeten. Sie standen vor ähnlichen Problemen wie die Revolutionäre in Deutschland: Aufgrund des Sturzes der Monarchie waren viele Menschen bereits befriedigt mit dem neuen parlamentarischen System, auch wenn sich an ihren sozialen Problemen noch nichts geändert hatte.
Für die Diktatur des Proletariats
Die Kommunisten aber wollten wie Karl Marx die Ursache dieser sozialen Probleme, den Kapitalismus, überwinden. Auf dem Weg zu dieser neuen Gesellschaft liegt laut Marx eine „Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere“, „die revolutionäre Diktatur des Proletariats“. Deswegen begnügten sich die Kommunisten nicht mit der neuen Parlamentsdemokratie, die die SPD im November ausruft. Am gleichen Tag riefen sie eine Räterepublik aus, in der die kapitalistischen Ausbeuter nicht mehr mitzureden hatten.
Dass der Kapitalismus nur überwunden werden kann, indem die Kapitalistenklasse von der Macht verdrängt und durch die Arbeiterklasse abgelöst wird, das hat Lenin an der Spitze der sozialistischen Oktoberrevolution, so begründet: „Die Kraft des Proletariats ist in jedem beliebigen kapitalistischen Land unvergleichlich größer als der Anteil der Proletarier an der Gesamtbevölkerung. Das kommt daher, dass das Proletariat Zentrum und Lebensnerv des gesamten kapitalistischen Wirtschaftssystems ökonomisch beherrscht“. So braucht die Ausbeuterklasse zwar die Proletarier um Profit einzustreichen, die Arbeiter können jedoch auch gut ohne ihre Ausbeuter leben.
Wir sind die stärkste der Parteien
Oft hört man, die Bolschewiki wären aber eine Minderheit gewesen, hätten kein Recht gehabt die Staatsmacht zu erobern. Doch hatten sie in den beiden Hauptstädten Petrograd und Moskau, die nach Lenin „die beiden Zentren der gesamten kapitalistischen Staatsmaschine (das sind sie wirtschaftlich wie politisch)“ waren, die Hälfte aller Wähler auf ihrer Seite. Dazu kommt, dass sie die Hälfte der Armee auf ihrer Seite hatten. Lenin schreibt: „Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätten wir nicht siegen können“. Am Abend vor der Revolution schreibt Lenin also an die Parteispitze: „die Sache ist unbedingt heute Abend oder heute Nacht zu entscheiden. Eine Verzögerung wird die Geschichte den Revolutionären nicht verzeihen, die heute siegen können (und heute bestimmt siegen werden), während sie morgen Gefahr laufen, vieles, ja alles zu verlieren.“ Am nächsten Tag ist die Regierung gestürzt und die Räte übernehmen die Macht.
Bündnis zwischen Arbeiter und Bauern
Keine 24 Stunden später beweist die neue Rätemacht des Proletariats, dass sie im Sinne aller Menschen, außer der Ausbeuter, arbeiten wird. Mit dem ‚Dekret über den Grund und Boden‘ setzt sie Forderungen der Bauern um. Zwar war deren Partei vorher an der Macht, doch wollte die sich nicht mit den Großgrundbesitzern anlegen. Erst die Regierung des Proletariats war entschlossen, die Forderungen der Bauern umzusetzen und damit das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauern zu besiegeln. Noch am Tag vor der Revolution hingen die Bauern unrealistischen und verträumten Vorstellungen an. Einen Tag nach der erfolgreichen Revolution standen hinter der neuen Sowjetmacht neben dem Proletariat nun auch die Bauern. Die Bedingung dafür war die erfolgreiche Umsetzung der Revolution: Der Zeitpunkt war klug gewählt. Lenin stellte im Nachhinein fest: „Zum entscheidenden Zeitpunkt an der entscheidenden Stelle das ausschlaggebende Übergewicht an Kräften besitzen – dieses ‚Gesetz‘ militärischer Erfolge ist auch Gesetz des politischen Erfolgs, insbesondere in dem schweren, erbitterten Krieg der Klassen, der Revolution heißt.“
Vorbild für deutsche Revolution
Der Erfolg der Revolution in Russland beflügelt viele Arbeiter in Deutschland, sie wollen eine deutsche Räte-Republik erkämpfen. Doch die Ausrufung der Parlaments-Republik durch die SPD-Führung beeindruckt große Teile der Arbeiterklasse sowie der Linkssozialistischen USPD. Lenin wertet mit Blick auf die deutsche USPD aus: Sie „begreifen nicht, dass selbst in den demokratischsten Republiken faktisch die Diktatur der Bourgeoisie herrscht, sie begreifen nicht, dass die Voraussetzungen für die Zerstörung dieser Diktatur der Klassenkampf des Proletariats ist“. Doch nachdem der Berliner Polizeipräsident Eichhorn, welcher aus dem linken Flügel der USPD kam, abgesetzt wurde, riefen USPD, KPD und die revolutionären Obleute zu einer Demonstration am Sonntag, dem 5. Januar in Berlin auf. Hunderttausende folgen dem Aufruf, aus den Reihen der Demo wird das Gebäude der SPD-Zeitung „Vorwärts“ besetzt, am gleichen Abend noch gründet sich ein Revolutionsausschuss. Schon am nächsten Tag gehen Zweihunderttausend Menschen auf die Straße und der Revolutionsausschuss verkündet, die Regierung zu übernehmen.
Doch noch nicht der richtige Zeitpunkt?
Ist nun die Zeit gekommen, die bürgerliche Regierung zu stürzen? Innerhalb der jungen Kommunistischen Partei wird darum gestritten. Noch am Samstag hatte sich die KPD-Leitung darauf verständigt, nicht an Besetzungen und bewaffneten Kämpfen teilzunehmen, weil die Unterstützung innerhalb der Arbeiterklasse noch nicht groß genug war. Doch ein Teil der Leitung lässt sich von der Größe der Demonstrationen von Sonntag und Montag überzeugen, sodass diese Haltung wackelt. Am Mittwoch dann drängt Rosa Luxemburg innerhalb der KPD auf einen Rückzug, weil sie die Kämpfe für nicht gewinnbar hält. Viele Arbeiter wenden sich von dem putschartigen Aufstand ab, welcher mit brutalster Gewalt niedergeschlagen wird. Doch erst am Freitag ziehen sich die Kommunisten aus der Aufstandsleitung raus. Die Gewalt gegen die Arbeiter, die seit Tagen blutig ausgeübt wird, wird vom SPD-Mann Noske koordiniert. Er hat das Kommando über die regierungstreuen Truppen sowie über eigene sozialdemokratische Milizen.
Bürgerliche Revolution mit proletarischen Mitteln
Niemand weiß, was passiert wäre, hätten die Arbeiter früher zugeschlagen, hätte SPD-Noske sich nicht so gut einstellen können auf den Kampf. Doch sicher ist, dass die Arbeiter-Kämpfe in Berlin noch nicht die volle Unterstützung der Bevölkerung Berlins hatten. Rosa Luxemburg schreibt in der Parteizeitung: „Die wunde Stelle der revolutionären Sache in diesem Augenblick: die politische Unreife der Soldatenmasse, die sich immer noch von ihren Offizieren zu volksfeindlichen gegenrevolutionären Zwecken mißbrauchen lässt, ist allein schon ein Beweis dafür, dass ein dauernder Sieg der Revolution in diesem Zusammenstoß nicht möglich war. Andererseits ist diese Unreife des Militärs selbst nur ein Symptom der allgemeinen Unreife der deutschen Revolution.“ Sicher ist: Die Kämpfe in Deutschland brachten elementare bürgerliche Rechte. Für den Kampf um eine sozialistische Gesellschaft jedoch gab es in Deutschland noch keine gefestigte Organisation, die den Kampf organisieren konnte. Die KPD gründete sich schließlich erst zum Jahreswechsel 1918/19.
Die Revolution der Arbeiter wird im Blut ertränkt
Am 15. Januar besetzten Truppen des SPD-Kriegsministers Noske, der Obersten Heeresleitung, des Kaiserlichen General Lüttwitz (den die SPD-Regierung im Amt behielt) sowie faschistischer Freikorps-Truppen Berlin und richteten ein Blutbad an. An dem Tag werden Luxemburg und Liebknecht in ihrem Versteck aufgefunden und zur Haft abtransportiert, gerade einmal zwei Monate nachdem Luxemburg aus dem Gefängnis kam – damals war noch der Kaiser an der Macht. Als sie im Zwischenquartier ankommen, werden die beiden KPD-Vorsitzenden von Soldaten ermordet. Im März dann wird ihr Nachfolger Leo Jogiches ermordet, wenige Tage später versucht General Lüttwitz mit General Ludendorff und Wolfgang Kapp die SPD-Regierung von rechts wegzuputschen. Währenddessen geht der Kampf gegen die Arbeiter-Aufstände durch die SPD-Regierung weiter. Pünktlich zum 1. Mai fahren Panzer unter Führung der sozialdemokratischen Partei in München ein und schlagen die Bayerische Räterepublik blutig nieder, im Juni ermorden sie schließlich den bayerischen KPD-Führer Leviné. Die ersten Monate der neuen Republik zeigen schon, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird.
[Mark, München]
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