Kein „weiter so“! Antifaschismus entsteht mit den Menschen, nicht für die Menschen

veröffentlicht am: 18 Okt, 2018

Was war da los in Chemnitz? Wenige Stunden nach dem Todschlag eines Deutsch-Kubaners in Chemnitz mobilisieren Faschisten zu einem „Trauermarsch“. Auf den Trauermärschen mischt sich verlogene Instrumentalisierung des Toten mit Menschen, die Wut ablassen. Sie haben Angst vor Zuwanderung, weil die großen Medien seit Jahren Angst vor Flüchtlingen schüren. Und sie haben Angst vor sozialem Abstieg und Benachteiligung, weil die etablierten Parteien seit Jahren Sozialabbau betreiben.

Um Nazis tatsächlich zu bekämpfen, muss klar sein, was Faschismus eigentlich ist und woher er kommt. Denn das Auftreten von Faschisten ist kein Ausdruck von „dummen Menschen“, sondern es erfüllt in der kapitalistischen Gesellschaft bestimmte Funktionen. Jedes historische Beispiel belegt: Es waren die Klasseninteressen des Monopolkapitals, die umgesetzt wurden, sobald der Faschismus an die Macht kam. Ausbeutung, der Abbau bürgerlicher Rechte, Verhinderung von Mitbestimmung und Repressionen gegen die Bevölkerung sowie schärfste Unterdrückung des politischen Gegners gingen mit faschistischer Herrschaft immer einher.
Der deutsche Faschismus stellt dabei mit der industriellen Vernichtung von Jüdinnen und Juden, sowie politischen GegnerInnen eine grausame Besonderheit dar. Der deutsche Faschismus hat den Kapitalisten durch Enteignungen von Jüdinnen und Juden, Eroberung fremder Länder, Kriegsproduktion und dem Verbot von Gewerkschaften traumhafte Gewinne ermöglicht. Ihr Eigentum oder die markt-wirtschaftliche Wirtschaftsverfassung wurden entgegen des „antikapitalistischen“ Anstrichs der NSDAP nicht angetastet.
Antifaschismus bedeutet für uns die Verhinderung der Entstehung einer solchen Herrschaft und somit auch die Bekämpfung ihrer Grundlage. Antifaschismus muss immer Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus sein! Der antifaschistische Kampf ist das Eintreten gegen die reaktionärste Spielart des Kapitalismus.
So wie der Faschismus das Interesse der Herrschenden vertritt, so muss sich Antifaschismus eben gegen diese Interessen stellen. Dabei kann diese Gegenwehr weder auf einen politisch bestimmten Kreis an Menschen beschränkt bleiben, noch darf sie sich ausschließlich auf den Kampf gegen Personen der faschistischen Bewegung konzentrieren: „Um den antifaschistischen Kampf zu seiner notwendigen Breite und Stärke zu entwickeln muss er auch als einer gegen die Inhalte vorangebracht werden, deren gewaltsame Realisation der Faschismus an der Macht ist. Er muss gegen das Interesse der Großbourgeoisie geführt werden, ihren Einflussbereich per Krieg zu erweitern – also als Kampf für Frieden. Er muss gegen das Interesse an verstärkter Ausbeutung, an Sozialabbau, an Spaltung der Gegenkräfte durch Rassismus und Nationalismus geführt werden – also als Kampf für erweiterte demokratische und soziale Rechte. Kurz: Er muss – gleich, ob alle Mitstreiter das so verstehen oder nicht – als anti-monopolistischer Kampf der übergroßen Bevölkerungsmehrheit gegen die Klasseninteressen der Monopolbourgeoisie geführt werden.“ (J. Lloyd).
Um den aktuellen Tendenzen im Neofaschismus entgegenzuwirken, müssen wir einerseits das Auftreten faschistischer Kräfte im öffentlichen Raum blockieren und andererseits kämpferisch für die Interessen arbeitender und lernender Jugendlicher einzutreten, um den Faschisten das Wasser abzugraben. Denn wer gelernt hat, selbstständig in der Praxis für seine Forderungen zu kämpfen, braucht weder Staat noch Faschisten, die das für einen tun. Wir versuchen also aufzeigen, dass der Faschismus mit den eigenen Interessen nicht vereinbar ist und im Gegensatz die Abwehr, Verhinderung und Bekämpfung des Faschismus im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, ist.
Auszug aus einem Bildungsmaterial der SDAJ

Großevents sind keine Lösung
Dabei stellen sich die Nazis gerne als Stimme der einfachen Leute da. Jahrzehntelange Hetze gegen arme Menschen und besonders gegen Flüchtlinge entlädt sich. Die Spaltung zwischen Deutschen und Ausländern, die die regierenden Parteien seit jeher betreiben, entlädt sich in Gewalt gegen Migranten und Hass auf den „Pöbel“. Niemand von den etablierten Politikern fragt: Was haben wir in der Vergangenheit getan und welche Effekte hatte das?
Für diesen Mangel an Selbstkritik ist Chemnitz ein Paradebeispiel. Politiker schauen traurig in die Kameras und verurteilen die „Hetzjagden“. Plakate verkünden, dass wir „bunt“ statt „braun“ sind, aus dem Nu wird ein Konzert gegen Rechts organisiert. Unter dem Motto #wirsindmehr feierten 70.000 Menschen gemeinsam für eine tolerante Gesellschaft. Viele von ihnen wollten ein deutliches Zeichen gegen Rassismus setzen.

Nazis sind kein neues Problem
Ähnliche Großevents gab es z.B. bei den Protesten gegen den „Anti-Islamkongress“ der Pro-NRW Bewegung. Doch konnte man danach keine wirkliche Zunahme gesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus feststellen. Im Gegenteil: Im „toleranten“ Köln konnten damals die Rassisten von Pro-Köln in den Stadtrat einziehen. Richtig ist, dass es nicht schadet, wenn in Chemnitz viele Bands und Politiker ein Zeichen setzen. Da stimmt. Richtig ist aber auch, dass es sich in diesem Zeichen eine hilflose und manchmal heuchlerische Reaktion ausdrückt, die eben nur ein Zeichen setzt. Doch wofür? Die Politiker, die sich über die Aktionen der Faschisten aufregen, verschweigen oftmals, dass in Chemnitz – wie in vielen anderen Städten – die rechtsextremen Kräfte seit Jahren agieren können, wie sie wollen. Oft von der Polizei gedeckt und von der Politik verharmlost.

Durchhalteparolen sind keine Verbesserung
Die AfD zielt auf die Gewinnung von ArbeiterInnen und sozial Schwachen, obwohl das Programm der AfD diese Gruppen deutlich benachteiligt. Aber das Abladen sozialer Probleme nicht auf die da oben, sondern auf die Flüchtlinge funktioniert und überdeckt logisches Denken. Dennoch zeigt sich in der Abwendung vieler Menschen von der etablierten Politik, ein nachvollziehbares Gefühl des Sich-im-Stich-gelassen-Fühlen. Das kann nicht verwundern, wenn Realität nicht mit dem übereinstimmt, was man uns alltäglich erzählt.
Während Merkel von Aufschwung redet, erleben die Menschen, dass ihr Gehalt nicht mehr für ein „gutes Leben“ reicht. Während von der Verteidigung von Freiheit und Demokratie geredet wird, werden mit deutschen Bomben und Soldaten ganze Länder kaputt gebombt und Geld für Rüstung ausgegeben, dass an vielen Stellen wie in Krankenhäusern und der Pflege dringend fehlt. Während die Kanzlerin ihre Bundesregierung als die beste bezeichnet, die es seit Jahrzehnten gegeben hätte, lebt in der Hauptstadt jedes fünfte Kind in Armut, werden die Multis immer reicher und leiden immer mehr Jugendliche unter den Kürzungen des Hartz-IV-Regimes unterhalb des Existenzminimums.

Die AfD ist keine Alternative
Darüber gibt es Wut und das zurecht. Und dagegen müssen wir eintreten, erst recht als Linke. Wir können nicht sagen, es gäbe keine Probleme, nur weil Nazis diese Probleme für ihre menschenverachtende Politik instrumentalisieren. Das haben sie schon immer getan, doch wie sollen wir die wütenden Menschen abholen und verhindern, dass die pseudo-radikalen Parolen der AfD ziehen? Haben wir gegen die verlogenen Sprüche der AfD, die von der Investment-Bankerin Alice Weidel und dem ehemaligen Staatskanzler-Leiter Alexander Gauland geleitet wird, nicht mehr zu bieten als gut gemeinte Slogans und abgehobene Sprache?

Symbolpolitik ist keine Perspektive
Die Antwort auf Chemnitz muss sein: Kein „weiter so“! Antifaschismus darf nicht für die Menschen gemacht werden, sondern muss mit ihnen geschehen. Er darf sich nicht nur gegen die Erscheinung, gegen die prügelnden Faschisten auf der Straße richten, sondern muss sich auch gegen das Wesen, gegen die rücksichtlose Durchsetzung der Interessen des Großkapitals, richten (siehe Kasten). Antifaschismus muss ein Kampf um die eigenen Rechte und gegen die alltägliche Ausbeutung und Unterdrückung sein.
Antifaschismus beginnt im Betrieb, in der Schule und Hochschule. Ohne diese beständige Arbeit um unsere Interessen, verfängt sich jedes noch so große Event in Symbolpolitik. Das mag zwar vielleicht schön aussehen auf Instagram, aber nur indem wir der Lüge der Nazis, sie würden auf der Seite der einfachen Leute stehen, unseren echten Kampf um unsere sozialen und politischen Interessen entgegenstellen, können wir wirklich sagen, „wir sind mehr“ und gemeinsam fordern: Merkel muss weg!

[Tabea, Köln]
Tabea ist im Bundesvorstand der SDAJ und dort zuständig für den Bereich Antifaschismus und Antirassismus.

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