»Internationale Solidarität gerade jetzt wichtig«

veröffentlicht am: 6 Nov, 2018

Unser Genosse Leo hat einer Solidaritätsdelegation der World Federation of Democratic Youth WFDY in Syrien teilgenommen. Im Interview mit der Tageszeitung junge Welt erzählt er von seinen Erfahrungen. Wir dokumentieren hier die Langfassung des Interviews:

 

 

  1. Sie haben sich an einer internationalen Solidaritätsdelegation nach Syrien beteiligt, die unter anderem vom Weltbund der Demokratischen Jugend und dem Weltfriedensrat organisiert wurde. Wie kam es dazu?

 

Sowohl der Weltbund der Demokratischen Jugend als auch der Weltfriedensrat haben in der Vergangenheit bereits mehrere Solidaritätsmissionen nach Syrien entsandt. Nach mehr als sieben Jahren hat der Konflikt immer noch kein Ende gefunden und gerade jetzt wo in vielen Teilen Syriens der Wiederaufbau beginnt, ist internationale Solidarität besonders wichtig. Als Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) sind wir seit unserer Gründung Mitglied im WBDJ und aktuell auch in dessen Vorstand. Im Hinblick auf die Rolle der BRD im Konflikt um Syrien war es uns besonders wichtig an der Delegation teilzunehmen.

 

Insgesamt haben 92 Delegierte, die 55 Organisationen aus 37 Ländern vertreten, an der Solidaritätsmission teilgenommen. Über drei volle Tage verteilt haben wir an einer Vielzahl offizieller Treffen teilgenommen. Weiterhin fanden Zusammenkünfte mit mehreren hundert Studenten sowie Gewerkschaftsvertretern und Angehörigen des Parlaments statt. Aber auch abseits davon hatten wir die Möglichkeit Gespräche mit syrischen Jugendlichen auf der Straße zu führen und uns ohne größere Einschränkungen im Stadtzentrum von Damaskus zu bewegen.

 

 

  1. Was war das Ziel der Reise?

 

Der Krieg der NATO gegen Syrien hat zu Tod, Zerstörung, Flucht und Vertreibung sowie zur Entfesselung reaktionärer terroristischer Kräfte geführt. Die deutsche Regierung ist an diesen Verbrechen beteiligt. Auch wenn in Damaskus mittlerweile wieder Schritt für Schritt ein gewisses Maß an Normalität einkehrt, sollte man nicht vergessen, dass die Stadt über Jahre nahezu täglich durch Mörser und Granaten beschossen wurde und die umliegende Umgebung erst seit Mai diesen Jahres sich wieder unter vollständiger Kontrolle der Regierung befindet. Die meisten Menschen, mit denen ich persönliche Gespräche führte, haben tote Verwandte und Freunde zu beklagen, wurden teilweise über Jahre hinweg von ihren Familien getrennt und mussten aufgrund des Krieges nicht selten innerhalb des Landes in eine andere Region oder Stadt flüchten.

 

Die Aggression gegenüber Syrien hat aber nicht nur einen militärischen, sondern auch einen ökonomischen und politischen Charakter. Wirtschaftliche Sanktionen und die politische Isolierung des Landes haben erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerung und betreffen in erster Linie die einfachen Menschen in Syrien. Die auch von der deutschen Bundesregierung mitgetragenen Maßnahmen erschweren das Leben und Überleben enorm und der Wiederaufbau kommt derzeit aufgrund mangelnder internationaler Hilfe nur schleppend voran. Die politische Isolierung Syriens durch den Abbruch diplomatischer Kontakte, dem Ausschluss des Landes aus internationalen wie regionalen Zusammenschlüssen sowie erschwerten Reisemöglichkeiten schneiden die syrische Bevölkerung vom Kontakt zur Außenwelt weitgehend ab. Vor allem syrische Jugendliche haben darunter zu leiden, dass sie sich nicht mit Gleichaltrigen anderer Länder austauschen können.

 

Umso größer waren mitunter die Freude oder zumindest Neugier der Menschen vor Ort bezüglich unseres Besuchs. Bei unseren Rundgängen und einer Fahrt durch die Innenstadt von Damaskus sind Dutzende Menschen angehalten um uns zu beobachten und teilweise auch zu grüßen. Für viele von ihnen dürften wir seit sieben Jahren die ersten Fremden gewesen sein, die sie zu Gesicht bekamen. Wir wollten deutlich machen: Diejenigen, die Raketen auf euer Land abschießen, die es ökonomisch in die Knie zwingen wollen, die offen und verdeckt die terroristischen Mörderbanden unterstützen und finanzieren, die viele von euch zur Flucht gezwungen haben, das sind die Regierungen der NATO-Staaten. Doch es gibt in diesen Staaten auch uns – Jugendliche, die sich gegen diese Verbrechen und aktiv sind gegen den Krieg gegen Syrien!

 

 

  1. Sie solidarisieren sich also mit der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad? Haben sie an ihm keine Kritik?

 

Unsere Solidarität gilt in erster Linie der syrischen Bevölkerung und insbesondere den Werktätigen, der syrischen Jugend und unseren GenossInnen vor Ort. Die syrische Regierung ist nicht nur auf dem Papier und nach internationalem Recht offizieller Vertreter Syriens, sondern verfügt auch ganz real über weitaus mehr Legitimität als die in Syrien ansässigen einheimischen oder ausländischen islamistischen Kämpfer.

 

Die Mehrheit der Millionen Binnenflüchtlinge hat sich bewusst in Städten wie Damaskus niedergelassen, eben weil es dort mehr Sicherheit, persönliche Freiheiten und Perspektiven gibt als in den von Rebellen kontrollierten Gebieten. Ebenso kehren bereits Tausende Flüchtlinge aus dem Libanon zurück und aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass viele in Jordanien ansässige Syrer die vor kurzem erfolgte Wiedereröffnung der syrisch-jordanischen Grenze nutzen, um ihre Familien, Freunde und Verwandte in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu besuchen.

 

Kritik ist selbstverständlich angebracht und notwendig – aber vor allem an der Bundesregierung, an der NATO und allen anderen Kriegstreibern im gesamten Nahen Osten. Wir wollen uns nicht zu Erfüllungsgehilfen von heimischen Kriegstreibern oder den Interessen deutscher Banken und Konzerne machen, indem wir uns an der Aggression gegenüber Syrien beteiligen. Das Geschrei bürgerlicher Medien und Politiker ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Syrien muss sich von Staaten wie Saudi-Arabien und Katar nicht erklären lassen was Freiheit bedeutet und Staaten wie Deutschland, die mit Militärdiktaturen und reaktionären Monarchien in der Region zusammenarbeiten und dabei keinerlei Probleme mit Folter, Massakern oder beispielsweise dem derzeit stattfindenden Völkermord im Jemen haben, sollen einem nichts von Demokratie erzählen.

 

Man darf auch nicht vergessen, dass sich in Syrien politisch in den letzten Jahren viel getan hat.

Sowohl in Gesprächen mit gewöhnlichen syrischen Jugendlichen die nicht Teil irgendeiner Organisation waren als auch basierend auf den Erfahrungen einiger arabischer Delegierter, die Syrien noch vor dem Krieg besucht hatten, lässt sich sagen, dass es heutzutage politisch mehr Freiräume gibt und vor allem der Einfluss der Geheimdienste im öffentlichen Leben zurückgegangen ist Ein Großteil der politischen und vor allem administrativen Posten wurde in den letzten Jahren neu besetzt und einst einflussreiche Familien in Politik und Militär wie die Sippe des von 1972 bis 2004 amtierenden Verteidigungsministers Mustafa Tlass ist durch ihr Überlaufen zu den Aufständischen praktisch in Bedeutungslosigkeit versunken, ein Umstand der nicht unbedingt viele Syrer traurig stimmt.

 

Der Kampf für soziale und politische Rechte in Syrien wird und muss weitergehen, aber er kann und wird nicht durch das Wüten islamistischer Banden im Dienste reaktionärer arabischer Regime und imperialistischer Staaten erfolgen.

 

 

  1. Wie geht es nach der Reise jetzt weiter?

 

Unsere wichtigste Aufgabe ist es jetzt die durch die Reise gewonnen Erlebnisse und Erfahrungen in unsere jeweiligen Länder zu tragen und unsere Freunde sowie Kollegen in Schule, Uni und Betrieb über die Lage in Syrien zu informieren und damit der hierzulande verbreiteten Darstellung des Konflikts etwas entgegenzusetzen.

 

Für uns als Jugendliche in Deutschland muss dabei der Fokus der politischen Arbeit auch weiterhin auf der Rolle der BRD liegen, die sich seit Beginn des Konflikts an Sanktionen, politischen Strafmaßnahmen und der direkten oder indirekten Bewaffnung von Islamisten beteiligt hat. Deutschland ist außerdem seit 2013 auch militärisch direkt vor Ort präsent. Zuerst durch die Stationierung von „Patriot“-Raketenabwehrsystemen in der Türkei und später dann ab 2015 durch den völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz in Syrien. In diesem Zusammenhang wurden Daten, die durch Aufklärungsflüge der deutschen Tornados gesammelt worden sind, auch an die USA und die Türkei weitergegeben, also an Staaten, die wiederholt Luftschläge gegen Stellungen der syrischen Armee oder Positionen der im Norden des Landes aktiven kurdischen YPG ausführten.

 

Erst vor wenigen Tagen berichtete zudem der Tagesspiegel basierend auf einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten Evrim Sommer (Die Linke) davon, dass die Bundesregierung plant, rund 49 Millionen Euro an Hilfsgeldern in die neben der türkischen Besatzungszone letzte Hochburg der islamistischen Rebellen Idlib zu entsenden. Laut offizieller Begründung durch Außenamtsstaatssekretär Walter Lindner (SPD) will man „zivile Akteure, die sich extremistischen Einflüssen in der Region Idlib entgegenstellen“ unterstützen. Wer meint, dass man in einem hart umkämpften Kriegsgebiet unter Kontrolle bewaffneter Gruppen, die quasi-staatliche Strukturen aufgebaut haben, Hilfsgelder von außen einfach so gezielt „verteilen“ kann, ist entweder absolut dämlich oder lügt bewusst. In Idlib geben nicht „zivile Akteure“ den Ton an, sondern hochgerüstete dschihadistische Milizen wie der de-facto Al-Qaida Ableger Haiʾat Tahrir al-Sham oder die salafistische Gruppierung Ahrar al-Sham.

 

Und in unserer Rolle als Internationalisten bleibt letztlich unsere größte Verantwortung die durch die Reise gewonnenen Kontakte zu Jugendlichen in Syrien nicht abreißen zu lassen. Ganz im Sinne der gemeinsamen Interessen von Jugendlichen weltweit wollen wir den gemeinsamen Austausch im Kampf für eine bessere Welt vorantreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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