„Wir möchten in Frieden leben“

veröffentlicht am: 14 Dez, 2018

Reisebericht: Wie sieht es heute im vom Krieg zerstörten Syrien aus? Wir haben uns selbst ein Bild gemacht

Nach mehr als sieben Jahren krieg steht Syrien für viele hierzulande als Synonym für Tod, Flucht und Zerstörung. Das Land entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit nicht nur zum Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges sondern auch zu einem internationalen Konflikt in dem bis heute eine Vielzahl ausländischer Akteure involviert ist. In Syrien ging es von Anfang an um mehr als um einen innenpolitischen Konflikt zwischen Regierung und sogenannten Rebellen.

Als iranischer und russischer Verbündeter war Syrien der NATO und EU seit langem ein Dorn im Auge. Gemeinsam mit Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und der Türkei führte man einen Krieg auf politischer, wirtschaftlicher, ideologischer und militärischer Ebene, der direkt die territoriale Integrität und politische Souveränität des Landes zum Ziel hatte.

Wenn in diesem Zusammenhang bis heute noch von „Demokratie“ und „Freiheit“ geredet wird grenzt das an Zynismus. Nicht nur im Bezug auf die Verbündeten des Westens und diejenigen Kräfte die vor Ort Waffen und Gelder erhielten. auch der Rückblick auf andere Beispiele für „Demokratieexporte“ wie Libyen, Afghanistan und Irak zeigen letztlich, dass es in Syrien nicht um Menschenrechte sondern um Ressourcen, geostrategische Interessen und die politische Dominanz in der umliegenden Region geht.

Flucht nach Damaskus

Im Rahmen einer Solidaritätsmission des Weltbundes der demokratischen Jugend (WBDJ) und des Weltfriedensrates hatte ich die Möglichkeit mir selbst ein Bild über die Lage im Land zu machen. Unter anderem habe ich an offiziellen Treffen teilgenommen und auch einige Orte innerhalb und außerhalb der Hauptstadt Damaskus besucht. Im Stadtzentrum tummeln sich neben den ursprünglichen Bewohnern der Stadt auch tausende Flüchtlinge aus allen Landesteilen die aufgrund der größeren Sicherheit und den besseren Chancen Arbeit zu finden in die Stadt gekommen sind.

Viele Menschen haben Freunde und Verwandte verloren, mussten selbst fliehen oder haben seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Familien.

Alaa beispielsweise stammt ursprünglich aus der Stadt Deir-ez Zor und studierte 2011 zu Beginn des Konflikts in Damaskus. Während sie sich dazu entschied im Land zu bleiben, floh ihre damals nach wie vor in Deir-ez Zor lebende Familie ins Ausland. Seitdem hat Alaa ihre Familie nicht mehr gesehen und nur über Telefon und Sykpe Kontakt aufnehmen können. Ein anderes Beispiel wäre Fawzi der als Spanisch-Übersetzer arbeitet. Er lebte mit seiner Familie einst in Duma, einem Vorort von Damaskus, musste 2011 aber mit seinen Angehörigen ins Stadtzentrum fliehen nachdem er von bekannten Islamisten Todesdrohungen erhalten hatte.

Endlich ein normales Leben

Die meisten syrischen Jugendlichen wie Alaa und Fawzi wollen vor allem eins: Ein Ende des Krieges und damit die Möglichkeit endlich wieder ein normales Leben führen zu können. „Die Leute kümmert es nicht, mich kümmert es nicht, wer am Ende regiert, wir möchten in Frieden leben ohne uns jeden Tag davor fürchten zu müssen das wir sterben könnten. Die Menschen wollen das Alte hinter sich lassen und nach vorne schauen“ erzählt mir Alaa.

Viele Syrer haben seit Beginn des Krieges keine zivilen Ausländer mehr zu Gesicht bekommen. Syrische Jugendliche hatten wenig bis keine Möglichkeiten sich mit Gleichaltrigen anderer Länder auszutauschen und selbst Reisen in die unmittelbare Region waren über lange Zeit kaum bis gar nicht möglich. Die syrische Jugend ist seit teilweise sieben Jahre von der Außenwelt abgeschnitten und nicht wenige fühlen sich politisch im Stich gelassen vor allem im Hinblick auf die anhaltenden Sanktionen, die politischen Strafmaßnahmen und die anhaltende Förderung islamistischer Kämpfer durch NATO, EU und Drittstaaten.

Mehr politische Freiräume

Bereits jetzt hat sich einiges im Vergleich zur Vorkriegssituation getan. Sowohl syrische Jugendliche als auch mehrere arabische Delegierte die das Land bereits vor dem Krieg besucht hatten, berichteten mir von mehr politischen Freiräumen. Ein Großteil der Posten in Verwaltung und Politik wurde zudem in den vergangenen Jahren neu besetzt, mehrere Syrer berichteten mir das sich damit bereits das Problem der Korruption gebessert hat. Auch wurden die alten Machtstrukturen aufgebrochen, ein Umstand der nicht unbedingt viele Syrer traurig stimmt.

Der lange und blutige Bürgerkrieg hat aber unübersehbare Risse innerhalb der syrischen Gesellschaft hervorgerufen. Viele Bewohner von Damaskus sind misstrauisch gegenüber Syrern die über längere Zeit in aufständischen Gebieten gelebt haben, andere wollen Rache für vergangene Verbrechen und diejenigen die außer Landes geflüchtet sind werden nicht selten als Verräter angesehen.

Schleppender Wiederaufbau

Auch wenn der IS militärisch weitgehend besiegt ist und andere islamistische Banden mit russischer Unterstützung weitgehend zurückgedrängt wurden, der Großteil des Landes wieder unter Kontrolle der Regierung steht und viele Flüchtlinge im Inland wie auch in der Region in ihre Heimat zurückkehren, ist der Krieg in Syrien nach wie vor nicht vorbei. Die türkische Besatzung im Nordwesten des Landes dauert an, der schwellende Konflikt zwischen Zentralregierung und kurdischer Selbstverwaltung im Nordosten droht aufgrund der im kurdischen Gebiet stationierten US-amerikanischen Truppen zu eskalieren und in der nach wie vor umkämpften Provinz Idlib dürfte sich die wohl aktuell weltweit größte Konzentration islamistischer Kämpfer erfolgt haben.

Noch folgenreicher für die syrische Bevölkerung ist aber der Umstand, dass der Wiederaufbau des Landes aufgrund der anhaltenden wirtschaftlichen Sanktionen und politischen Isolierung des Landes nur schleppend vorankommt. Denn es sind die einfachen Syrerinnen und Syrer die von den Sanktionen am härtesten betroffen sind und die durch die imperialistischen Aggressionen gegenüber ihrer Heimat am meisten verloren haben. Gerade jetzt ist unsere Solidarität mehr denn je gefragt.

[Leo, Damaskus]

 

Soziale und politische Missstände…

…gibt es in Syrien nach wie vor. Aber grundlegende Veränderungen in diesem Bereich und gesellschaftlicher Fortschritt im Inneren werden nicht durch NATO-Interventionen und die von reaktionären arabischen Regimen finanzierten Dschihadisten erfolgen. „Es geht hier schon lange nicht mehr wirklich um Politik, es gab gute Rebellen, vielleicht ein paar in den ersten Wochen, aber das war es dann auch“ meint Fawzi zu mir als ich mich mit ihm über den Ursprung des Krieges unterhalte. Es hat Gründe warum sich viele Oppositionelle und auch unsere GenossInnen dazu entschieden haben sich weiter auf ihre Art und Weise für Veränderungen einzusetzen anstatt einen regime change herbeizusehnen wie er von EU, NATO und anderen propagiert wird.
So waren die zwei großen syrischen Kommunistischen Parteien während der Solidaritätsmission ebenfalls durch offizielle Vertreter anwesend. Beide Parteien kritisieren die Regierung und taten dies bereits vor 2011 beispielsweise im Hinblick auf die damals eingeleiteten Wirtschaftsreformen. Sie weisen dennoch darauf hin das das Hauptaugenmerk in der gegenwärtigen Situation auf den Aggressionen von außen und auf dem Kampf gegen reaktionäre Kräfte im Inneren liegen muss.

Deutsche Waffen, deutsches Geld

Die BRD beteiligte sich von Anfang an an dem vielschichtigen Krieg gegen Syrien. Neben den mitgetragenen Wirtschaftssanktionen, politischen Maßnahmen und ideologischer Beeinflussung sind es auch deutsche Waffen die in Syrien zum Einsatz kommen. Es sind deutsche Gewehre die über die Golfdiktaturen an Islamisten in Syrien gelangten und es sind deutsche Panzer mit denen die türkischen Armee ihre Invasion Nordsyriens bestritt. Deutschland ist außerdem seit 2013 auch militärisch direkt vor Ort präsent. Erst durch die Stationierung der „Patriot“-Raketenabwehrsystemen in der Türkei und dann ab 2015 durch den völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatz in Syrien.

Dieser Artikel erschien in
POSITION #5/2018
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