Im Krieg stirbt immer als erstes die Wahrheit (POSITION #5/18)

veröffentlicht am: 4 Jan., 2019

INTERVIEW: ANDERS KOUSTRUP KÆRGAARD WAR FRÜHER NACHRICHTENDIENST-OFFIZIER DER DÄNISCHEN ARMEE. BIS ER NACH DEM IRAK-KRIEG ZUM WHISTLEBLOWER WURDE

POSITION: WAS IST DAMALS PASSIERT, ALS DU IM IRAK-KRIEG EINGESETZT WARST?
Anders Koustrup Kærgaard: Als Nachrichtendienst-Offizier war es meine Aufgabe, den Feind zu analysieren und Voraussagen über mögliche Angriffe zu treffen. So auch im November 2004, als uns von den Irakern gemeldet wurde, dass sich in einer Stadt mit ca. 600.000 EinwohnerInnen Al-Qaida-Kämpfer verstecken würden. Al-Qaida hätte angeblich Kontakte zu Saddam Hussein wurde uns erzählt, was jedoch nicht stimmte. Es wurde ein Angriff am Morgen geplant, wir sollten in der Innenstadt Ziele sichern und die neue irakische Armee begleiten, da wir sie ausbildeten. Doch ihre Einschätzung war falsch, so wie ich es im Vorfeld vermutet und gemeldet hatte. Hier ging es vielmehr um einen Angriff auf religiöse Gruppen und vielleicht um Drogenhandel. Trotzdem wurden Zivilisten ins Gefängnis in der Nähe von Basra verschleppt und dort 70 Tage lang gefoltert – unter Aufsicht der Briten.

OPERATION GREEN DESSERT Vor fünfzehn Jahren, im Jahr 2003, überfiel eine Militärkoalition unter der Führung der USA und Großbritanniens den Irak. Mit Lügen über angebliche Massenvernichtungswaffen mobilisierte die US-Regierung 36 Länder für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, darunter auch Dänemark. Deutschland machte zwar offiziell nicht mit, stellte den Kriegsarmeen jedoch ein „Überflugrecht“ aus, ließ sie militärische Einrichtungen in Deutschland für den Krieg nutzen und leistete selber Aufklärungsflüge im türkischen Luftraum. Ende November 2004 nahmen 1.000 Soldaten aus Dänemark, Großbritannien und der schiitisch-irakischen Armee den Ort Al-Zubair in der Nähe von Basra im Irak ein. Dort sollten sich angeblich Anführer der islamistischen Al-Qaida und andere Aufständische versteckt halten. Unser Interview-Partner Anders Koustrup Kærgaard sollte die Information für die dänische Armee überprüfen, doch für ihn war schnell klar: „Wer die Gegend und die Spannungen zwischen der schiitischen irakischen Armee und den sunnitischen Einwohnern von Al-Zubair kannte, musste misstrauisch sein.“ Anders warnte seine Vorgesetzten vor dem Einsatz, denn er befürchtet, dass dabei nur Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen werden. Doch das interessiert seine Chefs nicht und die Truppe wurde mit der „Operation Green Dessert“ in den Ort kommandiert. Sie fanden keine Terroristen, sondern nur Zivilisten. Diese wurden von irakischen Soldaten misshandelt, während dänische Soldaten dabei zuguckten. Danach wurden sie in den Folter-Knast Al-Jamiat verschleppt und dort 70 Tage lang ihrer Freiheit beraubt. Einen Richter gab es hier nicht, dafür Hiebe, Schläge, Tritte und Elektroschocks. Die dänische Armee versuchte danach das Verbrechen zu vertuschen. In einer Presseerklärung hieß es: „Die Operation verlief planmäßig und mit großer Effizienz. Obwohl die Personen am Zielort höchstwahrscheinlich zu unseren härtesten Gegnern gehören, hat niemand Widerstand geleistet.“ Die Lüge blieb jahrelang die offizielle Wahrheit, obwohl bis 2012 bereits 23 Zivilopfer gegen die dänische Regierung Klage eingereicht hatten. Dann, acht Jahre nach dem Verbrechen brach Anders sein Schweigen und veröffentlichte ein Video von den fraglichen Ereignissen 2004 und bot sich den Opfern als Zeuge an. Seine Veröffentlichungen zeigen nun Wirkung: Im Mai dieses Jahres hat ein dänisches Gericht gegenüber 23 irakischen Klägern endlich eingeräumt, dass sie in dem Gefängnis unmenschlich behandelt wurden. Gegen das Urteil, welches jedes Opfer mit 4.600 US-Dollar für 70 Tage Folter entschädigt, hat der dänische Verteidigungsminister Berufung eingelegt. Es würde Dänemark in eine schwierige Situation bringen.

WAR UNTER EUCH SOLDATEN BEKANNT, DASS IN DEM GEFÄNGNIS GEFOLTERT WIRD?
Anders: Im Mai 2004 wurden die Folterszenen aus Abu Ghraib öffentlich und natürlich wollte man solche Bilder zukünftig verhindern. Deswegen hatten wir vor unserem Irak-Einsatz viel Unterricht über internationales Völkerrecht und Kriegskonventionen. Jeder von uns wusste, wenn er Folter und andere Verbrechen mitbekommt, muss dagegen eingegriffen und das gemeldet werden. Doch das hat niemand gemacht.
Im Januar dann fanden im Irak die ersten Wahlen nach der militärischen Okkupation statt. Zwar wurde im Vorfeld dessen noch kurz in einigen lokalen Medien über das Verbrechen im Zuge der „Operation Green Dessert“ berichtet, doch dann war es wieder still. Denn unser dänischer Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen sagte damals über den Einsatz in Al-Zubair, es gäbe nichts zu untersuchen. Das war gelogen, nach der Genfer Konvention waren wir verpflichtet, das ganze unabhängig untersuchen zu lassen. Doch Rasmussen wollte den Irak-Krieg nicht schlecht reden, sondern gut darstellen. Später wurde Rasmussen dann Generalsekretär des westlichen NATO-Militärbündnisses.

HAT DICH DER UMGANG DER MILITÄRFÜHRUNG VERUNSICHERT?
Anders: Ich glaubte für das Gute zu kämpfen, für Demokratie und Freiheit. Heute weiß ich, dass im Irak-Krieg alte Rechnungen beglichen wurden. Schon 2004 wurde klar, dass die offizielle US-Begründung für den Krieg, nämlich dass der damalige Irakische Präsident Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hergestellt hätte, Unsinn war. Und obwohl die Vereinten Nationen (UNO) dem Kriegseinsatz eine Abfuhr erteilten, begann der Krieg gegen den Irak. Anstatt das Nein der UNO zu akzeptieren, haben sich die Interessen um Erdöl und damit viel Geld durchgesetzt.

WAS DENKST DU AUS DEINER HEUTIGEN PERSPEKTIVE ÜBER DEN IRAK-KRIEG?
Anders: Sicherlich, Saddam ist weg, aber die Situation ist sehr schlimm und es ist nirgends sicher im Irak. Doch die irakische Bevölkerung konnte nach diesem Krieg den Besatzern nicht vertrauen. Der religiöse Konflikt hat den Charakter eines Bürgerkriegs gegen die normale Zivilbevölkerung angenommen – mit Unterstützung der westlichen „Koalition der Willigen“.
Heute ist der Irak ein kaputtes Land mit vielen Narben. Der Angriff auf Al-Zubair ist eine davon. Das Verbrechen konnte zum Glück auch in Dänemark nie vertuscht werden. 2004 kam es bereits auf, 2008 war es dann erneut in den Medien, 2010 nochmal. Jedes Mal hat sich die Militärführung auf mich eingeredet und gesagt man würde sich nun darum kümmern. Doch passiert ist nichts.

WANN HAST DU DEIN SCHWEIGEN GEBROCHEN?
Anders: Als das Ganze dann 2012 wieder in die öffentliche Debatte kam, habe ich mein Wissen über den wahren Hergang an die Presse gegeben. Die Reaktion der Regierung kam prompt: Der Verteidigungsminister beschuldigte mich, meine Beweise gefälscht zu haben. Die Staatsanwaltschaft log darüber, wie auch die nachfolgenden Regierungschefs. Meine Kollegen in der Armee wurden dadurch natürlich auch eingeschüchtert. Sie hatten schon vorher nichts gesagt und wussten jetzt erst recht, dass sie sich dazu besser nicht äußern sollten.

WIE GING ES DANN FÜR DICH WEITER?
Anders: Mein bisheriges Leben wurde mir auf einmal unter den Füßen weggerissen. Politik, Justiz und Militär behaupteten gemeinsam jahrelang, dass ich ein Lügner sei. Mir wurde ein halbes Jahr Gefängnis angedroht und ich wurde zu einer Strafe von 13.000 Kronen verurteilt. Ehemalige Kollegen und Freunde wandten sich von mir ab, meine Frau reichte die Scheidung ein, meine Söhne brachen den Kontakt ab. Ich musste in einen anderen Ort ziehen, um der öffentlichen Hetze zu entkommen und fand keinen neuen Job, da ich nun öffentlich geächtet war. So wie mir ging es den meisten sogenannten „Whistleblowern“, die Staatsgeheimnisse öffentlich machen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Deswegen ist das Gerichtsurteil vom Mai dieses Jahres auch für mich ein großer Schritt, weil es die Schuld Dänemarks eingesteht (siehe Info-Kasten). Wenn der Verteidigungsminister das Urteil wieder kippen will, dann müssen wir damit eben vor den internationalen Gerichtshof ziehen. Da müsste sowieso Anklage erhoben werden gegen Rasmussen und seinen Verteidigungsminister, die die Untersuchungen sabotiert haben.

Anders Koustrup Kærgaard (46) kam mit einer post-traumatischen Belastungsstörung aus dem Irak-Krieg zurück. Er wurde zum Whistleblower und setzt sich heute für die Rechte der irakischen Zivilopfer ein. Du kannst Anders beim SDAJ-Workshop auf der internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2019 in Berlin kennenlernen.

DU WARST AUS TIEFSTER ÜBERZEUGUNG BEIM MILITÄR UND BIST WEGEN DEINER ÜBERZEUGUNGEN ENTLASSEN WORDEN. WIE DENKST DU HEUTE ÜBER KRIEGE UND DIE ARMEE?
Anders: Es wird heftiger. Früher waren Auslandseinsätze etwas krasses, heute sind sie für viele Soldaten etwas normales geworden. Als ich noch ein Kind war, da war der Krieg etwas ganz gefährliches, das wir verhindern wollten. Heute ist der Krieg Normalzustand, in der Werbung heißt es: „Karl-Heinz und Jens sind beide 18 Jahre alt. Jens hat einen Volvo. Karl-Heinz hat einen Panzer. Komm zur Armee!“. Es ist wirklich verrückt, heute wird das Militär als ein großes Abenteuer dargestellt und die Zeit in der Armee wird dir als Adrenalin-Rausch verkauft.

WARUM GIBT ES DIESE ENTWICKLUNG UND WAS IST DEINE ALTERNATIVE?
Anders: Nun ja, wer Krieg führt kann ein Feindbild aufrechterhalten und damit innere Stabilität im eigenen Land erzwingen. Doch mit diesem Modell verschärfen sich international die Konflikte. Das ist eine wirklich gefährliche Entwicklung. Die neuen Feindbilder sind der Islam und die Muslime sowie Russland unter Präsident Putin. Diese Feindbilder dienen als Vorwand für mehr Aufrüstung und Geld für die Armee.
Statt Kriege zu führen sollten wir bessere Lebensbedingungen schaffen. Auch bei uns könnten soziale Perspektiven und das Eintreten gegen Fremdenhass die Welt besser machen. Und statt dem militärischen Säbelrasseln müssen unsere Regierungen die Rhetorik ändern, in einen Austausch mit Russland treten und Abrüsten statt Aufrüsten.

Das Interview führte Mark, München

 

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Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren unter position@sdaj.org

Fotos: Jens Schulze

Dieser Artikel erschien in
POSITION #5/2018
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