Marxistischer Spickzettel (POSITION #01/19)
DIE DNA, DIE GESELLSCHAFT UND WIR
DNA ist das Erbgut und Bestandteil jeder einzelnen unserer Zellen. Sie ist eine Art Bauplan aus vier Buchstaben, der im Wesentlichen für jeden Prozess und jede Funktion in allen Lebewesen und damit auch in unserem Körper verantwortlich ist. Die verschiedenen Abfolgen der vier Buchstaben bilden unsere Gene. Sind wir also nichts Anderes als das, was unser molekularer Bauplan uns vorgibt? Biologinnen und Biologen sprechen davon, dass Gene die sogenannte „Reaktionsnorm“festlegen. Das bedeutet, das Gene einen Rahmen bestimmen, innerhalb dessen ein Organismus Fähigkeiten entwickeln kann.Laktoseintoleranz ist ein einfaches Beispiel. Eine Mutation führte dazu, dass in Europa über 80% der Menschen Milchzucker verdauen können.Die anderen 20% haben –biologisch gesprochen–einen Nachteil, weil die Aufnahme von Laktose mit längeren Aufenthalten auf der Toilette einhergeht und auch zu Bauchschmerzen führt. Das ist aber weder ein Vor- noch ein Nachteil, wenn wir gesellschaftlich in der Lage sind, die Menschen mit Laktoseintoleranz kostenlos mit Tabletten zu versorgen, die den zum Laktoseabbau nötigen Stoff beinhalten.
INTELLIGENZ- UND VERBRECHER-GEN?
Viele Merkmale werden auch von mehr als einem Gen beeinflusst. Beliebte Beispiele sind hier Hautfarbe und Intelligenz. Es gibt nicht das eine „Intelligenz-Gen“. Stattdessen gibt es eine Reihe von Genen, die die verschieden starke Ausprägung der biologischen Fähigkeit zu bestimmten Prozessen im Hirn beeinflussen. Die theoretische biologische Fähigkeit zu diesen Prozessen führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass diese Menschen besonders intelligent sein müssen. Niemand wird wegen seiner/ihrer genetischen Veranlagung als SchachweltmeisterIn geboren.Dafür ist auch eine ganze Menge Lernen unter ausreichend guten Bedingungen notwendig. Jemand, der zwar mit den Genen für großes, intellektuelles Potenzial geboren wird, aber unter gesellschaftlichen Bedingungen aufwachsen muss, in denen er oder sie nie eine Schule besuchen kann, wird dieses Potenzial nicht entfalten können.
Das heißt, die gesellschaftlichen Verhältnisse bleiben auch bei (Nicht-)Vorhandensein von bestimmten Genen sehr relevant. Ähnlich ist es bei der Frage, ob Gewalttätigkeit genetisch vorbestimmt ist. Zwar lassen sich bei gewalttätigen Menschen gewissen Veränderungen bei manchen Genen nachweisen. Es zeigte sich aber auch, dass diese Veränderungen erst im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren wie Stress, Misshandlung in der Kindheit oder auch gesellschaftlicher Akzeptanz von Gewalt, etwa zu Kriegszeiten, wirksam werden.
ZUSAMMENSPIEL VON NATUR UND UMWELT
Jemand mit vielen aktiven Genen, die zur Einlagerung von Melanin in die Haut führen, wird dunklere Haut haben als jemand ohne sie. Dichtet man Menschen mit dunklerer Hautfarbe aber aufgrund genetisch bedingter Unterschiede andre Dinge wie etwa ein spezielles Verhalten, geringere Intelligenz oder Neigung zu Kriminalität an, dann ist das Rassismus. Das ist es auch, wenn aufgrund sozialer Ungleichheit auftretende Fakten wie etwa höhere Kriminalitätsraten auf genetische Unterschiede anstatt eben das soziale Umfeld zurückgeführt werden. Das, was sich auf zellulärer Ebene abspielt ist hier also erst dann relevant, wenn aufgrund von gesellschaftlich vorherrschendem Rassismus unter anderem dunklere Haut zu Diskriminierung von Menschen führt. Das, was den Menschen ausmacht,ist und bleibt ein Zusammenspiel von Natur und Umwelt,von individueller Veranlagung und gesellschaftlichen Bedingungen.
[Svenja, Bremen]
_____
Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren unter position@sdaj.org