Fitnessstudio statt Bolzplatz (POSITION #02/19)
SPORT MIT ANDEREN MACHT MEHR SPASS, DOCH GEHT ES DARUM EIGENTLICH NOCH?
Jugendliche haben kaum noch „echte“ Hobbies. Während Sportvereine deshalb unter Existenzangst leiden, boomen Fitnessstudios. Ihre Mitgliederzahl stieg von 4,4 Millionen im Jahr 2003 auf heute mehr als 11 Millionen.
WARUM DIESER TREND?
Die fehlende Zeit macht das Einhalten verbindlicher, regelmäßiger Termine von Sportvereinen schwierig. Hatten Beschäftigte 1982 noch 3.151 Jahresfreizeitstunden, so waren es 2015 nur noch 2.537. Erschwerend kommt der Anstieg von Schichtarbeit und Überstunden hinzu. Zu diesen sehen sich die Beschäftigten regelmäßig gezwungen, denn mit der Agenda 2010 ist der Druck auf sie krass gestiegen. Unbefristete Arbeitsverträge sind seitdem eher die Ausnahme als die Regel. Jeder hat Angst vor Arbeitslosigkeit, weil Hartz-IV ein Leben in Armut und Abhängigkeit heißt. Mit der Agenda 2010 ging auch ein sinkender Lebensstandard einher, denn wenn jeder um seinen eigenen Job fürchtet, werden schlechtere Löhne schneller hingenommen. Hier haben wir einen weiteren Grund für den Trend: Die Beschäftigten haben auf den verschärften Druck häufig nicht mit größeren Streiks, sondern mit Einzelkämpfermentalität reagiert. Die herrschenden Medien und Unterrichtsinhalte erklären uns überwiegend erfolgreich, dass wir selber schuld sind, wenn wir unseren Job verlieren. Nicht Solidarität helfe, sondern nur individuelle Anstrengung. So entwickelt sich Konkurrenzdenken auch innerhalb der Arbeiterklasse. Da, wo in den klassischen Arbeitermilieus beim Fußballtraining über gewerkschaftliche Auseinandersetzungen in Großbetrieben geredet wurde, schlägt man sich heute alleine durch – egal, ob auf der Arbeit oder auf dem Laufband im McFit.
SCHÖNHEIT STATT LEISTUNG
Infolge der fortschreitenden Individualisierung hat sich auch das Ziel, mit dem Sport betrieben wird, verändert. Während der Erfolg im Mannschaftssport von der Leistung des Kollektivs abhängt, also soziale Kompetenzen und praktische Solidarität nicht wegzudenken sind, geht es im Fitnessstudio vor allem um das Erreichen eines bestimmten Schönheitsideals. Das ist bei Männern z.B. ein Stiernacken oder vollgepumpte Oberarme, bei Frauen ein glatter Bauch und ein straffer Po. Rollenbilder werden hier ganz offen zementiert. Frauen hungern sich auf eine vermeintliche „Top-Figur“ runter und werden von Selbstzweifeln geplagt, wenn sie doch noch nicht so „perfekt“ sind wie ihre Lieblings-Influencerin auf Instagram. Demgegenüber greifen viele Männer, die auf der Bank nicht genug drücken, aus Scham zu anabolen Steroiden. Die Folgen sind Depressionen, Akne und Impotenz.
Besonders perfide ist, dass „McFit“ mit ihrer Werbekampagne „Sei Teil einer Gemeinschaft“ der tatsächlichen Individualisierung mit faschistoiden Vorstellungen von einer „Gemeinschaft der Starken“, deren Zugehörigkeit sich über Leistung und Aussehen definiert, begegnet. Das alles macht es nicht unbedingt falsch, ins Fitness-Studio zu gehen, nur muss man aufpassen, auf den ganzen ideologischen Müll, der damit einhergeht, nicht reinzufallen.
[Freya, Kassel]
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