Iran-Krise (POSITION #04/19)

veröffentlicht am: 24 Sep, 2019

Was will der deutsche Imperialismus im Mittleren Osten?

„Äußerst besorgt“ seien sie, dass Iran seine Bestände an angereichertem Uran wieder aufstocke und nun die Obergrenze überschritten habe, die das Nuklearabkommen festlege: Das teilten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens in einer gemeinsamen Erklärung am 2. Juli mit. Teheran solle „seinen Schritt rückgängig“ machen und „von weiteren Maßnahmen“ absehen, „die die Nuklearvereinbarung aushöhlen“, fügten sie hinzu; ihrerseits würden sie jetzt „mit Dringlichkeit“ die „nächsten Schritte“ prüfen. Die Drohung, auch die europäischen Mächte würden die Sanktionen gegen Teheran nun ganz offiziell wieder einführen, stand damit im Raum.

Die Bundesregierung misst dem Machtkampf mit und um Iran eine zentrale Rolle bei. Die deutschen Interessen am Persischen Golf, die dem zugrunde liegen, sind vielfältig. Zum einen ist Iran mit seinen riesigen Öl- und Gasvorräten ein potenziell reiches Land, das mit seiner großen und im regionalen Vergleich gut ausgebildeten Bevölkerung als Absatzmarkt und als Produktionsstandort durchaus attraktiv ist. Zum ökonomischen kommt ein starkes politisches Interesse hinzu: Der Mittlere Osten ist mit all seinen komplexen Konflikten ein Brennpunkt der Weltpolitik; wer dort etwas zu sagen hat, mischt bei höchst folgenreichen Entscheidungen von potenziell globaler Bedeutung mit. Die Bundesrepublik, deren Eliten „auf Augenhöhe“ mit den Vereinigten Staaten gelangen, Weltmacht werden wollen, könnte also ökonomisch und politisch wichtige Erfolge erzielen, wenn es ihr gelänge, eine Führungsrolle in der Mittelostpolitik einzunehmen.

Das Atomabkommen

Das Atomabkommen mit Iran, an dem die Bundesregierung intensiv mitgearbeitet hat, ließ prinzipiell eine Verwirklichung sowohl der ökonomischen wie auch der politischen Interessen Berlins zu. Deutsche Konzerne von Siemens (Kraftwerkbau) bis Wintershall (Öl- und Gasförderung) verhandelten nach dem Abschluss des Abkommens über lukrative Geschäfte; Berlin entfaltete auch politisch rege Aktivitäten. Diese drehten sich darum, den Aufstieg Irans zur dominanten Regionalmacht zu verhindern. Iran hat dazu nicht nur das ökonomische Potenzial, sondern – ironischerweise – dank der westlichen Aggressionspolitik in Nah- und Mittelost auch die Chance: Seit eine US-geführte Koalition den Irak in Schutt und Asche gebombt hat, fällt das Land nicht nur als Rivale Irans machtpolitisch aus; der Sturz Saddam Husseins hat zudem schiitisch-proiranischen Kräften in Bagdad erheblichen Einfluss verschafft. Der gescheiterte Versuch, den syrischen Präsidenten Bashar al Assad zu stürzen, hat iranische Milizen bis nach Syrien gebracht; der saudisch-emiratische Krieg im Jemen hat dort die Huthi in klare Abhängigkeit von Teheran getrieben.

Um weitere iranische Einflussgewinne zu verhindern, setzte Berlin auf die Stärkung von Irans regionalen Rivalen – Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate – und parallel auf eine Strategie der Eindämmung Teherans mit wirtschaftlich-politischer Kooperation – ein bisschen wie einst die Politik des „Wandels durch Annäherung“ gegenüber der Sowjetunion. Nun funktioniert die deutsche Strategie aber nicht mehr, seit die USA unter Präsident Donald Trump ihren Kurs gewechselt haben: Sie wollen Teherans Macht nicht nur begrenzen, sondern sie zurückdrängen, am liebsten sogar eine prowestliche Regierung in Iran einsetzen. Ihr Ausstieg aus dem Atomabkommen und die erneute Einführung der Sanktionen sabotieren dabei freilich die deutsche Strategie gegenüber Iran.

Fuck the USA?

Berlin hat darauf mit dem Versuch reagiert, seine Mittelostpolitik gegen diejenige Washingtons zu behaupten – und damit seinen Anspruch auf eine eigene Weltmachtrolle zu unterfüttern. Bislang gelingt das nicht. Das liegt daran, dass die deutsche Wirtschaft zwar wütend über die neuen Iran-Sanktionen ist, die Milliarden im US-Geschäft allerdings den Millionen aus dem Iran-Handel vorzieht. Damit fehlt der deutschen Iran-Strategie die wirtschaftliche Grundlage. Teheran, immer weiter in die Ecke gedrängt, fühlt sich an das Atomabkommen, das der Westen gebrochen hat, nicht mehr gebunden und reichert wieder zunehmend Uran an. Damit droht der Machtkampf mit den USA zu eskalieren. Früher oder später wird Berlin sich entscheiden müssen, ob es weiterhin seine eigene Machtpolitik im Mittleren Osten aufrechtzuerhalten versucht oder sich auf die Seite Washingtons schlägt. In letzterem Fall wäre der erste große Probelauf für eine eigenständige deutsch-europäische Weltpolitik gescheitert.

 

Jörg, Kronauer

Jörg lebt in London, schreibt regelmäßig für die Junge Welt und ist Redakteur der Nachrichtenseite www.german-foreign-policy.com.

Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren unter position@sdaj.org

 

Geschichtlicher Hintergrund

Mit dem Sturz des US-hörigen Schahregimes im Zuge eines breiten Volksaufstandes 1979 entzog sich der Iran weitestgehend der Kontrolle des westlichen Kapitals. Im anschließenden Kampf um die Macht setzten sich islamisch-konservative Kräfte um Ajatollah Chomeini durch, welche in der Folge einen reaktionären Klerikalstaat errichteten und fortschrittliche Kräfte, einschließlich der Kommunisten, massenhaft einkerkern und hinrichten ließen. In einem achtjährigen Krieg kämpften Iran und Irak in den 1980ern um die Vormachtstellung im Nahen Osten, wobei die USA bezeichnenderweise bei offizieller Unterstützung des Irak auch an den Iran Waffen lieferte (Iran-Contra-Affäre). Nach diesem verheerenden Krieg ohne Sieger hatte das Land in den 1990ern mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, nicht zuletzt aufgrund eines umfassenden Handelsboykotts seitens der USA. Den westlichen Imperialisten waren und sind allerdings weniger begangene Menschenrechtsverletzungen im Iran ein Dorn im Auge – man schaue nur auf das enge Bündnis mit Saudi-Arabien oder die Unterstützung radikal-islamischer Kräfte im Syrienkrieg – als vielmehr die relative wirtschaftliche Eigenständigkeit des Iran.

Erst lügen, dann bomben – Wie die USA sich ihre Kriegsanlässe schaffen

Seit dem Angriff auf zwei Tanker im Golf von Oman Mitte Juni spitzt sich die Lage in der Region zu. Ohne jede Beweise stand für die USA der Schuldige fest: Iran. 1000 weitere US-Soldaten wurden in den Nahen Osten geschickt und das Kriegsgeheul begann. Keine sonderlich neue Taktik, wie ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt. So begann der Spanisch-amerikanische Krieg 1898 mit der Explosion des US-Schlachtschiffes USS Maine im Hafen von Havanna (s. auch S. 24). Ursache oder Täter wurden bis heute nicht gefunden, aber der erste imperialistische Krieg der Geschichte (Lenin) war entfacht. Noch dreister agierten die USA 1964. Um ihren Angriffskrieg gegen die Befreiungsbewegung Vietnams zu rechtfertigen, wurde der Beschuss amerikanischer Kriegsschiffe im Golf von Tonkin einfach erfunden. Nichts dergleichen ist passiert, aber der Weltöffentlichkeit konnte ein Kriegsgrund präsentiert werden. Auch der Zweite Golfkrieg 1990 (Iraker töten angeblich kuwaitische Frühgeborene, „Brutkastenlüge“) und der der Irak-Krieg 2003 (Das Märchen von den „Massenvernichtungswaffen“) begannen mit einer Lüge. Hat sich der US-Imperalismus erstmal ein Ziel ausgesucht, sind der Kreativität bei der Suche eines konkreten Anlasses scheinbar keine Grenzen gesetzt.

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POSITION #4/2019
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