Ein Interview mit dem Schriftsteller Mesut Bayraktar über die M&R-Künstlerkonferenz
POSITION: Die Podiumsdiskussion, an der du im Rahmen der M&R-Künstlerkonferenz teilgenommen hast, trug den Titel „»UTOPIE VON DER FREIHEIT DES MENSCHEN« − REVOLUTIONÄRE KUNST UND KULTUR HEUTE.“ Könntest du uns kurz erläutern, um welche Fragen sich die Diskussion drehte?
Wir haben ausgelotet, wo die Grenzen revolutionärer Kunst und Kultur heute liegen. Gibt es künstlerische Wege der Entgrenzung, die die Utopie von der Freiheit des Menschen vorscheinen lassen? Wenn du mich fragst, gibt es sie. Sonst wüsste ich nicht, warum ich schreibe. Die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus heißt ja nichts anderes, als dass der Kapitalismus sich permanent selbst in Frage stellt, wie Krebs, der den Körper tötet, von dem er lebt. Die künstlerische Aufgabe liegt heute darin, die Brüchigkeit des Bestehenden erfahrbar zu machen. Literatur kann Sprache für die arbeitenden Klassen produzieren, denen die Ausdrucksmittel entzogen werden. Dort ist ein ungeheuerliches Ausdrucksbedürfnis zu finden.
Wie groß war die Beteiligung junger Leute an der Konferenz? Denkst du, dass die Inhalte der Diskussion oder der Konferenz allgemein auch sie angesprochen haben?
Gering. Das lag auch daran, dass gleichzeitig das Festival der Jugend stattfand. Die Konferenz hat mich angesprochen, warum also nicht auch andere junge Menschen? In der Kunst findet der Mensch Geschmack an Menschlichkeit und über Kunst wurde viel geredet. Wenn heute jemand Menschlichkeit sucht, dann sind es die jungen Leute, von denen viele, eben weil sie nicht fündig werden, dieses Bedürfnis in Drogen, in der Kulturindustrie, im falschen Leben ertränken.
Viele junge Leute leiden unter dem Druck und Stress in der Schule, auf der Arbeit oder anderswo, überall müssen wir gegen Angriffe auf unsere Rechte kämpfen. Warum denkst du, dass die Beschäftigung mit Themen wie denen auf der Künstlerkonferenz trotzdem wichtig ist?
Weil der Mensch in der Poesie und Kunst zu sich kommt, um zu fragen: Warum kämpfe ich und wofür? Noch nie begann eine Revolution ohne revolutionäre Inspiration, die ihr Mut gegeben hat, zur Tat zu schreiten. Der Klassenkämpfer kann nicht leben, ohne sich ein Bild von dem zu machen, was er tut, durch wie viel Grauen er watet und wie viele Wunden sein Körper vernarbt. Junge Leute müssen lernen, diesen Druck und Stress zu einer persönlichen Sache zu machen. Literatur schürt Zweifel an der Verzweiflung. Sie befreit von Einsamkeit. Ohne Konfrontation durch Kultur kann sich der Geschlagene nicht zur Wehr setzen. In der »Ästhetik des Widerstands« schreibt Peter Weiss: „Die Phantasie lebte, so lange der Mensch lebte, der sich zur Wehr setzte.“ Die jungen Leute brauchen Phantasie, um ihre Peiniger klug bekämpfen zu können.
Das Interview führte Daniel, Trier
Mesut Bayraktar (29) studiert Philosophie in Stuttgart. Er ist Schriftsteller, Redakteur der Literaturzeitschrift „Nous.“ und schreibt u.a. für die „Melodie & Rhythmus“.
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