Gegen die Wurzeln des Faschismus (POSITION #04/19)

veröffentlicht am: 8 Okt, 2019

Auszüge aus Interview-Antworten der Antifaschistin Erika Baum, die den Kampf gegen Nazis beim Aufbau der DDR miterlebte 

 

Wir haben deutlich gemacht, dass wir gegen den Faschismus, gegen die Herrschaft der reaktionärsten, am meisten am Krieg interessierten Elemente des Finanzkapitals sind. Deshalb sagten wir dieser Klasse den Kampf an, diesem Teil der Kapitalistenklasse, dem Monopolkapital, die den Faschismus zur Sicherung seiner Herrschaft und zur Kriegsvorbereitung braucht. Deshalb war unser antifaschistischer Kampf immer antiimperialistisch. Getreu dem Schwur, den die Häftlinge bei der Befreiung leisteten, wollten wir den Faschismus mit den Wurzeln ausrotten. Das hieß nicht nur Verbot aller faschistischen Aktivitäten, sondern auch die Beseitigung seiner materiellen Grundlagen. 

Deshalb beschlossen wir die Volksabstimmung zur Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher und enteigneten die Monopolbourgeoisie auf der Grundlage von Verordnungen. Ebenso verwirklichten wir die Bodenreform, die Enteignung der Junker und Großgrundbesitzer. Die Durchführung oblag den gewählten Bodenreformkommissionen. Ausgehend vom Potsdamer Abkommen und den Beschlüssen des Alliierten Kontrollrates durften Nazilehrer nicht mehr unterrichten. Nach vielen Diskussionen, an denen sich die Schulreformer aktiv beteiligten, verwirklichten wir die Schulreform. Alle faschistischen Gesetze wurden außer Kraft gesetzt und alle Mitglieder der NSDAP wurden aus der Justiz entfernt. 

 

Alle diese Aufgaben mussten von den neuen Staatsorganen bewältigt werden. Diese grundlegenden revolutionären Veränderungen konnten wir nur deshalb verwirklichen, weil wir die Einheit der Arbeiterklasse geschaffen hatten. Wichtig für die Umsetzung des Programms der antifaschistischen Umwälzung war, dass die sowjetische Besatzungsmacht das Potsdamer Abkommen umsetzte, dass die Besatzungsmacht aus Klassengenossen bestand. Wir haben unsere Absichten nicht verschleiert; wir haben sie theoretisch begründet und verwirklicht. In Wechselwirkung mit all den genannten revolutionär-demokratischen Maßnahmen wurde der Kampf gegen faschistische und militaristische Auffassungen, gegen den Antikommunismus aufgenommen. Schon im September 1945 wurde am Deutschen Theater „Nathan der Weise“ aufgeführt. Jedes Theaterstück, jeder Film, jedes Buch, jedes Parteilehrjahr, jede Diskussion, jedes Lied forderte Entscheidungen in ideologischen Fragen und im täglichen Leben. 

In Hetzartikeln der bürgerlichen Presse werden Mitglieder der Nazipartei aufgezählt, die am demokratischen Aufbau beteiligt waren. Natürlich gab es das. Wir haben bei jedem geprüft, wie seine Stellung zum Faschismus war. Wir haben selbstverständlich auch mit Angehörigen der faschistischen Armee, die im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ organisiert waren, die aktiven Widerstand gegen das Hitlerregime leisteten, zusammengearbeitet. Einen Globke jedoch, der bei Adenauer Staatssekretär war, einen Geheimdienst, der vom Nazireich übernommen wurde, das hat es bei uns nicht gegeben. 

 

[Der Vorwurf, dass nur die Kommunisten als Helden und Opfer gewürdigt wurden, nicht jedoch die Verfolgung und Vernichtung der Juden, Behinderten oder der Sinti und Roma] leugnet die Tatsachen. Es gab zahllose Bücher und Berichte über die Grausamkeiten in den Gefängnissen und Lagern und in den besetzten Ländern gegenüber allen Völkern, Klassen und Religionen. Auch die Verfolgung der Juden war Gegenstand vieler Forschungsvorhaben, Analysen und Anklagen. Eine große Rolle spieltenKinderbücher, die sich gegen Rassismus jeder Art richteten. 

Wir wollten aber nicht nur das Leiden der Opfer zeigen, sondern auch den Widerstand gegen die Herrschaft der Faschisten. Dieser Widerstand wurde besonders von Gefangenen, die aus der Arbeiterbewegung kamen, geleistet. Dass die Kommunisten in diesen Kämpfen an der Spitze standen und sich opferten – das ist historische Wahrheit. 

 

Das Problem bei der Bewältigung des Faschismus bestand vor allem darin, dass wir es ja mit einer Bevölkerung zu tun hatten, die bis fünf Minuten nach 12 ihre Peiniger nicht zum Teufel gejagt hatte. Man muss die Situation bedenken, dass die Rote Armee in Berlin um jedes Haus, um jede Straße kämpfen musste. Aber die gleichen Menschen waren auch Opfer des faschistischen Krieges geworden. Deshalb wollten wir alle Maßnahmen mit der größtmöglichen Beteiligung der Bevölkerung umsetzen. Ich denke nur an die Enteignung der Kriegsverbrecher, die wir mit einem Volksentscheid in Sachsen umgesetzt haben. Die Werktätigen in Hessen hatten einen ähnlichen Wunsch; das wurde dort verhindert. Wir konnten es umsetzen, weil wir eine Besatzungsmacht hatten, die den gleichen Klassenauftrag im Auge hatte wie wir. Genauso haben wir die Bodenreform umgesetzt. Auf dem Felde haben wir den Boden verteilt, den wir den Junkern weggenommen haben. Die Bauern standen dabei; sie haben nicht heimlich den Junkern etwas weggenommen, sondern öffentlich, auf der Straße, mit Gesetzeskraft. 

 

Unser Problem bei der Bewältigung des Faschismus war die ideologische Aufklärung. Viele Leute distanzierten sich von den schlimmsten Taten der SS. Aber wenn die Väter und Großväter von ihren Leiden im Krieg und der Gefangenschaft erzählten, dann verschwiegen sie die Taten, die sie begangen haben oder geschehen ließen. Das hat bei nachfolgenden Generationen durchaus noch Wirkung zeigen können. Wir haben lernen müssen und haben gelernt, dass man den Faschismus, die Tendenzen des Faschismus, seine Wurzeln, mit jeder Generation neu bearbeiten, seine Einflüsse neu beseitigen musste. Und das war eine Schwierigkeit, von der ich nicht weiß, ob wir sie in allen Etappen immer bewältigt haben. Was sich aber nach dem „Anschluss der DDR“ gezeigt hat, war, dass bei allen Umfragen auf dem ehemaligen Territorium der DDR weniger Rassismus vorhanden war im Vergleich mit den alten Bundesländern. Das beginnt sich zu verändern. 

 

 

Erika Baum 

… im Interview mit Helmut Dunkhase in der Zeitschrift „Theorie & Praxis. Sozialismus in Wissenschaft und Politik“, Heft 29 (Juli 2012). Das ganze Interview kann online nachgelesen werden unter kurzlink.de/tundp 

 

 

Erika Baum wurde 1924 in Wien geboren und half nach der Bezwingung des Hitler-Faschismus beim Aufbau des Sozialismus in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone mit. Sie unterrichtete als Schulhelferin zuerst Kinder und später Studierende an einer Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) und an der Humbold-UniAn den ABF sollten sich junge Menschen aus Arbeiter- und Bauernfamilien auf ein Hochschulstudium vorbereiten. Aber sie sollten keine Akademiker im traditionellen Sinne werden, sie sollten sich nicht von der Arbeiterklasse entfernen, sie sollten fachliche Qualifikation mit politischem Bewusstsein verbinden. Für diese Studierenden war das Lernen ein Teil des Klassenkampfes. Die Seminargruppe, die Erika leitete, stellte die Losung auf: „Jede eins ein Schlag gegen Adenauer!“ Vielleicht finden wir das heute merkwürdig und engstirnig, aber die Logik dahinter ist einfach: Das Wissen, dass sie sich an der ABF aneigneten, war eine Waffe im Kampf gegen den Imperialismus, ein Werkzeug zum Aufbau einer neuen Ordnung. Über diese Menschen sagte der Dichter Bertolt Brecht, sie seien Intellektuelle, die „nicht aus, sondern mit dem Proletariat aufgestiegen sind.“ Es ging um die Herausbildung einer neuen, sozialistischen Intelligenz – denn „die ganzen Akademiker vor uns“, so Erika Baum, „hatten sich ja auf das Heftigste blamiert mit ihrer Anhängerschaft oder ihrer Duldung der Nazis.“

 

 

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POSITION #4/2019
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