Erklärung der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend zum Angriff des NATO-Mitglieds Türkei
In den vergangenen Tagen erlebten die Menschen in Syrien eine erneute militärische Aggression gegen ihr Land. Das türkische Militär überschritt am vergangenen Wochenende die Landesgrenze zu den nördlichen Territorien des syrischen Staates, um dort eine sogenannte „Pufferzone“ von mindestens 30 Kilometern jenseits der türkischen Grenze zu errichten und – wie nach Verlautbarungen türkischen Offizieller bekannt wurde – um dort arabisch-stämmige Flüchtlinge anzusiedeln. Es kam zu heftigen Gefechten mit bisher schon hunderten Toten, Verletzen und zivilen Opfern. Die angegriffenen Gebiete im nördlichen Syrien sind maßgeblich von der kurdischen Bevölkerung besiedelt und standen unter dem Schutz der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/ YPJ im Bündnis mit der imperialistischen Hauptmacht USA unter kurdischer Selbstverwaltung, welche sie nach dem Beginn des Krieges im Jahr 2011 vom Islamischen Staat (IS) eroberten und erfolgreich verteidigten, weltweit bekannt geworden sind die Bezeichnungen „Rojava“ (arab. Ain-Al-Arab) und „Kobane“ sowie das 2017 durch die Türkei angegriffene „Afrin“. Im Zuge der schweren Gefechte an den Grenzen wurden die kurdischen Truppen zur Verteidigung verlegt, eine Gewährleistung der Bewachung der inhaftierten IS-Terroristen konnte nicht mehr sichergestellt werden, was nach bestätigten Meldungen gefangenen Jihadisten die Flucht ermöglichte – eine Reorganisation des Islamischen Staates kann nicht ausgeschlossen werden!
Wir verurteilen die erneute Aggression und den imperialistischen Überfall der Türkei auf die syrischen Gebiete und ihre kurdischen Bewohner primär als Verletzung der Integrität und Souveränität des syrischen Staates unter deutlicher Missachtung des Völkerrechtes. Recep Tayyip Erdoğan und der mörderische Krieg des Imperialismus müssen von allen friedensbewegten und fortschrittlichen Menschen aufs Schärfste verurteilt und bekämpft werden. Eine Zusammenarbeit mit allen friedensichernden Kräften muss angestrebt werden und die Dämonisierung wie Sanktionierung der Assad-Regierung muss umgehend eingestellt werden.
Syrien im Fadenkreuz des Imperialismus
Hinter diesem lokalen Krieg stehen jedoch seit Anbeginn globale imperialistische Interessen und Mächte. Auf der einen Seite verband die USA und die kurdischen Milizen im Nord-Osten der syrischen Levante lange Zeit ein zweckmäßiges Bündnis, welches zum völligen Nachteil der kurdischen Seite durch die USA ausgenutzt wurde. Die Aufteilung im Bündnis sah vor, dass die kurdischen Truppen gegen den IS kämpfen und die rohstoffreichen Gebiete Syriens im Nordosten des Landes der Kontrolle der Regierung in Damaskus entziehen, um diese zu schwächen – was das Hauptinteresse des Imperialismus war. Als „Gegenleistung“ wurde dem kurdischen Volk eine weitgehende Autonomie in Aussicht gestellt, inklusive der Möglichkeit und fortschrittliche Maßnahmen in den besetzten Gebieten umzusetzen, wie zum Beispiel die Förderung der Emanzipation der Frau. Allerdings nur so lange, wie dieses Bündnis den USA im Krieg gegen Syrien nutzt. Dass das nicht allzu lang sein würde, zeigte sich früh, vor allem beim türkischen Überfall auf Afrin Anfang 2018. Trotzdem hielten YPG/ YPJ am Bündnis mit dem US-Imperialismus fest. Im August 2019 einigten sich Washington und Ankara auf die Einrichtung einer sogenannten „Sicherheitszone“ in Nordsyrien. Diese beinhaltete „gemeinsame Patrouillen von türkischer und US-Armee“ auf syrischem Territorium, sowie Abbau und Unbrauchbarmachung der kurdischen Verteidigungsstellungen. Offiziell war dieser Deal ein Zugeständnis an die Türkei, um einen Krieg zu verhindern. Am 7. Oktober ordnete Donald Trump den Abzug der US-Truppen aus den kurdisch-kontrollierten Gebieten an. Nur zwei Tage später folgte der Überfall der türkischen Armee. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich nicht um einen überstürzten Rückzug handelte, sondern um eine mit Erdoğan koordinierte Auslieferung der kurdischen Gebiete an die Türkei handelte. Die Durchsetzung des Abbaus der kurdischen Verteidigung in den letzten beiden Monaten öffneten der türkischen Armee somit Tür und Tor. Kalkül der US-Regierung ist es dabei die Annäherung zwischen Russland und der Türkei zu hintertreiben und Syrien weiter zu schwächen. Mit der Vereinbarung über eine Waffenruhe sowie einer Sicherheitszone, in der türkische und russische Truppen gemeinsam patrouillieren sollen, scheint dieser Plan allerding nicht aufgegangen zu sein. Der Rückzug der US-Truppen war jedenfalls keinesfalls defensiv, sondern die Vorbereitung der Aggression des NATO-Partners Türkei.
Widersprüchliche Ergebnisse
In der Folge führte der türkische Angriff allerdings zu einer Einigung zwischen Damaskus und der kurdischen Selbstverwaltung über den Schutz der syrischen Grenze und Großstädte durch Regierungssoldaten, unter der Vermittlung der russischen Diplomatie.
Gewiss hätte die Türkei keine militärische Operation einleiten können, wenn die beiden Supermächte vor Ort – die USA und Russland – nicht vorher informiert worden wären. Die USA scheinen –aller rhetorischen Äußerungen zum Trotz – das Bündnis mit der kurdischen Seite begraben zu haben und stattdessen auf ihre Verbündeten in Ankara zu setzen. Am 17. Oktober vereinbarte Mike Pence, Vizepräsident der USA, mit der türkischen Regierung einen sogenannten „Waffenstillstand“ für fünf Tage. Dieser beinhaltet den vollständigen Abzug der Kurden aus der 32 km breiten „Pufferzone“, was einer vollständigen Kapitulation der kurdischen Verbände gleichkäme, da dies den Großteil des kurdischen Siedlungsgebietes umfasst. Dies ist eine Reaktion auf mehrere erfolgreiche Abwehrgefechte der kurdischen Einheiten, teilweise auch gemeinsam mit syrischen Truppen. Da die syrische Armee schon an einigen Abschnitten der türkischen Grenze Stellung bezogen hat – darunter die Städte Kobane und Qamischlo – dürfte dies ein Versuch der türkischen Führung sein diese Gebiete doch noch unter seine Kontrolle zu bekommen. In Anbetracht der Einigung zwischen den kurdischen Truppen und Damaskus spekuliert selbst Luxemburgs Außenminister Asselborn über einen NATO-Bündnisfall der durch den Kampf syrischer mit türkischer Armee (ein NATO-Mitglied) eintreten könnte. Damit könnte die NATO noch massiver und offener militärisch gegen Damaskus und die Kurden vorgehen oder aber zumindest die Russische Föderation und den Iran in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Sofern die Türkei ihre Abenteuer nicht zügig beendet, könnte es zu ernsthaften Komplikationen in der diplomatischen sowie ökonomischen Zusammenarbeit zwischen Russland und der Türkei kommen – Moskau müsse sich entscheiden auf wessen Seite man stehen wolle. Auch für den unter starken Druck geratenen Iran steht in Syrien viel Einfluss und ein treuer Verbündeter auf dem Spiel.
Friedensphrasen
Der EU-Gipfel forderte ein vollständiges Ende der türkischen Intervention, einen Truppenabzug sowie die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Doch das sind nur hohle Phrasen. Mögliche Sanktionen, wie sie ursprünglich Frankreich verlangt hatte, waren vom Tisch. Deutsche Regierungskreise hatten bereits vorab bekräftigt, aus ihrer Sicht existiere das Thema Sanktionen auf EU-Ebene nicht. Der angebliche Stopp der deutschen Waffenexporte in die Türkei entpuppt sich beim näheren Hinsehen als Augenwischerei: nur die Neugenehmigung von Rüstungsexporten ist unzulässig ist, und auch das nur dann, wenn die betreffenden Waffen in Nordsyrien eingesetzt werden können. Allen anderen Lieferungen steht nichts im Weg. Tatsächlich erreichen die deutschen Rüstungsexporte in das Land gegenwärtig sogar Rekordniveau. Wie das Bundeswirtschaftsministerium jetzt auf Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke) mitteilte, sind 2019 bereits Kriegswaffen im Wert von 250,4 Millionen Euro aus Deutschland in die Türkei geliefert worden – mehr als in jedem Jahr seit 2005 – vorne mit dabei: ThyssenKrupp, Rheinmetall und Airbus. Die jüngsten Äußerungen Kramp-Karrenbauers waren der, etwas stümperhafte, Versuch so doch noch einen Vorwand für einen weiteren Krieg mit NATO-Truppen gegen Syrien zu finden.
Eskalation des Krieges weiterhin möglich
Fest steht, dass das Bündnis zwischen der kurdischen Bewegung und den USA nicht mehr existiert. Der Krieg in Syrien wandelt sich und die Fronten werden geklärt. Immer offener wird der militärische Konflikt direkt zwischen den Aggressoren, der Türkei und USA einerseits und der syrischen Regierung und kurdischen Selbstverwaltung andererseits geführt. Die sogenannten „Aufständischen“ spielen kaum noch eine Rolle. Das Label „Bürgerkrieg“ damit immer unglaubwürdiger. Abzuwarten bleibt, wann Erdoğan und sein Regime den Angriff einstellen wird oder inwieweit das türkische Regime auch zu einer Konfrontation mit den Interessen der anderen Regional- wie Weltmächte bereit ist. Klar ist: die Situation ist ein Tanz auf der Rasierklinge und man mag sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn der NATO-Bündnisfall ausgerufen werden würde – ein dritter Weltkrieg ist im Bereich des Möglichen. Aufgrund dieser Tatsachen rufen wir als – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend – dazu auf, dem türkischen Regime und seinem Unterstützer – dem deutschen und US-Imperialismus -Widerstand zu leisten.
Frieden für Syrien! Stoppt den Imperialismus im Nahen Osten!
Keine deutschen oder EU-Truppen in den Nahen Osten!
Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei! Schluss mit der Heuchelei der EU und der Bundesregierung!